Zweitstimmenkampagne Grüne fürchten die große Koalition

Im Endspurt des Wahlkampfes haben die Grünen noch einmal eindringlich um Zweitstimmen geworben und vor einem schwarz-roten Bündnis gewarnt. Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele liebäugelt schon mit der Linkspartei - sehr zum Unmut seiner und der umworbenen Partei.

"Eine Stimme für die SPD könne in einer großen Koalition und einer Kanzlermehrheit für Angela Merkel untergehen", sagte Grünen-Chefin Claudia Roth. Spitzenkandidat Joschka Fischer rief zu einem starken Zweitstimmen-Ergebnis auf. Nur so bleibe Gerhard Schröder wie 2002 Bundeskanzler, sagte er. Fischer und auch Co-Parteichef Reinhard Bütikofer schlossen erneut ein anderes Bündnis als das mit der SPD aus. "Wir wollen eine rot-grüne Mehrheit", sagte Bütikofer. Im Gegensatz zur Parteispitze zeigte sich Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele offen für eine Koalition mit der Linkspartei.

Es gebe "eine ganze Reihe ähnlicher Positionen", sagte Ströbele der "Netzeitung". Als Beispiele nannte der Grünen-Politiker, der sein Direktmandat im Berliner Wahlkreis Kreuzberg-Friedrichshain verteidigen will, die Atompolitik und die Einführung der Vermögensteuer. Bütikofer sprach von einer wenig "sinnvollen" Einzelmeinung. Nach Einschätzung der Linkspartei-Bundestagsabgeordneten Petra Pau haben die Koalitions-Spekulationen nichts mit "realer Politik" zu tun. Fischer schloss in der "Frankfurter Rundschau" eine Ampel-Koalition ebenso wie Rot-Rot-Grün definitiv aus. "Die Grünen gehen vor den Konservativen nicht in die Knie", sagte er. Jede rot-grüne Zweitstimme müsse für die Grünen abgegeben werden. "Nur bei uns ist man sicher, wofür man stimmt."

Linkspartei und Grüne strikt gegen Ströbeles Annäherungskurs

Politiker der Linkspartei und der Grünen haben die Gedankenspiele des stellvertretenden Grünen-Fraktionsvorsitzenden Hans-Christian Ströbele über eine Zusammenarbeit bei der Parteien zurückgewiesen. Da die Grünen unter anderem der Hartz-IV-Reform zugestimmt hätten, hätten diese Spekulationen mit realer Politik nichts zu tun, sagte Petra Pau, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, am Freitag in Berlin.

Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sagte, eine rot-rot-grüne Regierung oder eine Tolerierung von Rot-Grün durch die Linkspartei werde es nicht geben. Ströbele hatte im Nachrichtensender n-tv gesagt, nach dieser Bundestagswahl komme eine Koalition nicht in Betracht, aber er sehe durchaus bereits Möglichkeiten, "dass man inhaltlich in dem einen oder anderen Punkt zusammenarbeitet".

Stimmen zur großen Koalition

"Ich will meine Arbeit in der jetzigen Koalition fortsetzen." (Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in der "Süddeutschen Zeitung" vom 9. September)

"In meinem politischen Leben war ich noch nie Juniorpartner." (Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am 23. Juli in der "Bild"-Zeitung zu seiner Rolle in einer Großen Koalition)

"Eine große Koalition, das ist nichts anderes als absoluter Stillstand." (Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel am 2. September auf dem CSU-Parteitag in Nürnberg)

"Eine große Koalition wird es nicht geben." (Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel am 12. September in der ARD-Debatte der Spitzenkandidaten)

"Eine große Koalition halte ich für die mit schlechteste Lösung, weil damit die Probleme Deutschlands nicht gelöst werden können. Wir können nicht mit denen eine Koalition eingehen, die wir verantwortlich machen für die negative Bilanz. ... Deswegen wird eine große Koalition keine handlungsfähige, stabile Regierung bringen. ... Und deshalb lehnen wir sie auch strikt ab." (CSU-Chef Edmund Stoiber am 13. September in München.)

"Wir lehnen in der CSU die große Koalition ab. Eine große Koalition bedeutet eindeutig große Probleme. ... Die einzige Konstellation, in der Schröder noch irgendwie Kanzler bleiben könnte, wäre Rot-Rot-Grün." (CSU-Generalsekretär Markus Söder am 15. September vor Journalisten in Berlin)

"Niemand hat das Recht einfach zu sagen: Lieber Wähler, wenn du eine bestimmte Koalition wählst, dann spielen wir einfach nicht mit." (Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), der damit im Südwestrundfunk am 13. September weder eine große Koalition noch eine Ampelkoalition ausgeschlossen hat.)

