Kathrin ist eine erfolgreiche Kinderärztin, engagiert, vital, überall im Einsatz. Ihr Ziel ist es, eine Leitungsfunktion in ihrer Klinik zu übernehmen; gute Chancen hat sie. Es wäre nun an ihr, sich dafür offiziell zu bewerben. Seit Wochen schiebt sie einen Termin mit ihrem Chef vor sich her, aus Angst, abgelehnt zu werden und sich zu blamieren. Diese angespannte Unentschlossenheit raubt ihr den Schlaf. Häufig fühlt sie sich in letzter Zeit fachlich verunsichert.
Vorhaben zu überdenken, abzuwägen und bewusst nicht sofort zu entscheiden ist sinnvoll. Zögern aus Angst hingegen verursacht ein lähmendes Gefühl. Diese ungewollte Passivität blockiert nicht nur, sondern verstärkt sich auch in sehr unangenehmer Weise selbst. Dinge, die wir uns "eigentlich" vornehmen und aus unbewusster Furcht doch nicht umsetzen, bleiben in unserem Unterbewusstsein als "Misserfolg" hängen.
Mit der Realität wenig zu tun
Hält dies lange genug an und treffen mehrere solcher "Misserfolge" aufeinander, können sich Überzeugungen entwickeln, die mit der Realität wenig zu tun haben, etwa: Das eine gelingt mir nicht wie geplant, wie soll ich dann etwas anderes gut machen? Der Blick für die Einmaligkeit einer (misslichen) Situation geht verloren, und wir verallgemeinern an verkehrter Stelle - aus Unsicherheit. Solche negativen Lernprozesse blockieren das Denken und Handeln immer wieder aufs Neue. Sie führen zum weiteren Aufschieben von Dingen, aus Angst vor möglichen weiteren Niederlagen - wenn dieser destruktive Mechanismus nicht erkannt und unterbrochen wird.
Kathrin schiebt ihre Bewerbung vor sich her. Unbewusst verstärkt sie dadurch ihre Angst, der sie eigentlich aus dem Weg gehen wollte. Sie beginnt, sich als Fachperson infrage zu stellen, obwohl es dazu keinen Grund gibt. Es erfolgt also eine falsche Verknüpfung zweier Dinge aus der Besorgnis heraus, nicht zu genügen. Vor lauter Zweifeln nimmt sie ihre real vorhandenen Chancen auf die Stelle gar nicht mehr wahr. Ein Teufelskreis.
Es gibt Wege, diese verschobenen Perspektiven zu korrigieren und dadurch wieder handlungsfähig zu werden. Hilfreich ist zunächst das Zerlegen einer schwierig scheinenden Situation. Dabei wird die Widersprüchlichkeit unserer Vorstellungen klarer. Häufig und unbewusst möchte man nämlich oft das eine und das andere und lässt diese verzwickte Situation als solche stehen, ohne aktiv zu werden. Kathrin zum Beispiel will einerseits die Stelle, aber wünscht sich gleichzeitig, dass man sie ihr anbietet und ihr so das Risiko der Ablehnung erspart - aber das passiert nicht, sie muss selbst aktiv werden.
Gegen das Aufschieben unangenehmer Dinge helfen folgende Fragen:
> Was hat Priorität in der aktuellen Situation? Was ist momentan das wichtigste Ziel, was kann warten?
> Was hilft mir am ehesten? Eine Klärung zu forcieren oder bewusstes Abwarten?
> Würde ich aktiv werden, was könnte bestenfalls, was schlimmstenfalls passieren? > Welche Alternativen könnte ich mir zu der von mir erwünschten Lösung vorstellen?
"Was wäre gewesen, wenn ... "
Um den eigenen Blickwinkel zu überprüfen, sind Gespräche mit Außenstehenden nützlich. Kathrin wird die Aussicht auf die Stelle verlieren, ohne sich je dafür beworben zu haben, wenn sie sich nicht bewusst mit ihrer Angst auseinander setzt. Schlimmer als eine negative Antwort ist das Gefühl der Ungewissheit: Was wäre gewesen, wenn … Hätte ich doch …
Es ist oft schwierig, Verantwortung für sich zu übernehmen, aber sehr attraktiv in den eigenen und den Augen anderer. Das Gefühl von "Selbstwirksamkeit" ist für das Wohlbefinden unerlässlich und macht Niederlagen aushaltbar. Ein länger anhaltendes Gefühl von Apathie kann allerdings Zeichen einer depressiven Episode sein. Es sollte ärztlich und psychotherapeutisch behandelt werden, da das Risiko einer Chronifizierung besteht.