Abhörmethoden wie bei der britischen Boulevardzeitung „News of the World“ gebe es in Deutschland nicht – das liest man dieser Tage überall.
Journalisten der jetzt eingestellten Sonntagszeitung des Medienmagnaten Rupert Murdoch hatten offenbar die Mailboxen der Handys von Tausenden von Prominenten geknackt und dort hinterlassene Nachrichten abgehört. Sogar Polizisten wurden offenbar bestochen – wohl auch um an die Mobilnummern zu kommen. Bei einem ermordeten Schulmädchen löschten die NOTW-Leute den Berichten zufolge sogar Nachrichten, weil die Mailbox voll war und es deshalb nichts Neues zum Abhören gab.
Manche deutschen Kollegen vergleichen nun diesen Skandal mit denjenigen Praktiken der Agentur CMK, über die der „stern“ vergangenes Jahr berichtet hatte. CMK-Leute hatten Politiker wie Franz Müntefering oder Oskar Lafontaine ausgespäht, um Näheres über deren Liebesleben herauszufinden. Die Zeitschrift „Bunte“, die CMK mit Recherchen beauftragt hatte, wusste von den CMK-Methoden nach eigenen Angaben nichts, wie sie vor Gericht bekräftigte. Im Vergleich zu dem, was den britischen Klatschreportern vorgeworfen werde, seien die vom stern enthüllten CMK-Aktivitäten so oder so „Kinderkram“, war jetzt gelegentlich zu lesen.
Ganz sicher ist wahr, dass die Affäre um die "News of the World" eine andere Dimension hat. Aber stimmt es, wenn „Bild“-Chef Kai Diekmann argumentiert, das Presserecht sei hierzulande deutlich schärfer? Da sind Zweifel erlaubt. Immerhin war das Abhören nach britischem Recht ebenso illegal wie es das nach deutschen Gesetze wäre. Auch Beamtenbestechung ist hier wie dort verboten.
Weil ich am Wochenende als Redner auf der traditionellen „Summer School“ des Centre for Investigative Journalism der City University of London eingeladen war, hatte ich Gelegenheit, mit vielen britischen Kollegen über den Fall zu reden und einer Podiumsdiskussion zu folgen, die das Centre zu dem Abhörskandal veranstaltete. Ein Redner, der Medienrechtler Gavin Millar, wies dort daraufhin, dass schon nach dem geltenden britischen Pressekodex – Äquivalent des Kodex’ des hiesigen Presserates – bestimmte fragwürdige Methoden bei der Recherche nur dann zulässig seien, wenn es um Themen des öffentlichen Interesses gehe. Dazu zählen zum Beispiel Recherchen in Fällen des Fehlverhaltens von Politikern im Zusammenhang mit ihren Ämtern. Zweifelhafte Recherchemethoden seien nach dem britischen Kodex andernfalls aber auch dann unzulässig, betonte Millar, wenn sie nicht von Zeitungsredakteuren selbst, sondern von Mittelsmännern begangen wurden.
Wir in Deutschland gehen – wie gesagt - davon aus, dass die „Bunte“ nicht wusste, was die von ihr beauftragte Agentur CMK im Einzelnen tat. Wäre die „Bunte“ eine britische Zeitschrift, würde ihr dieses Argument jedoch weniger helfen.
Wenn nun von abgehörten Telefonen als Recherchemethode in Deutschland bisher nichts bekannt ist, liegt dies so oder so kaum daran, dass hiesige Journalisten allesamt solch ethischen Vorbilder sind. Sondern eher daran, dass in Deutschland, anders als auf den britischen Inseln, kein erbitterter Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen nationalen Boulevardblättern tobt. Aber hier wie dort scheint es manchen Redaktionen offenbar profitträchtiger, Klatsch und Tratsch zu rapportieren, als über echte Missstände zu recherchieren.
Dass die Presse in Großbritannien insgesamt eher aggressiver scheint – auch gegenüber der Politik - als die deutsche, das ist im Übrigen nicht immer ein Nachteil. Investigativer Journalismus hat jedenfalls bei unseren Nachbarn schon länger einen höheren Stellenwert als bei uns. An der Londoner City University kann man Recherchejournalismus sogar studieren. Und um den zu praktizieren, muss man wirklich keine Telefone abhören.