Hans-Gert Pöttering (CDU) ist der Präsident des EU-Parlament. Wehe man fragt ihn, was daraus folgt.
Schon vergangene Woche zeigte Pöttering – ein langjähriger Europaabgeordneter aus Osnabrück – im jüngsten Betrugsskandal des EU-Parlaments ziemlich viel Chuzpe. Immerhin war er führend mit dafür verantwortlich, dass die Volksvertretung im Dezember 2007 die Kontrollen bei der Verwendung der Mitarbeiterpauschalen gelockert hatte. Ja genau der Mitarbeiterpauschalen, bei deren Auszahlung es zu verbreiteten Unregelmässigkeiten kam. Nachdem ein Großteil der Abgeordneten geforderte Belege über immerhin 76 Millionen Euro zwei bis drei Jahre lang nicht geliefert hatte – entschied das Parlamentspräsidium unter Pöttering kurzerhand, die Regeln rückwirkend zu ändern und die Belegpflicht fallen zu lassen.
Konkrete Fragen von uns dazu ließ der Präsident unbeantwortet. Und er verweigerte ebenfalls Antworten, als er am Donnerstag auf einer Pressekonferenz am Rande des jüngsten EU-Gipfels nach
unserem Artikel gefragt wurde.
Wenn unter Pötterings Leitung Gremien irgend etwas entscheiden, sei das nicht Pötterings Verantwortung. So ähnlich beschied mich jetzt seine Sprecherin: „Entscheidungen dieser
Organe sind Entscheidungen von Kollektivorganen, die das gesamte Haus repräsentieren.“
Zu Pötterings Gunsten muß man sagen, dass seine Haltung die in Brüssel typische ist. Als Chef egal welches EU-Gremiums nimmt man die schönen Seiten des Präsidentenlebens mit (Besuch beim Papst, Besuch bei der Queen etc). Für die unschönen Entscheidungen und alle Missstände ist das Gremium kollektiv verantwortlich - und damit niemand. Falls man nicht gleich verantwortungslosen Journalisten die Schuld gibt, die über die Missstände schreiben. Statt über die schönen Seiten der EU (siehe oben).
Das gilt so ähnlich dann wohl auch für eine Entscheidung, die die so genannte Konferenz der Präsidenten des EU-Parlaments unter Pötterings Vorsitz hinter verschlossenen Türen und in aller Stille am vergangenen Donnerstag getroffen hat. Wieder ging es um die Spesen und Privilegien der EU-Abgeordneten und wieder waren die Entscheidungen
für Außenstehende nur schwer zu verstehen. Die Grünen und einige andere kleinere Fraktionen hatten vorgeschlagen, bei der so genannten „Allgemeinen Kostenpauschale“ die Zügel etwas straffer zu ziehen. Zur Zeit kassiert jeder der 785 Abgeordneten aus dieser Pauschale jeden Monat 4052 Euro für diverse Bürokosten. Irgendwelche Belege werden dafür – ähnlich wie übrigens im Bundestag bei einer ähnlichen Pauschale – nicht verlangt. Im Fall des Bundestages beschäftigen sich damit jetzt jedoch die Gerichte, was in der EU nicht möglich ist (normale Bürger haben hier praktisch kein Klagerecht).
Immerhin wollten im EU-Parlament Grüne und andere nun ausdrücklich folgenden Satz festschreiben: „Abgeordnete zahlen nicht benutzte Beträge (aus der Pauschale, hmt) an das Parlament zurück.“
Diesen Satz lehnte der deutsche SPD-Europaabgeordnete Martin Schulz im Namen der sozialistischen Fraktion in der Konferenz der Präsidenten
ab, dito die Fraktion der Europäischen Volkspartei, zu der die Parlamentarier von CDU und CSU gehören. Letztere waren übrigens - nach Angaben eines Sprechers - nicht über die Debatte in der Konferenz der Präsidenten informiert worden.

