Auf dem Bauernhof Wo die Biomilch herkommt

Von Claudia Wüstenhagen
Zwischen High-Tech und Handarbeit: Seit 14 Jahren erzeugt Ulrich Niemeyer Biomilch von glücklichen Kühen. stern.de hat den Hof in Hamburg besucht und erklärt, warum Biobauern "plietsch" sein müssen, welchen Radiosender Kühe hören und was Quark im Kopfkissen zu suchen hat.

Acht Uhr an einem Wintermorgen - auf dem Wohldorfer Hof in Hamburg herrscht schon seit Stunden rege Betriebsamkeit. Vor drei Stunden hat Bauer Ulrich Niemeyer seine Kühe zum ersten Mal gemolken. In den großen Edelstahltank im Melkstand sind bereits 750 Liter frische Milch geflossen. Der Einzige, der um diese Uhrzeit noch in Bettwäsche kuschelt, ist der Quark. Bauer Niemeyer deutet auf ein paar geblümte Kopfkissenbezüge, die prall gefüllt in einer Edelstahlwanne in der hofeigenen Meierei liegen. Säuerlich riechende Flüssigkeit suppt durch das Gewebe. "Hier wird noch traditionell gearbeitet, und da hat jeder so seine eigene Methode", sagt der Bauer. 13 Stunden hat der Quark im Brutschrank gelegen, damit sich die Kulturen entwickeln. Nun muss er trocknen, um die richtige Konsistenz zu bekommen. Eigentlich nimmt man dazu Leinensäcke, sagt Niemeyer. "Aber Kopfkissenbezüge funktionieren auch ganz gut."

Frühstück von der Baggerschaufel

Wer die rosafarbenen Blümchenmuster auf den Kissen sieht, mag glauben, hier auf dem Hof in Wohldorf sei es Realität, das romantische Klischee vom Biobauern, der noch alles von Hand macht, womöglich jeder Kuh einzeln das Futter serviert. Irrtum. So ganz von Hand geht es auch auf einem Biohof nicht. Es ist Zeit fürs Frühstück, und deshalb muss Niemeyer jetzt den Radlader anschmeißen. Die Futterberge, die seine 70 Kühe verdrücken, wiegen 3000 Kilo. Als das brüllende Gefährt die Futtergasse entlangrumpelt, recken die Schwarzbunten ihre Hälse zwischen Eisenstäben hindurch. Unbeeindruckt lecken sie an den riesigen Rädern, während ihr Frühstück aus der großen Schaufel in die Gasse rieselt. Die bräunlich-grünen Futterhaufen, in denen sie kauend ihre Mäuler vergraben, riechen ein bisschen wie Sauerkraut: Silage, gemischt mit Stroh, Salz und Mineralfutter, Bohnen- und Lupinenschrot.

Früher hat der Bauer Biertreber als Ergänzung verfüttert, ein eiweißreiches Nebenprodukt aus der Brauerei. Doch der Bioland-Verband, dem sein Hof angehört, hat vor ein paar Jahren festgelegt, dass das Futter zu 100 Prozent aus biologischem Anbau stammen muss. Deshalb gibt es jetzt geschrotete Bohnen und Lupinen vom eigenen Acker. Als Biobauer muss man "plietsch" sein, sagt Niemeyer. "Du musst dir was einfallen lassen."

Klee als Düngerersatz

Auch die grünen Silagebüschel, die die Kühe mit ihren rauen Zungen aus den Futterbergen zupfen, zeugen davon. "Kleegras", sagt der Bauer und zerreibt ein paar grüne Blättchen in der Hand. Im Gegensatz zu konventionellen Erzeugern muss Niemeyer auch beim Dünger Abstriche machen, darf keinen Stickstoff auf die Felder streuen. "Ohne den wächst aber nur sehr wenig", sagt er. Deswegen muss der Klee als natürlicher Dünger aushelfen. Der holt den Stickstoff aus der Luft und bringt ihn in den Boden.

Biolandwirtschaft, so Niemeyer, erfordere eine ganz andere "Denke". "Vorausschauen ist die halbe Miete", sagt er. Anders als konventionelle Landwirte kann er nicht die chemische Keule schwingen, wenn Unkraut seine Felder ruiniert. Stattdessen hält er eine bestimmte Fruchtfolge ein, damit sich das Kraut erst gar nicht breitmacht.

Auch bei der Tierhaltung gibt es Unterschiede. Niemeyers Kühe bekommen viel Auslauf. Sogar auf dem Misthaufen, der in der kalten Januarluft dampft, turnen an diesem Tag einige Jungtiere herum. Sie wühlen im Dreck, in ihrem Fell kleben krustige Kotkrümel. Der Mist stammt von den Pensionspferden, die zum Hof gehören. Weil sie aber nur "nasses Stroh" produzieren, müssen die Kühe mit ihrem Kot nachbessern - "veredeln" sagt Niemeyer - damit das Zeug zum Düngen taugt. Während die Kühe auf dem Haufen thronen und trampeln, machen sie den Mist schön platt, was ihn besser verrotten lässt.

Gegen Milchseen und Getreideberge

"Industrielle Tierhaltung gefällt mir nicht", sagt Niemeyer. Dieses Kapitel war für ihn abgeschlossen, als er 1994 den Hof mit seinem Partner Heinz Cordes übernahm. "Es war vom Gefühl her einfach richtig", sagt Niemeyer zu diesem Schritt. Seit er denken könne, habe es Milchseen und Getreideberge gegeben. Da schien es sinnvoll, lieber "nachhaltig zu wirtschaften, als diese wahnsinnigen Erträge zu erzeugen, die wir gar nicht brauchen".