"Und von einer großen Koalition halte ich überhaupt nichts. Das wird 'ne Mikado-Koalition. Da sitzen sich zwei gegenüber. Und wer sich als erster bewegt, hat verloren. Es gibt keine Schnittmengen, keine gemeinsamen Projekte zwischen der Union und der SPD - weder bei der Steuer, ... noch bei der Reform der sozialen Sicherungssysteme." (Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) am 14. September in N24.)

CDU-Vize Böhr nicht gegen Schwarz-Rot

Scharf kritisierte Roth Überlegungen von SPD-Spitzenpolitikern über ein Bündnis mit der Union. In einer großen Koalition gebe es jede Menge Platz für Stillstand. Die Beispiele auf Länderebene zeigten das sehr drastisch, warnte sie. Ähnlich äußerte sich Umweltminister Jürgen Trittin. "Gerade weil es sehr knapp wird, gebietet es, die Grünen zu wählen", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Eine Stimme für die SPD könne am Ende zu Schwarz-Rot führen, sagte er. "Dann gibt Steinbrück den Kirchhof unter Merkel." Der ehemalige nordrhein-westfälische SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück gilt als Sympathisant einer großen Koalition. Der Heidelberger Professor Paul Kirchhof firmiert als möglicher Finanzminister im Schattenkabinett der Union.

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Christoph Böhr schloss eine große Koalition nicht aus. Wenn es für Schwarz-Gelb nicht reichen sollte, habe die Union die "staatsbürgerliche Pflicht", mit der SPD darüber zu reden, "wie das Notprogramm einer großen Koalition aussehen soll", sagte Böhr im Fernsehsender N24. CSU-Generalsekretär Markus Söder wandte sich in der "Netzeitung" jedoch gegen ein Bündnis mit der SPD. Zwar müssten "theoretisch" alle demokratischen Kräfte miteinander koalitionsfähig sein, sagte er. Eine große Koalition werde aber in der Praxis nicht funktionieren, sondern nur Probleme bringen.

Merz ist nach Umfragen Wunsch-Finanzminister

Der ehemalige Unionsfraktionschef Friedrich Merz ist nach einer am Freitag veröffentlichten Umfrage der Wunsch-Finanzminister der Bundesbürger. Bei der Erhebung des Instituts TNS Infratest für den "Spiegel" sprachen sich 47 Prozent der insgesamt 1.000 befragten Wahlberechtigten für den CDU-Politiker aus, der als Erfinder der Steuererklärung in Bierdeckel-Größe gilt.

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Christoph Böhr sagte indes voraus, dass Merz einem Kabinett Angela Merkel mit einem anderen Ressort angehören werde. Als Finanzminister einer möglichen Regierung aus CDU/CSU und FDP sieht Böhr, wie er in der N24-Sendung "Friedman und Strunz" sagte, dagegen den Steuerrechtler Paul Kirchhof, der in Merkels Kompetenzteam auch offiziell für diesen Posten vorgesehen ist. Bei der Umfrage schnitt der Heidelberger Professor allerdings gar nicht gut ab: Nur elf Prozent wollen ihn als Nachfolger Hans Eichels sehen, der selbst mit 22 Prozent noch doppelt so viel Zustimmung fand. An letzter Stelle der möglichen Kandidaten für das Finanzministerium lag der FDP-Politiker Hermann Otto Solms mit drei Prozent.

CDU-Vizeparteichef Böhr sagte in der Fernsehdiskussion am Donnerstagabend: "Kirchhof wird der künftige Finanzminister." Er könne sich schlecht vorstellen, dass Merz Staatssekretär unter Kirchhof werde, fügte Böhr hinzu, der auch Landesvorsitzender der CDU in Rheinland-Pfalz ist. "Egal, ob Merz oder Kirchhof am Steuer sitzen, wir werden unser Wahlprogramm umsetzen", betonte er weiter. Gleichzeitig sprach sich Böhr dafür aus, dass FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt Außenminister und der stellvertretende FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle Wirtschaftsminister in einem schwarz-gelben Kabinett werden.

AP