Wigbert Löer

Artikel zu: Wigbert Löer

André Poggenburg steht am Rednerpult und gestikuliert mit seiner linken Hand

Abschied aus Partei Warum der Austritt von André Poggenburg der AfD schaden könnte

Der prominente AfD-Politiker André Poggenburg hat seine Partei verlassen – warum?


Löer: Ich denke, das hat er aus zwei Gründen getan. Zum einen aus Kränkung. Andre Poggenburg ist ja, das muss man ihm zugestehen, der erfolgreichste Wahlkämpfer der AfD. Er holte als Spitzenkandidat in Sachsen-Anhalt 24,3 Prozent. Im März 2016 war das. Gekränkt und geärgert hat Poggenburg dann, dass er nicht mehr mitspielen durfte. Und da kommen wir zum zweiten Motiv, das er gehabt haben könnte: Er will auch auf von der Politik leben können. In Sachsen-Anhalt haben sie Poggenburg den Fraktionsvorsitz im Landtag weggenommen und damit einen Teil seiner Einkünfte. Dass er nochmal als Landtagskandidat aufgestellt werden würde, ist nahezu ausgeschlossen. Dann hat er auch den Landesvorsitz verloren. Und dann – das war entscheidend – hat er am rechten Rand der AfD mit Björn Höcke und Andreas Kalbitz gebrochen. Es spreche vom "Flügel", einer Gruppierung auf der rechten Seite der AfD. Der Flügel, das waren früher Björn Höcke und dicht daneben Poggenburg und dann irgendwann auch Andreas Kalbitz, der AfD-Landeschef aus Brandenburg. Aber Kalbitz hat seinen Einfluss und seine Macht potenziert. Und Poggenburg ist – auch nach Beleidigungen wie Kümmelhändler und Kameltreiber für Türken – eben hinten runtergefallen. Das kann ihm nicht gefallen haben und hat es auch nicht.

Wie reagiert die AfD auf Poggenburgs Rückzug?


Die so genannten moderaten Kräfte in der AfD freuen sich, dass mit Poggenburg ein extrem rechter Protagonist, der zugleich sehr bekannt ist, die Partei verlassen hat. Bei seinen Fans ist das anders – man kann schon sagen, dass da einige trauern. Der Flügel hat eine Whatsapp-Gruppe, bei der Poggenburg auch Administrator ist, und da kullerten gestern Abend bei manchen die Tränchen. Ich habe immer mal wieder die Möglichkeit, diesen Chat zu verfolgen, und gestern Abend fanden sich da solche Einträge:
"10.01.19, 18.54: Ja, Andre, bitte mal Klartext. Aber jetzt schon das Lied 'please dont go' für Dich in Dauerschleife."
"10.01.19, 19.06: Und das vor den so wichtigen Wahlen in Mitteldeutschland?"
"10.01.19, 19.08: Andre, Du versinkst im Nichts und Typen wie Kay Gottschalk (stellv. AfD-Chef, Vertreter des moderaten Flügels, Anmerkung stern) sind dann obenauf. Das darfst Du uns nicht antun."
"10.01.19, 19.09‬: Und Dir und Deiner Herzensmaus auch nicht. Bitte, denk nach!" 
Also, es ist ein bisschen wie bei Frauke Petry, die die AfD im Herbst 2017 verließ: Einige freuen sich sehr, dass Poggenburg weg ist, andere sehen ihn ganz stark als einer der ihren und erkennen einen herben Verlust.

Was bedeutet das für die AfD?


André Poggenburg gründet eine Partei, die am rechten Rand erst mal nur eine Splitterpartei sein kann. Aber: In Sachsen kann sie der AfD bei der Landtagswahl im Herbst durchaus Stimmen wegnehmen. Dafür braucht es eine Voraussetzung: Poggenburg und seine Mitstreiter müssen mit Pegida zusammen gehen. Das Pegida-Bündnis hat ja bislang offen gelassen, ob es die AfD unterstützt. Nach der großen Demo in Chemnitz im September 2018, dem Trauermarsch, als Pegida erst Mitveranstalter sein durfte, dann aber doch nicht mehr, da hat sich der Pegida-Chef Lutz Bachmann fürchterlich aufgeregt. Er wirkte da ebenfalls getroffen in seiner Eitelkeit, er, der seit vielen Jahren tausende Menschen auf die Straße bringt, dass sein Pegida offiziell nicht dabei sein durfte. In der AfD ist das seit gestern Abend die große Frage: Hat Poggenburg Bachmann an der Hand? Tritt er mit ihm zusammen an? Dann kann Poggenburg mit seiner neuen Partei "Aufbruch der Patrioten" der AfD nicht wirklich gefährlich werden, ihr aber doch hier und da weh tun. Ob er all das wirklich hinbekommt, ist im Moment aber überhaupt noch nicht zu sagen.
stern-Redakteur Wigbert Löer sitzt in Jackett und grauem T-Shirt vor einem schwarzen Hintergrund. Er trägt eine siberne Brille

