"Bitte schließen Sie die Tür!", sagt Anabel Schröder. Ruhig und freundlich lächelnd sitzt sie da. Mit einer Mischung aus Skepsis und Nervosität nimmt der Klient Platz. Auf dem kleinen Holztisch vor der psychologischen Beraterin steht ein Bastkorb, darin verstreut eine Vielzahl kleiner Plaste-Figuren. "Spielzeug", denkt der Klient, während er Schafe, Dinosaurier, Affen und Tiger betrachtet. "Da kommt wieder einer", scheinen diese wider dem tierischen Ernst zu flüstern. In der Luft liegt ein Hauch von Kunststoff. Ein Schluck Wasser. Das Gespräch beginnt. "Welches Problem führt Sie zu mir?", fragt Schröder. In ihrer heimeligen Praxis in Hamburg-Eppendorf stellt die 36-Jährige diese Frage bis zu viermal am Tag. Danach kommen die Tiere ins Spiel. Und die Reise ins Ich beginnt.
Anabel Schröder hat das "Institut für Psychologische Beratung & Coaching" 2003 eröffnet. Institut - das klingt nach endlosen Gängen und vielen Büros. In Wirklichkeit ist es ein ambitioniertes Psychologie-Startup. Seit Mitte 2004 praktiziert die ehemalige Marketing-Strategin dort eine "schnelle und humorvolle" Beratungsmethode, die wegen ihrer Einfachheit jedem Dr. med. Dipl. Psych. das Wasser in die Augen treibt - Animal Based Coaching. Mit niedlichen Tierfiguren aus Plastik entlockt Schröder ihren Klienten Ängste, oder legt die Bedeutung von Beziehungen frei. "Die Leute kommen, weil sie etwas belastet oder sie sich weiterentwickeln wollen", sagt sie. Ganz Coach. Von Scharlatanerie keine Spur.
Animal Based Coaching nutzt Elemente der Provokativen Therapie
In der Provokativen Therapie spielt der Therapeut die Rolle des "Advocatus Diaboli" und persifliert humorvoll die "selbstschädigenden" Verhaltensweisen des Klienten. Beide sollen gemeinsam darüber lachen können. Die Therapeuten fordern die Selbstverantwortung der Klienten gezielt durch humorvolle und "unverschämte" Unterstellungen heraus. Die Methode geht auf den amerikanischen Psychologen Frank Farrelly zurück, der diese in den 60er Jahren entwickelte.
Zwischen Spielstunde und ernsten Problemen
Im Angesicht der possierlichen Tierchen fühlt sich der Klient an die Spielstunde im Kindergarten erinnert. Mit einem Rascheln fliegen die Tiere aus dem Korb auf den Teppich. "Suchen Sie sich ein Tier als Stellvertreter aus. Und bitte spontan", weist Schröder an. Schwer fällt das dem Klienten, findet er doch alle sympathisch. Seine Hände gleiten über gefräßige Krokodile, Hasen, Schlangen und Zähne fletschende Wölfe - ohne den Sinn dieser Auswahl zu verstehen. Schließlich ergreift er einen Fuchs. Nach weiteren Anweisungen Schröders brüllt sich ein Gorilla in den Kopf des Klienten, faucht ein Tiger, spuckt ein Lama und springt ein Delfin - mitten auf den Tisch. "Besonders hilfreich ist Animal Based Coaching bei Beziehungsproblemen. Egal ob mit Eltern, Freunden, dem Lebenspartner oder Vorgesetzten", so Schröder. "Über einen brüllenden Löwen redet sich einfach leichter als über einen egomanen Chef", ist sie überzeugt. Darum die verschiedenen Tiere.
Dann beginnt ein 90-minütiger Dialog über den Fuchs, den der Klient gewählt hat. Ein Fuchs, der durch die Wälder streift und mit befreundeten Bibern viel Spaß hat. Reineke, dessen Vater ein Gorilla und dessen Bruder ein Nashorn ist. Schröder stellt Fragen wie "Warum haben Sie den Fuchs gewählt?" Mit sanfter Stimme bittet sie den Klienten, die Verpflanzung des Rotpelzes in ein anderes Revier zu beschreiben, gräbt in seiner Kindheit und arbeitet sich Schritt für Schritt zum vermeintlichen Kernproblem vor: "Der Fuchs hat Angst vor der Zukunft und dem Alleinsein." Dann stellt sie die Tiere in verschiedenen Gruppen auf den Tisch. Fuchs und Biber. Gorilla und Lama. Fuchs allein. Im Hintergrund schnaubt das Nashorn. "Wie geht es ihnen dabei?", will die Beraterin bei jeder Variante wissen. Systemische Therapie heißt so etwas.
