Es gab eine Zeit, da konnten Worte Berge bewegen. Sie konnten sie zwar nicht versetzen, aber doch verwandeln, in Sehnsuchtsorte oder Pilgerstätten, mitunter auch in Reviere für Abenteurer und Wagemutige. Sir Arthur Conan Doyle wusste, wie man Geschichten erzählt. 1887 schuf er Sherlock Holmes, den berühmtesten Detektiv der Welt, und nebenbei verzauberte er in der Schweiz ein ganzes Bergmassiv.
Im Winter 1894 begleitete der britische Schriftsteller die Brüder Tobias und Johann Branger auf ihrer Skitour von Davos nach Arosa. Die beiden Männer hatten den Alpenpass im Jahr zuvor erstmals im Schnee bezwungen, und nun wollte Conan Doyle ihre Heldentat zu einer Kurzgeschichte verdichten. Conan Doyle konnte kaum Skifahren, aber das schreckte ihn nicht. Im Gegenteil: Sein eigenes Unvermögen hielt er für besten Erzählstoff.
Conan Doyle beschreibt sehr präzise, wie er auf 2,40 Meter langen Holzlatten durch den Graubündner Winter stolperte; er spottet und schmunzelt fortwährend über sich selbst. Diese Ski, gebaut von Davoser Radmachern, sie sind dem Schotten ein Rätsel: "Du ziehst sie an und wendest dich mit einem Lächeln nach deinen Freunden um, um zu sehen, ob sie dir auch zuschauen – und dann bohrst du im nächsten Augenblick deinen Kopf wie verrückt in einen Schneehaufen hinein und strampelst wahnsinnig mit beiden Füßen, um, halb aufgestanden, von neuem wieder im gleichen Schneewall unrettbar zu ertrinken."
Traumziel vieler Tausend Landsleute
Die launige Schilderung dieses Selbstversuchs erschien 1894 im Londoner "Strand Magazine". Und sie hatte Wucht. Sie machte die Davoser Berge über Nacht zum Traumziel vieler Tausend seiner Landsleute. Und von manchen Spuren, die die Briten vor hundert Jahren auf den schneebedeckten Hängen hinterließen, profitieren Wintersportler noch heute.
Da ist zum Beispiel die Parsennabfahrt, wohl eine der schönsten Routen in Europa. Zwölf Kilometer lang, sanft in der Neigung, breit genug für weite Carvinglinien, und ein Teilstück führt durch einen verwunschenen Nadelwald. In den wenigen Lichtungen wirft die Sonne bizarre Muster auf den Schnee, Schattenbilder der Baumkronen, die im Wind wogen.
Die Parsenn: eine zwölf Kilometer lange Traumabfahrt
Die Parsenn ist eine Abfahrt, an der sich Beat Däscher, 67, noch immer berauschen kann. Däscher, weißer Vollbart, braunledrige Gesichtsfarbe, arbeitet seit 45 Jahren als Skilehrer in Davos. Er ist die Parsenn unzählige Male gefahren, nicht nur mit seinen Schülern, er fährt sie auch heute noch allein, wenn er Zeit für sich hat. "Die Parsenn hat eine herrliche Melodie", sagt Däscher, "schöne Rhythmuswechsel, an guten Tagen wird ein Tanz draus."
Ein Geschenk der Natur, könnte man meinen. Däscher weiß es besser und erzählt die Geschichte der Abfahrt während einer Seilbahnfahrt auf den Weissfluhgipfel, den Startpunkt der Tour. "Die Architekten der Parsenn waren vier britische Touristen", sagt Däscher und reibt sich vergnügt den Bart. "Aber unfreiwillig."
Sie hatten Conan Doyles Artikel gelesen und wollten 1895 die Tour von Davos nach Arosa nachfahren. Skilaufen konnten sie ganz passabel, aber Ortskenntnis besaßen sie keine. Sie irrten umher, mussten ungeplant in einem Heuschober übernachten und kamen am nächsten Tag auch nicht in Arosa an, sondern in einem Dorf namens Küblis. Der einzige Trost, der dem britischen Quartett blieb nach zwei durchfrorenen Tagen in freier Natur: Sie hatten eine wunderbare Abfahrt entdeckt. Viel geschmeidiger, viel zugänglicher als der anspruchsvolle Passweg nach Arosa.
Weltdorf Davos in den Bergen
Der Naturgenuss auf der Parsenn genügte den Briten bald nicht mehr. Sie wollten sich messen, sich duellieren, und so veranstalteten sie 1924 erstmals das "Parsenn Derby", das sich später zum populärsten Volksskirennen der Schweiz entwickelte.
Der Ehrgeiz der Briten, ihr Entdecker- und Erfindungsgeist, prägt Davos bis heute. Die 12.600 Seelen große Gemeinde ist ein Weltdorf. 30 Prozent der Bevölkerung stammen aus dem Ausland. Davos ist jährlicher Gastgeber des "World Economic Forums", Sitz von fünf Forschungsstätten, es verfügt über renommierte Kliniken mit Spezialisierung auf Lungenerkrankungen. Ein kluger, akademischer Ort in den Alpen, aber eine seiner größten Erfolgsgeschichten ist noch immer eine handfest-hölzerne: der Davoser Schlitten.
Und natürlich haben auch die Briten daran gehörigen Anteil.
Beim Schlittenbauer in der Werkstatt
Paul Ardüser, 53, steht in seiner Schreinerei. Es duftet nach frisch gehobelter Esche, feine Späne fliegen durch den Raum, wie Schneeflocken. Ardüser poliert gerade die Kufen. Letzte Handgriffe. Sieben Stunden Arbeit stecken nun in dem Schlitten. "Ein Davoser Schlitten ist wie eine Uhr, die man vererbt", sagt Ardüser, "und deshalb geben wir eine lebenslange Garantie."
Ardüser führt die Schreinerei in dritter Generation, schon sein Großvater baute Schlitten. Doch es gibt einige Jahrzehnte in der Firmengeschichte, da ruhte die Produktion völlig. Die Marke "Davoser Schlitten" ist nicht geschützt, die Konstruktion auch nicht, und so wurden die Sportgeräte ab den 1950er Jahren günstig in Osteuropa hergestellt.
Erst seit zwei Jahren arbeitet Ardüser wieder an heimischen Schlitten. 125 Stück verkaufte er in der ersten Saison zum Preis von jeweils 600 Euro. Gebaut wird nach alten Plänen, mit Materialien aus der Region und kaltgezogenem Stahl aus Norditalien. So wie zu Zeiten von Ardüsers Großvater.
Der erlebte noch die große Zeit des Davoser Schlittens mit. Die Briten veranstalteten 1883 das erste international besetzte Rennen, es führte über die Poststrasse von Davos nach Klosters. Der Kunsthistoriker John Addington Symonds beaufsichtigte die Wettfahrt als Schiedsrichter, und auch Sir Arthur Conan Doyle mischte mit. Er stiftete einen Silberteller als Siegespreis für ein Damen-Schlittenrennen.
So großzügig war Conan Doyles Gabe letztlich nicht. Seine Ehefrau Louisa gewann das Rennen und nahm den Teller gleich wieder mit Hause.
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