Glück an Bayerns Seen Mit der Badehose in die Berge

Von Markus Wolff
Unser Team ließ sich durchs Voralpenland treiben, ruderte auf dem stillen Hintersee, angelte am Schliersee und nahm das Bombenwetter wörtlich. "Splashdiving" und "Nichtstun unter Idealbedingungen".

Still ruht der See, nur ein paar Junge Männer quatschen, sind mit nacktem Oberkörper über das Geländer der Brücke gestiegen und blicken aufs Wasser, das unter ihnen funkelt wie eine strassbesetzte Decke. Wer der Erste sein will, fragt einer. Aber nicht auf die Steine klatschen, sagt ein anderer. Musst dich gut abdrücken, meint ein Dritter. Und los, ruft dann der Vierte, und so machen sie laut juchzend, was anderen Menschen in Albträumen passiert: kopfüber in einen See stürzen.

Nacheinander fliegen sie durch die Luft, rudern mit den Armen, strampeln mit den Beinen, tauchen ein, tauchen auf. Schlagen lachend mit der Hand aufs Wasser. Wie man es eben macht im Sommer am Walchensee, wenn Bombenwetter herrscht.

Vielmehr: Arschbombenwetter

Diese Art von Tag, bei dem die Sonne wie ein heißer Knopf am Himmel über Bayern hängt und man gar nicht genug vom See bekommen kann. In den man hineinspringen muss. Am besten ein Bein angezogen und mit dem anderen senkrecht eingetaucht. So, dass die Wasserfontäne für einen Augenblick sogar den Gipfel des höchsten Berges zu überragen scheint.

Ärgerlich natürlich, dass ich am perfekten Sprung bislang gescheitert bin. Mein erster Versuch in den Walchensee war eher ein Bömbchen als eine Bombe und außerdem im Schritt so schmerzhaft, dass ich mich von meinem Debüt als "Splashdiver" zunächst auf meinem Handtuch erholen muss. Auf dem Rücken liegend, blicke ich entspannt in den Himmel. Fantasietiere in Wolkenform ziehen vorüber. Mäusebüffel, Hasenadler.

An Tagen wie diesen, keine Frage, gibt es keinen schöneren Ort als den See, diesen eher ruhigen, zurückhaltenden Bruder des Meeres. Der nicht viel von Machtdemonstrationen hält und beim kleinsten Wind gleich eine große Welle macht. Der jeden, der Risiko oder die ganz große Herausforderung sucht, früher oder später an seine sandigen, steinigen oder bewaldeten Grenzen stoßen lässt. Der aber wie gemacht ist für das kleine Erlebnis nach Feierabend, Miniatur-Abenteuer am Wochenende, für den gelassenen Uferblick auf die Welt.

Der "Louis Vuitton" unter Bayerns Gewässern

Etwa 200 natürliche Seen liegen in Bayern. Große, kleine, tiefe, flache, an heißen Sommertagen aber vor allem: laute und stille. Doch selber schuld ist, wer wie beim Kleidungkaufen nur auf große Namen achtet und Ausflüge allenfalls zum Tegernsee für lohnend hält, zum Chiemsee oder dem Starnberger See, dem "Louis Vuitton" unter Bayerns Gewässern. Denn die schönsten finden sich oft in der zweiten Reihe, im Schatten der Seen-Prominenz. So viele gibt es von diesen, dass man für ein abwechslungsreiches Seen-Wochenende eine strikte Auswahl treffen muss.

Übernommen aus:

Geo Saison, Heft August 2014, ab sofort für 6 Euro am Kiosk. Hier finden Sie auch die vollständige Reportage und den Serviceteil.

Ich habe mich für einen der ganz abgeschiedenen entschieden (Hintersee), einen der lebendigsten (Schliersee) und das ultimative Nichts-wie-rein-Gewässer, den Walchensee. Mit 16 Quadratkilometern gehört dieser immerhin zu den Big Five Bayerns. Einer der tiefsten der gesamten Alpen ist er außerdem.

Fast 200 Meter könnte ich mich nach allen Regeln der "Splashdiver"-Kunst sinken lassen, wenn ich als "Cannonball" (gehockt), "Ripper" (gestreckt) oder "Small Cat" (gebuckelt) in den See springen würde. Oder Freestyle. Wie es jene jungen Männer von der Brücke tun, die aus Remscheid eigentlich zum Mountainbiken nach Bayern und extra für einen Tag von Füssen zum Walchensee gekommen sind. "Den müsst ihr sehen", hatten die Eltern des einen gesagt, "weil der so geil türkis ist."

Wundervolle Ereignislosigkeit

So kommen die einen wegen der Farbe hierher, Taucher wegen der guten Unterwassersicht, Wassersportler wegen des Windes oder Menschen wie ich wegen ihrer Liebe zum Nichtstun unter Idealbedingungen. Wo kein Motorbootlärm stört. Wundervolle Ereignislosigkeit. Pärchen dösen in der Sonne, Wespen schwirren um Safttüten, Neoprenanzüge trocknen an Astgabeln. Es ist die Unaufgeregtheit, die selbst diejenigen schätzen, die einmal ein weitaus wilderes Leben geführt haben.

Menschen wie Anna Werner zum Beispiel, die in den Sechzigerjahren als eine Art Volksmusik-Hippie in den USA und Mexiko Konzerte gab, danach mit ihrer Tochter im Münchner "Harem" des Kommunarden Langhans lebte. Nun pflegt sie am Walchensee die Mutter, die früher das einzige Café direkt am Ufer führte. Inzwischen ist das "Bucherer" an ein Paar aus München verpachtet, ein etwa zu gleichen Stücken aus Garten und Sahnetorten bestehendes Idyll, an dem sich von blau-weiß gedeckten Tischen aus bestaunen lässt, was alles nicht passieren kann; nur einmal treibt an diesem Nachmittag ein Boot vorbei und einmal eine Tüte. Nicht viel unruhiger also als zu jener Zeit, als Frau Werner am Walchensee aufwuchs und es statt Surfern noch Lampionfahrten gab.

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