Psychologie-Light
Anders als ein Psychoanalytiker, der Patienten sieben Jahre auf die Couch legt, reduziert Anabel Schröder ihre Lebensberatung auf das "Jetzt". Bereits nach 90 Minuten verspricht sie erste Antworten, "weil man bei nicht krankhaften Störungen mit Tieren viel schneller als ein Psychiater auf den Kern des Problems stößt." Ist dieser erkannt, lässt Schröder wieder ein Tier auswählen, das weniger anfällig für die entsprechende Störung ist - von Depressionen bis zu Minderwertigkeitskomplexen. Die entscheidende Frage diesmal: "Was kann der Fuchs verändern, um ein Bär zu werden?" Ein vielstimmiges Kichern dringt dem Klienten aus dem Plaste-Tier-Dschungel entgegen.
Irgendwo zwischen Tiefen- und Kindergartenpsychologie setzt das Animal Based Coaching auf die simple Übertragung menschlicher Charaktereigenschaften auf Tiere und umgekehrt. Im Verlauf eines Gesprächs benutzt Schröder zudem klassische Elemente der Psychotherapie: An "neuralgischen Punkten" werden Nadelstiche gesetzt oder der offene Widerspruch des Klienten provoziert. Das klingt dann so: "Sie laufen einer Utopie hinterher!", "Glauben Sie wirklich, dass die Gesellschaft Sie braucht?" Fuchs und Klient blinzeln sich nachdenklich an.
Die Dinosaurier-Schwiegermutter
Oft nimmt das Animal Based Coaching humoristische und groteske Züge an. Da wählt ein Klient einen garstigen Dinosaurier als Symbol für die Schwiegermutter aus. Da merkt der Fuchs, dass er ja einen Delfin kennt, der "ohne Angst durchs Leben schwimmt". In solchen Fällen nutzt die Beraterin den Schwung der Situation, um dem Gespräch eine neue Richtung zu geben: "Der Delfin kann Ihnen helfen, ein Bär zu werden." Auch grobe Verwerfungen erkenne sie mit Hilfe der Tiere schneller, so Schröder. Beispiel Unternehmen: "Wenn die Marketingabteilung für sich den Löwen und für die Personalabteilung den Frosch auswählt, ist klar, dass etwas nicht stimmt."
"Am Anfang denken viele, 'was soll ich hier mit den blöden Viechern'", resümiert die psychologische Beraterin. Während der Klient sich noch fragt, wie er zum Bär werden soll und ob das Psychospiel mit den Tieren nicht ein wenig zu simpel ist, gibt die 36-Jährige erste Tipps: Es könne helfen, sich das Foto eines Bären aufzuhängen, gerade dafür sei die tierische Vereinfachung ja da. "Das Tier und dessen Eigenschaften bleiben als Bild im Kopf hängen - viel stärker als eine reine Verhaltensaufforderung." Der Klient zieht bereits den Kauf eines Bärenfells als Bettvorleger in Betracht. Vielleicht kann er so mehr Bär werden.
Zu Anabel Schröder kommen gestresste Manager, gemobbte Angestellte und Hausfrauen, die von ihren Kindern terrorisiert werden. "Die meisten wollen Löwen oder Elefanten sein, also selbstbewusster und dominanter." Besonders Frauen sähen sich häufig durch kleine Hasen und Igel repräsentiert. Ob Klienten sich nach dem Spiel mit den Plastefiguren wirklich zu Veränderungen entschließen, bleibt das Ziel der Herrin der Tiere. "Es gibt auch hoffnungslose Fälle", sagt Schröder. Ihr heutiger Klient gehört nicht dazu. Er hat Freude an dem putzigen Coaching gefunden, auch ohne ganz überzeugt zu sein. Im Gegensatz zu einer drögen Sitzung beim Psychiater würde er sogar mit seinen Freunden darüber reden. Zum Abschied flüstern ihm die Tiere grinsend zu: "Beim nächsten Zoo-Besuch wirst du den Braunbären mit ganz anderen Augen betrachten."