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Ebenfalls mit Mehrheit empfahl diese Konferenz offenbar eine andere fragwürdige Entscheidung: Man unterstützte einen Vorschlag, den hoch umstrittenen und rechtlich zweifelhaften so genannten
freiwilligen Pensionsfonds des EU-Parlaments auch in der kommenden Wahlperiode ab Sommer 2009 offen zu halten. Jedenfalls die Abgeordneten, die schon bisher in ihn eingezahlt hatten, sollten auch künftig neue Pensionsrechte erwerben dürfen. Und dafür vom Steuerzahler kassieren.
Diese Entscheidung ist besonders pikant. Denn dieser Pensionsfonds ist nicht nur außergewöhnlich großzügig, es fehlt ihm nach Ansicht des EU-Rechnungshofs überdies eine „ausreichende Rechtsgrundlage“. Teilnehmende Abgeordnete – darunter angeblich keine deutschen – müssen pro Monat nur ein Drittel (1143 Euro) ihres Beitrags selbst bezahlen; zwei Drittel (2286 Euro) zahlt das Parlament und damit der Steuerzahler. Bereits für fünf Jahre im EP winkt eine satte Pension von 1334 Euro im Monat. Für 20 Jahre sogar 5338 Euro. „Es ist ein großer Skandal. Man kann sich die Taschen voll machen und das sehr schnell“, sagt der niederländische EU-Abgeordnete Paul van Buitenen.
Der Skandal wird noch größer, wenn man weiß, dass es selbst im Parlament verbreitete Zweifel gibt, ob alle teilnehmenden Abgeordneten
überhaupt ihren Eigenbeitrag von 1140,75 Euro zahlen. Den bucht die Parlamentsverwaltung nämlich immer automatisch von der – oben erwähnten, beleglos ausgezahlten – allgemeinen Kostenpauschale ab. In der frommen Hoffnung, versteht sich, dass die Abgeordneten den Fehlbetrag irgendwie wieder ausgleichen.
Aus Sorge um den eigenen Ruf und um Missbrauch einen Riegel vorzuschieben, hatte das Parlamentsplenum darum auf Vorschlag des
Haushaltskontrollausschusses am 24. April 2007 einen mutigen Beschluss gefasst. Künftig möge man von den teilnehmenden Kollegen Beweise verlangen, dass sie die Kostenpauschale aus eigenen Mitteln wieder aufgefüllt hätten. Andernfalls seien ihnen die Zuschüsse zu sperren.
Es wäre Aufgabe des Parlamentspräsidium gewesen, die Regeln entsprechend dem Plenarbeschluss zu ändern. Aber das Präsidium rührte sich nicht. Und Pöttering mag nicht erklären warum - obwohl er im Präsidium nicht nur präsidiert (wie in der Konferenz der Präsidenten), sondern auch Stimmrecht hat. Aber war ja eine Kollektiventscheidung.
Jetzt soll – wie gesagt – der Pensionsfonds für Altabgeordnete sogar weiter offen bleiben. Während ein Teilnehmer der Konferenz
der Präsidenten mir sagte, auch Schulz habe für diese Weiterführung gestimmt, lässt der SPD-Mann selbst versichern, er habe das Parlamentspräsidium wegen rechtlicher Zweifel zu einer „juristischen Überprüfung“ dieses Plans aufgefordert.
Die wäre eigentlich gar nicht mehr nötig, wenn Schulz die schon erwähnte Entscheidung des Plenums des Europaparlaments vom 24.April 2007
beachtet hätte. Damals hatte das hohe Haus nämlich auch gefordert, mit Inkrafttreten eines neuen Abgeordnetenstatuts im Jahr 2009 nur noch früher erworbene Pensionsrechte zu bedienen. Das Plenum forderte das Präsidium damals auf, „die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen“.
Was es bisher nicht tat. Unter Pöttering. Aber kollektiv.