Golden-Retriever-Hündin Sandy steht auf der Waage, schaut mit großen braunen Augen zu ihrem Frauchen hoch. Tierärztin Bettina Christian notiert Sandys Gewicht in einer Tabelle, mit einem Maßband kontrolliert sie den Hüftumfang der Hündin, fotografiert sie von allen Seiten. Geduldig lässt Sandy die Prozedur über sich ergehen. Kein Bellen, kein Knurren. Nur ab und zu sucht sie den Blick von Frauchen Rita Gross.
Sandy ist zu dick - und seit Januar auf Diät. Wie die Chow-Chow-Dame Priscilla, ein Schnauzer und zwei andere Hunde nimmt sie an einem Abspeckprogramm in der tierärztlichen Gemeinschaftspraxis in Hamburg-Altona teil.
Herrchen und Frauchen sind schuld
Wie bei Menschen kann Übergewicht auch bei Hunden zu Herz- und Kreislaufbeschwerden, Gelenkentzündungen und Diabetes führen. Pharmaunternehmen wittern hier einen neuen Markt. "In Europa sind 30 Prozent der Hunde übergewichtig", sagt Michael Cieslicki, Marketingleiter von Janssen Animal Health. Die Pharmafirma hat kürzlich "Yarvitan" auf den Markt gebracht, ein Schlankheitsmittel für Hunde.
Schlankheitsmittel bekämpfen das Symptom Übergewicht. Die Krankheitsursache aber heilen sie nicht - das eigentliche Problem sind die Menschen. "Es liegt nur am Besitzer", sagt Tierärztin Gesine Krefft. "Er ist es, der das Futter zuteilt, also ist er es auch, der zuviel gibt."
Früher hüteten Hunde Haus und Hof, trieben Schafe und Kühe zusammen. Heute sind sie Familienmitglieder, manchmal gar Partner- oder Kindersatz. "Die Beziehung ist emotionaler geworden, inniger", sagt Tierpsychologin Ramona Meißner. "Hunde haben einen viel höheren Stellenwert in der Familie als früher." Mit der Folge, dass Herrchen und Frauchen sie oft mit Zuneigung überhäufen.
Hundekuchen statt Stöckchenwerfen
Vor allem der Opa der Familie Gross steckte der Hündin immer wieder Leckerlis zu. Solche kleinen Snacks sind bei vielen Hunden die Ursache für Übergewicht. "Die meisten fressen alles, was man ihnen gibt", sagt Tierärztin Krefft. Nur wenige Hunde merken, wann sie satt sind. Zudem deuten viele Besitzer das Verhalten der Tiere falsch, sagt Krefft: "Wenn der Hund sich bemerkbar macht, denken Besitzer immer gleich, dass er hungrig ist. Vielleicht möchte er aber spazieren gehen oder spielen." Für die Tierärztin sind übergewichtige Hunde ein Spiegelbild der Gesellschaft. "Es gibt immer mehr übergewichtige Menschen. Und wer selbst ungesund isst, kann auch seinen Hund nicht gesund ernähren." Dass die Besitzer die Tiere derart verwöhnen, sieht Krefft als Ersatzhandlung an: "Viele Menschen versuchen, mit Essen und Leckerchen Zeitmangel wettzumachen." Hundekuchen statt Stöckchenwerfen.
Trocken- und Dosenfutter - abgewogen
In ihren dicksten Zeiten wog Sandy fast 40 Kilo - mindestens sieben Kilo mehr, als gesund für sie wäre. Probleme mit den Gelenken hat die Hundedame ohnehin; das Übergewicht belastete sie noch mehr. "Irgendwann können die Gelenke das Gewicht einfach nicht mehr tragen", sagt Tierärztin Krefft.
Nach neun Wochen Abspecken hat Sandy 4,5 Kilo Gewicht verloren. Statt einer großen Portion Trockenfutter frisst sie mittags nun 100 Gramm Trocken- und 100 Gramm Dosenfutter - abgewogen. Morgens bekam sie das Schlankheitsmittel Yarvitan, wie Sirup auf ein Stück Brot geträufelt. Das Medikament sorgt dafür, dass Fette zwar gespalten und in eine Darmzelle aufgenommen, dann aber nicht weitertransportiert werden. "Das Fett wird samt Darmzelle ausgeschieden. So gehen nur 20 bis 30 Prozent des Fetts in die Blutbahn und werden vom Körper aufgenommen", sagt Michael Cieslicki von Janssen Animal Health.
Außerdem hemmt das Mittel den Appetit. "Eine Zeit lang wollte Sandy gar nichts mehr essen. Das war uns dann auch unheimlich", erzählt Rita Gross. Andere Hunde aus Sandys Abspeckprogramm erbrachen sich häufig; ein Hundepatient musste es ganz absetzen.
Alte Damen drehen langsame Runden
Wirklich zufrieden mit der medikamentengestützten Therapie ist Tierärztin Christian nicht. Schließlich, so sagt sie, brauchen Hunde wie Menschen keine Medikamente, um abzunehmen: "Laufen, Schwimmen oder Bällchen- und Stöckchen-Spiele, weniger Leckerchen und eine individuell angepasste Futtermenge - das reicht völlig aus."
Schwieriger ist es bei älteren Hunden wie Sandy und Priscilla, die ihre Knochen und Gelenke nicht überstrapazieren dürfen. "Dann ist es noch wichtiger, den ausgearbeiteten Ernährungsplan einzuhalten", sagt Christian. Doch auch Sandy und Priscilla müssen kleine Runden laufen - nur eben langsamer und gemächlicher.
Schlechtes Gewissen nützt dem Hund nicht
Oft haben Herrchen und Frauchen aber keine Zeit für lange Spaziergänge - oder reagieren sogar beleidigt, wenn sie hören, ihr Hund sei zu dick. "Für viele ist es wie ein persönlicher Angriff. Sie denken, sie hätten ihren Hund schlecht behandelt", sagt Tierpsychologin Ramona Meissner. Die Folge: Herrchen und Frauchen, voll des schlechten Gewissens, überhäufen den Hund mit noch mehr Zuneigung, das Tier bleibt dick und wird wahrscheinlich krank.
Meißner warnt vor zu vielen psychischen Anforderungen an die Tiere. "Tiere saugen menschliche Emotionen jeglicher Art wie ein Schwamm auf, wissen aber gar nicht, wie sie damit umgehen sollen", sagt sie. So können sie beispielsweise von zuviel Liebe auch emotional erdrückt werden. "Tiere sind Tiere und können auch nichts anderes sein."
Sandy und der Jo-Jo-Effekt
Sandys Futter wird nun noch weiter reduziert, zusätzlich bekommt sie Magerquark und Möhren. Wie Priscilla und die anderen Hunde hat auch Sandy wieder leicht zugenommen, seit sie das Medikament nicht mehr nimmt. Leicht resigniert sagt Tierärztin Christan: "Bei allen Hunden ist der so genannte Jo-Jo-Effekt eingetreten."