Hören und Sehen sind keine unabhängigen Sinneseindrücke, sondern beeinflussen sich gegenseitig. So entscheidet nicht nur das Aussehen, sondern auch die Stimme einer Person darüber, ob sie eher als männlich oder als weiblich wahrgenommen wird. Das haben amerikanische Forscher nachgewiesen, indem sie Versuchspersonen Gesichter mit nur schwach ausgeprägten weiblichen oder männlichen Merkmalen zeigten. Entscheidend dafür, welchem Geschlecht die Probanden die Gesichter zuordneten, war dabei die Höhe eines gleichzeitig eingespielten Tons, zeigte die Auswertung. Ihre Ergebnisse stellen die Wissenschaftler um Eric Smith von der Northwestern-Universität in Evanston/Illinois im Fachmagazin "Current Biology" vor.
Lange Zeit gingen Forscher davon aus, ein Teil des Gehirns sei für das Sehen zuständig und ein anderer für das Hören, und dass sich beide Teile nur wenig untereinander austauschen. Neuere Ergebnisse lassen allerdings vermuten, dass eine Verknüpfung der verschiedenen Sinnesinformationen schon zu einem recht frühen Zeitpunkt stattfindet. In ihrer Studie wollten Smith und seine Kollegen deshalb testen, inwieweit das Sehen vom Hören beeinflusst wird.
Der Ton macht das Geschlecht
Sie zeigten den 276 Versuchsteilnehmern Gesichter, die am Computer aus der Vermischung von männlichen und weiblichen Gesichtern so erstellt worden waren, dass sie nur schwer eindeutig als männlich oder weiblich zu erkennen waren. Gleichzeitig wurde den Probanden ein hoher oder tiefer Ton vorgespielt. Hörten die Versuchsteilnehmer einen hohen Ton, deuteten sie das Gesicht als weiblich, bei einem tiefen Ton deuteten sie dasselbe Gesicht als männlich. War der Ton außerhalb des Bereiches, den Menschen zum Sprechen verwenden, also zu hoch oder zu tief, konnten die Probanden die Gesichter nicht mehr eindeutig zuordnen.
Die Teilnehmer benötigten also sowohl die Informationen des Sehsinns als auch die des Gehörs, um die Aufgabe richtig lösen zu können. Das deute auf eine ungeahnt enge Verflechtung der Sinne hin, betonen die Forscher. Dass umgekehrt das Sehen das Hören beeinflussen kann, ist zwar schon bekannt, aber nicht in diesem Maße. Der Effekt zeigt sich beispielsweise im Kino, wo jeder glaubt, die Sprache komme vom Schauspieler auf der Leinwand, obwohl sich die Lautsprecher hinter oder neben den Zuschauern befinden. In weiteren Studien wollen die Wissenschaftler nun untersuchen, ob eine ähnliche Zusammenarbeit auch bei den anderen Sinnesorganen gezeigt werden kann.