Nach einer am Mittwoch veröffentlichten Studie der Boston Consulting Group dürften Reisende bis zum Jahr 2020 auf knapp der Hälfte der wichtigsten Strecken in Europa ihr Ziel schneller mit der Eisenbahn als mit dem Flieger erreichen. "Ich könnte mir vorstellen, dass es in zehn Jahren in Europa drei internationale Airlines und drei internationale Bahnbetreiber gibt, die in unterschiedlichen Netzwerken zusammenarbeiten", sagte Martin Koehler, der weltweit für den Sektor zuständige Tourismusexperte der Beratungsgesellschaft Boston Consulting. Vor allem Airlines könnten angesichts des zunehmenden Wettbewerbs durch Hochgeschwindigkeitszüge von Partnerschaften mit der Eisenbahn profitieren.
Mit dem Zug zum Langstreckenflug
"Bei Reisen zwischen Geschäftszentren, die durch Hochgeschwindigkeitszüge in weniger als drei bis vier Stunden verknüpft werden, ist der Zug künftig überlegen. Dies sind nicht nur Strecken mit besonders hohem Passagieraufkommen - sie sind bislang für Fluggesellschaften auch sehr profitabel", sagte Koehler. Verdrängt wurden Airlines bereits auf Strecken wie jener zwischen Frankfurt und Köln, die seit der Eröffnung der ICE-Strecke von vielen Gesellschaften nicht mehr angeflogen wird. Ähnliches könnte ihnen auf profitablen Strecken wie Rom-Mailand oder Madrid-Barcelona drohen. Um nicht klein beigeben zu müssen, könnten Airlines versuchen, über Kooperationen mit der Bahn ihre Langstreckenflugzeuge zu füllen.
Verstärkt wird der Wettbewerb mit der Schiene ab 2010 durch die Marktöffnung im europäischen Fernverkehr. Damit fallen die Monopole von Großkonzernen wie der Deutschen Bahn und der französischen SNCF. Bei den verschiedenen Bahnunternehmen gebe es bereit jetzt Planspiele, über die Landesgrenzen hinaus zu wachsen. Gute Chancen, sich auch im Ausland zu behaupten, hätten beispielsweise die Deutsche, die Französische und die Schweizer Bahn, sagte Koehler. Alle drei Unternehmen würden auch außerhalb ihres Heimatmarktes hohes Ansehen und Bekanntheit genießen. Die Deutsche Bahn etwa sondiert bereits ihre Chancen für eine Beteiligung am Schienenkonzern Eurostar mit seinen Verbindungen durch den Tunnel zwischen Frankreich und Großbritannien, um langfristig auch Strecken nach London zu bedienen.
Dennoch dürften sich auch die großen Bahnbetreiber untereinander nicht frontal angreifen. "An feindliche Vorstöße glaube ich derzeit noch nicht", sagte Koehler. Dadurch könnten viele Eisenbahnen mehr verlieren als gewinnen. Anstatt sich gegenseitig Marktanteile streitig zu machen, sollten Bahnunternehmen und Fluggesellschaften auf Autofahrer setzen, die vor allem in Deutschland und Großbritannien immer noch die größte Zahl der Fernreisenden ausmachen. Mehr als 30 Prozent der Autofahrer würden der Studie zufolge auf Bahn oder Flugzeug ausweichen.
Reuters