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Gabriele Paulis Ehemodell "Die Ehe wird zum Konsumgut"

Ist die Frau von allen guten Geistern verlassen? Oder denkt sie nur fortschrittlich? In jedem Fall hat Gabriele Pauli provoziert mit ihrem Vorschlag, die Ehe doch bitte erst einmal auf sieben Jahre zu befristen. stern.de befragte den Hamburger Paar-Therapeuten Michael Cöllen, wie sinnvoll der Vorschlag wirklich ist.

Herr Cöllen, was halten Sie von dem Pauli-Modell "Ehe auf Zeit"?

Die gesellschaftliche Diskussion, die Frau Pauli mit ihrem Vorschlag um die Rolle von Ehe und Liebe entfacht hat, finde ich gut und notwendig. Von der "Ehe auf Zeit" halte ich allerdings absolut nichts. Sie wäre vielmehr Ausdruck einer Gesellschaft, die die Ehe als Konsumgut betrachtet. Lebenspartner werden zu Lebensabschnittsgefährten, die bei Bedarf ausgetauscht werden wie Autos oder Geschirrspülmaschinen.

Pauli schlägt vor, die Ehe bei Bedarf nach sieben Jahren zu erneuern. Ist das eine gute Idee?

Damit liegt Frau Pauli wiederum nicht so verkehrt, denn ein Mensch verändert sich physiologisch und psychologisch im Sieben-Jahres-Rhythmus. Damit müssen sich auch die Ehepartner auseinandersetzen. Die meisten Ehen werden allerdings nicht im siebten Jahr, sondern im ersten und im 15. Jahr geschieden.

Michael Cöllen

Der Diplom-Pschologe Michael Cöllen arbeitet seit 35 Jahren als psychologischer Psychotherapeut und Paar-Therapeut. Er hat 15 Jahre lang die Katholische Eheberatung Hamburg geleitet, bevor ihm die Deutsche Bischofskonferenz 1986 die Lehrbefugnis entzogen hat - er hatte sich öffentlich für die moralische Gleichstellung von Ehen ohne Trauschein sowie homosexuellen Beziehungen mit getrauten Ehen ausgesprochen. Cöllen hat zahlreiche Bücher zum Thema Liebe und Ehe verfasst und praktiziert in eigener Praxis in Hamburg.

Ist die regelmäßige Erneuerung des Eheversprechens also Quatsch?

Es gibt Experten, die einen Ehe-Führerschein empfehlen, der alle sieben Jahre abgelegt werden sollte. Ehepaare sollten vor das Standesamt treten und noch einmal begründen, warum sie die Ehe mit ihrem Partner wollen. Diese Maßnahme ist sicherlich eine Möglichkeit, das Interesse der Partner aneinander zu erhalten. Denn das Werben um den anderen funktioniert nur im Zustand der Unsicherheit. Moralisch betoniertes Sicherheitsdenken in der Ehe ermüdet dagegen die Liebesdynamik. Das ist wie mit der Lieblingsspeise: Erst wenn man sie eine Weile nicht gegessen hat, schmeckt sie wieder so gut wie vorher.

Das entspricht dem Pauli-Argument, Liebe sei wichtiger als Sicherheit.

Ja, aber so einfach ist es eben auch nicht. Die Liebe braucht auch Kontinuität. Sie ist auf lebenslänglich angelegt, weil nur in dieser geschützten Atmosphäre menschliche Entwicklung möglich ist. Die Liebe findet ihre Balance also nur in dem Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Geborgenheit auf der einen, Unsicherheit und Begehren auf der anderen Seite.

Kann das, realistisch betrachtet, auf Dauer funktionieren?

Sicherlich muss man auch die Realität sehen: 40 Prozent der Ehen in Deutschland werden geschieden. Zählt man die zerrütteten Ehen dazu - also die Ehen, bei denen die Paare nur wegen der Kinder oder aus anderen Gründen zusammen bleiben, sich aber das Leben zur Hölle machen - kann man davon ausgehen, dass 70 Prozent der Ehen nicht dauerhaft funktionieren. Die Antwort darauf kann aber nicht sein, es nicht zu probieren. Es gibt keine Garantie aufs Glück.

Welche Rolle kann die Ehe noch im 21. Jahrhundert spielen?

Die Ehe ist absolut zukunftsfähig, und ihre Bedeutung ist kaum zu unterschätzen. Mobilität und Globalisierung hat bei vielen Menschen zur Verunsicherung, Desorientierung und Bindungslosigkeit geführt. Die dauerhafte Liebe ist ein lohnendes Ziel, sie bietet Heimat in einer vergänglichen Zeit.

Frauen sollen also zurück an den Herd, weil früher alles so schön war?

Um Gottes Willen, nein. Es hat sich ja in vergangenen Jahrzehnten das Verständnis der Geschlechter zueinander ganz grundlegend gewandelt. In der modernen Ehe sollte ein emanzipierter und gleichberechtigter Dialog geführt werden. Die Partner müssen sich herausfordern und füreinander Entwicklungshelfer sein. Jeder Partner verfügt zugleich über Autonomie und Freiheit, die der andere zu respektieren hat. Das hat mit einer Ehe in traditionellen Rollen nichts zu tun.

Interview: Inga Niermann

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