Parteiinterne Grabenkämpfe "Dieser Chat ist fast schon ein Hilferuf" - stern-Reporter berichtet aus Whatsapp-Gruppe der AfD

stern-Redakteur Wigbert Löer hat Zugang zu Whatsapp-Gruppen des AfD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen. Im Video berichtet er, was die AfD-Politiker bewegt, warum ein Riss durch die Partei geht zwischen "moderaten" AfD-Mitgliedern und dem Rechtsaußen-Flügel um Björn Höcke und warum auch er und der stern immer mal Thema im AfD-Chat sind. Die Redaktion konnte viele Chats und andere interne Dokumente auswerten. Doch selten haben Äußerungen den Konflikt der Partei so gut sichtbar gemacht wie diese Plattform. Der stern und Wigbert Löer recherchieren seit Jahren über das Innenleben der AfD. Im Video gibt Löer einen Einblick in seine Arbeit über die AfD:
"Mein Name ist Wigbert Löer und ich bin investigativer Reporter beim stern. Wir haben heute auf unserer Online-Seite einen Whatsapp-Chat der AfD veröffentlicht und dokumentiert. Am Chat nehmen teil führende AfD-Politiker aus Nordrhein-Westfalen, Landtagsabgeordnete, aber eben auch des Landesvorstands. Insgesamt sind es mehr als 30 Personen. Und diesen Chat fanden wir sehr interessant, weil er fast schon wie ein Hilferuf ist. Es sind dort vor allem gemäßigte AfD-Politiker drin oder sagen wir besser: Leute, die sich selbst als gemäßigt oder moderat beschreiben würden. Sie setzen sich sehr viel auseinander mit dem sogenannten Flügel, der parteiinternen Gruppierung um Björn Höcke und Andreas Kalbitz, das sind die Hardliner, die zum rechten Rand der eh schon rechten AfD zählen. Das ganze ist - ich weiß gar nicht, ob man es als Machtkampf bezeichnen kann - schon ein hartes Ringen. Am Anfang wollten die Gemäßigten die Leute eher einbinden, aber zwischendurch verzweifeln sie regelrecht. Sie sagen: 'Man kann mit denen keine Absprachen halten!' Es gibt immer wieder Sachen, über die sie sich ärgern, am Ende sind sie aber kämpferisch und wollen die ganze Sache auch noch nicht aufgeben."

Steigen die Spannungen innerhalb der AfD?


Löer: "Die Spannungen in der AfD steigen auf jeden Fall. Das liegt daran, dass eben eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz droht - mit Konsequenzen. Zum Beispiel könnten Leute, die im öffentlichen Dienst beschäftigt oder verbeamtet sind, sich von der Partei abwenden. Viele Polizisten oder Leute aus anderen Berufen könnten dann sagen: 'Das war's für mich!' Und um das abzuwenden hat der Bundesvorstand ja auch schon eine Arbeitsgruppe gebildet: Man will dieser drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgehen. Es ist aber auch Thema hier in diesem Chat. Da wird davon gesprochen, dass einige aus dem Landesvorstand Nazis durchwinken würden. Andere sagen, sie hätten Mühe, das zu verhindern. Dann mischt sich wieder jemand ein und sagt: 'Mensch, wenn ihr das schreibt, dann könnt ihr das über den stern gleich dem Verfassungsschutz melden. Das ist eine ganz lustige Stelle. Dieser Mann hat sich in der Tat mit einem ehemaligen Präsidenten eines Amtes für Verfassungsschutz unterhalten und hat sich genau informiert und hat offenbar herausgefunden, dass diese Insider-Informationen, also jemand, der aus der AfD über interne Vorgänge der AfD berichtet, für den Verfassungsschutz sehr interessant wäre.

Was sind sonst noch Themen dieser Whatsapp-Gruppe?


Löer: "Es geht um Allerlei, die ganz normale AfD-Agenda - weniger um Inhalte, sondern um das, was mit der Partei passiert. Es geht um Auftritte des ehemaligen sachsen-anhaltinischen AfD- Spitzenpolitikers André Poggenburg über den man sich aufregt. Es geht um die Junge Alternative, die ja gerade sehr im Fokus und in ein, zwei Landesverbänden schon aufgelöst worden ist. Da wird auch diskutiert, wie das in NRW läuft. Da fällt das Zitat, das wir über unseren Artikel zum Chat geschrieben haben, von einem Haufen Keller-Nazis und einigen Karteileichen, die dann übrigblieben, wenn jetzt die Vernünftigen aus der "Jungen Alternativen" gingen. Und lustigerweise kommt auch der stern manchmal vor.

In welcher Form?


Löer: "Ich habe mit den AfD-Leuten aus Nordrhein-Westfalen schon so eine kleine persönliche Geschichte. Wir haben damals 2016 - also noch zur Zeit von Marcus Pretzell, dem heutigen Ehemann von Frauke Petry - haben wir schon Chats auswerten und veröffentlichen können. Wir werden immer wieder genannt, wenn es darum geht, ob dieser Chat überhaupt geheim ist. Der ist natürlich intern, aber ich habe das Gefühl, die denken: 'Es kommt sowieso raus. Einer wird es rausstechen.' Und ich habe auch das Gefühl, es ist den Leuten eigentlich egal. Das was sie schreiben, wollen sie wissen. Ab und zu kriegt man auch mal einen mit als Medium, das für viele in der AfD als "links-grün versifft" gilt. Da geht es um eine Fahrt auf einem See im Sauerland, dem Möhnesee. Dort treffen sich Leute vom Höcke-Flügel, also von der Gegengruppierung 'unserer' Chat-Leute. Und da sagt einer - das ist wahrscheinlich AfD-Humor: 'Schiffe versenken könnte helfen'. Darauf antwortet eine Frau: 'Da sehe ich schon die stern-Schlagzeile!' Da sagt der andere: 'Die stern-Singer können wir ja gleich mit versenken!' Also rustikaler Humor. Aber Humor ist ja, wenn man trotzdem lacht."