Zwischenruf Schröders Schild ist weg

Die Irak-Politik des Ex-Kanzlers hat Deutschland vor islamistischem Terror bewahrt - die jüngste Entführung ist eine Warnung, nicht nur für Angela Merkel. Aus stern Nr. 50/2005

Es ist, als wäre ein Schutzschild weggezogen worden. Viele ahnen es, doch diese Ahnung wird nur behutsam formuliert, denn die Indizien sind noch brüchig. Die Entführung Susanne Osthoffs im Irak wenige Tage nach dem Kanzlerwechsel in Berlin aber muss aufs Höchste alarmieren: Auch Deutschland, das ist zu fürchten, wird nun Ziel des islamistischen Terrors. Gerhard Schröders Nimbus schützt nicht mehr.

Mehr als 200 ausländische Geiseln wurden im Irak seit dem amerikanischen Einmarsch im März 2003 genommen; kein einziger Deutscher - heute leben dort noch etwa 100 - wurde zum Opfer. Nun also zum ersten Mal, und wenn die martialische Maskerade der Entführer vielleicht auch noch keine Kriegserklärung an die neue Kanzlerin ist, so muss sie die Entführung doch als kalkulierte Warnung begreifen - vor einer Abkehr vom Kurs ihres Vorgängers.

Schröder gewann durch die Verweigerung des Irak-Feldzugs enormes Prestige, rund um den Globus und nirgendwo so ausgeprägt wie in der arabisch-islamischen Welt. Er war die Zentralfigur der Achse der Renitenz, die Berlin, Paris, Moskau und Peking verband. Er war und ist in der Dritten Welt ein Held des Widerstands gegen das verhasste Amerika. Das hat viel Schrundiges wattiert, auch die militärischen Missionen Deutschlands in Afghanistan und am Horn von Afrika.

Es gab Angriffe auf deutsche Soldaten am Hindukusch, im Juni 2003 wurden vier getötet, jetzt, nach der Wahl, wieder einer - aber es hätte, gemessen an der höchst riskanten militärischen Führungsrolle in Afghanistan, viel verheerender kommen können. Deutschland selbst blieb von islamistischem Terror verschont. Schröders faszinierende Positionierung gegen die USA, von den Deutschen bei der Wahl 2002 mit einem fulminanten Sieg belohnt, schien die Bundeswehr-Missionen zu überlagern, fast zu entschuldigen.

Das ist nun vorüber. Die italienische Journalistin Giuliana Sgrena, vier Wochen in der Hand irakischer Kidnapper, berichtet in der "Zeit": "Sie waren über jeden Wechsel in Europa gut informiert und verfolgten über Satellit die ausländischen Informationssendungen." Beispiele belegen, wie aufmerksam islamistische Terroristen die europäische Politik beobachten - und wie sie versuchen einzugreifen. Die Bombenanschläge vom 11. März 2004 in Madrid, mitten im Wahlkampf, führten zum Sturz der konservativen Regierung und zum Abzug der spanischen Truppen aus dem Irak. Wenig später bot Osama bin Laden den Europäern einen "Waffenstillstand" an, wenn sie ihre Truppen aus den islamischen Ländern abzögen.

Spektakuläre Beispiele zeigen, wie aufmerksam islamistische Terroristen die Politik in Europa beobachten - und wie sie versuchen einzugreifen

Angela Merkel, als Frau in solchen Zirkeln ohnehin suspekt, wurde von vornherein mit ihrer proamerikanischen Haltung in der Irak-Krise identifiziert. Seit ihrer Amtsübernahme liefert sie sich ein stilles Ringen mit ihrem Außenminister Frank-Walter Steinmeier, dem Mann Schröders in der neuen Regierung, um die Veränderung der Außenpolitik, wenn auch zunächst nur in Nuancen. Sie meidet, im Gegensatz zu Steinmeier, den Begriff der "deutsch-französischen Achse", sie rückt vorsichtig ab von Moskau und Peking, und sie streichelt den Briten Tony Blair, von seinen Kritikern als Amerikas "Pudel" in Europa verspottet.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Einen Tag nach der Kanzlerwahl, keiner ihrer Vorgänger hat das je so früh und so demonstrativ getan, besuchte sie zudem das Nato-Hauptquartier in Brüssel, und dort wie in ihrer Regierungserklärung verkündete sie, dass das desolate Bündnis wieder "das zentrale strategische Konsultations- und Koordinierungsforum" werden solle.

Merkels Festlegung, Deutschland werde auch künftig irakische Sicherheitskräfte nicht in dem Bürgerkriegsland selbst ausbilden, hilft nicht viel im Urteil islamistischer Terroristen. Denn mit Schröders Abgang und dem Ende seiner überstrahlenden Symbolkraft rückt genau jene kleinteilige, unspektakuläre Beteiligung an der westlichen Irak-Politik ins Scheinwerferlicht, die er selbst installiert hatte. Osthoffs Entführer forderten das Ende der Zusammenarbeit mit der irakischen Regierung.

Nun wird auch dem Publikum bewusst, wie vielfältig die ist: Ausbildung von Soldaten und Polizisten in arabischen Nachbarländern, aber auch in Deutschland; dazu humanitäre, technische und finanzielle Hilfe. Und die Berichte über geheime CIA-Häftlingstransporte über Frankfurt setzen die Deutschen dem Verdacht aus, sie schlössen die Augen vor den dubiosen Methoden des Verbündeten. Der Schutzschild Schröder ist weg, nun wird sichtbar, dass Deutschland keineswegs irgendwie neutral ist, sondern westlich verankert. Das hat für die neue Regierung, das hat für das Land Konsequenzen, auch bedrohliche.

Schröder übrigens könnte dabei womöglich noch dienlich sein: Wenn er sein Ansehen im einen oder anderen Krisenfall als Türöffner im Ausland einsetzt - nicht für einen Schweizer Verleger, sondern für sein Land.

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Hans-Ulrich Jörges