Auf dem Misthaufen tummelt sich nur ein kleiner Teil seiner Kühe. Der Großteil verbringt die Wintertage im Laufstall, der aus einem überdachten Außenbereich und einem Innenstall besteht. Unterm Gebälk zwitschern Vögel, man hört eine Kuhglocke läuten, einige Kuhdamen haben in ihren Liegeboxen Platz genommen. Für jedes Tier gibt es eine, auch das sieht die Bioland-Verordnung vor. Und eingestreut müssen sie ebenfalls sein. Niemeyer mischt Kalk mit unter, um Feuchtigkeit aufzusaugen - wegen der Hygiene, damit es keine Euterentzündung gibt. Denn auch bei der Tiergesundheit gilt: besser vorsorgen als später Medikamente einsetzen zu müssen.

Drive-In für Kühe

Je wohler sich die Tiere fühlten, desto mehr Milch geben sie. "Da lohnt sich jede Investition." Niemeyer hat zum Beispiel in eine große Kratzrolle im Stall investiert, an deren starren Borsten sich die Tiere ausgiebig den Nacken schubbern können. "Die wird gern genommen", bestätigt er. Neben dem Massagegerät steht ein weiteres, gern genutztes Einrichtungsstück: die automatische Futterausgabe. "Wie Drive-In für Kühe", sagt der Bauer. Statt Fritten gibt es hier eine Extraportion Schrot, und zwar individuell dosiert. Jedes Tier trägt in seinem dicken Halsband einen Chip, auf dem Informationen über den Speiseplan gespeichert sind. Gibt eines der Tiere an der Fressstation seine "Bestellung" auf, erkennt der integrierte Computer die Kuh und lässt die richtige Futtermenge in einen Trog fallen. High-Tech ist auch in der Biolandwirtschaft angekommen.

Musik im Melkstand

Auch beim Melken legt der Bauer nicht mehr selbst Hand an. Sonst könnte er kaum zwölf Kühe gleichzeitig melken. Einen Holzschemel sucht man hier vergebens. Und statt menschlicher Hände umschließen schwarze Gummi-Melkaufsätze die Zitzen der Kühe. Die innere Gummischicht pulsiert und zuckt automatisch, mithilfe einer Vakuumpumpe fließt die Milch aus prallen Eutern in dicke blaue Schläuche. Es rauscht und pfeift ein bisschen, dazu mischt sich Musik aus dem Radio. Mozart soll ganz gut funktionieren, sagt Niemeyer. Zumindest habe eine Studie mal gezeigt, dass die Tiere dann mehr Milch geben. Der Bauer selbst findet Mozart auch gut, allerdings nur an Samstagabenden. Jeden Tag muss es nicht sein, schon gar nicht zweimal täglich, und so oft melkt er seine Kühe. Deswegen müssen sie ohne die Zauberflöte oder eine kleine Nachtmusik auskommen, wenn sie im Melkstand auf den Gummimatten stehen. Dafür läuft an diesem Nachmittag NDR 2 im Radio. "Big girl you are beautiful" ertönt aus den Boxen. Das scheint den Kühen auch zu gefallen.

Auf 1500 Liter Milch bringen es Niemeyers Kühe am Tag, die beste produziert 45 Liter. Durch die dicken blauen Schläuche fließt der Milchstrom in eine Pumpe und weiter in den großen Edelstahltank, der 3000 Liter fasst. Von dort kommt die Milch in eine externe Biomeierei und schließlich in Supermärkte, Reformhäuser und auf Biomärkte. Ein Teil wird direkt auf dem Hof verarbeitet, in der eigenen Meierei, die Haushalte und Kindergärten in der Nachbarschaft beliefert: mit Milch, Joghurt, Quark und Frischkäse.

Frischkäse Toskana

Im Weißbereich ist Ulrike Cordes zugange, die Ehefrau von Niemeyers Partner. Die mit Quark gefüllten Kopfkissenbezüge sind aus der Metallwanne verschwunden, der nasse Blümchenstoff weicht in einem Eimer ein. In der Wanne wird jetzt Frischkäse gemacht. Feucht-warme Luft dringt aus einer Maschine, in der Joghurtgläser gereinigt werden. Nebel wabert unter der Decke und hüllt die Neonröhren an der Wand in einen Schleier. Es riecht ein bisschen nach Chlor, vor allem aber säuerlich. "Das ist die Molke", erklärt Cordes. Sie trägt eine weiße Gummischürze und Gummistiefel, auf dem Kopf eine weiße Schirmmütze. Mit einer Kelle schöpft sie joghurtähnliche Gallerte aus einem Eimer und füllt sie in kleine Plastikförmchen. Die grauen Becher sind mit Löchern durchsetzt, aus denen Flüssigkeit rinnt. In der Stahlwanne bildet sich ein gelblicher Molkesee, während die weiße Masse in den Bechern allmählich trocknet. "Frischkäse Toskana" wird später auf den Plastikschälchen stehen, die Klebeetiketten liegen im Regal bereit. Getrocknete Tomaten, Knoblauch, Olivenöl und Thymian kommen aber erst zum Schluss hinzu, wenn der Frischkäse auf ein Drittel des Bechers zusammengesackt ist.

Was später nicht ausgeliefert wird, verkauft der Hof über einen Kühlschrank, der draußen an der roten Backsteinmauer steht. Wer beim Spaziergang hier vorbeikommt, kann sich beispielsweise ein Glas Johannisbeer-Joghurt nehmen und legt das Geld in eine Schale. 24 Stunden am Tag ist der Kühlschrank geöffnet. Niemeyer hat Vertrauen in seine Nachbarn, auch wenn manche schon mal lange Finger gemacht haben. "Es gibt einen Landstreicher im Wald, der darf klauen", sagt der Bauer, "aber nur, wenn er die Gläser zurückbringt."

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