Keine Häuser, keine Straßen weit und breit. Wasser umschließt die baumlose, karge Landschaft, durchbrochen von glitzernden Seen. Plötzlich tauchen bunte Häuser auf, die sich in einer Bucht aneinander reihen. Kirkenes, 2480 km nördlich von Oslo gelegen, ist erreicht. Der Ort mit seinen 10.000 Einwohnern ist keine besonders schöne Stadt. Nur 11 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, hielten sich hier während des Zweiten Weltkrieges die Deutschen auf. Was 1944 nicht durch russische Bomben zerstört wurde, haben die Deutschen bei ihrem Abzug niedergebrannt. Die Bevölkerung überlebte in den Grotten und Gängen der Erzeisengruben unter der Stadt. Kirkenes wurde wieder im funktionalem Nachkriegsstil aufgebaut.Die ehemalige Grubenstadt hat in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt, denn seit Öffnung der russischen Grenze ist es wieder zum Handel mit Murmansk (etwa 250 km entfernt) gekommen. Eisbrecher sorgen für Eisfreiheit des Hafens, wo zahlreiche Russenschiffe wieder aufpoliert werden. Wer einmal über die russische Grenze schauen möchte, kann dies bei dem Ort Grense Jacobselv tun.
Wir machen eine Bootstour mit dem Krabbenfischer Odd. Nur 50 Fischer haben eine Lizenz, um die Königskrabbe zu fangen, die bis zu neun Kilo schwer werden kann, 1 1/2 Meter im Durchmaß. Sie fressen enorme Mengen und nehmen so den Fischen die Überlebenschance. Odd spricht russisch: "Das ist wichtig hier an der Grenze, aber mit den russischen Grenzsoldaten haben wir keinen Kontakt. Wir beobachten uns nur gegenseitig durch den Feldstecher. Nur einmal im Jahr treffen wir uns zu einem Fußballspiel!"Vom Rica Arctic Hotel zum besten Restaurant des Ortes sind es nur wenige Gehminuten. Der Besitzer des rustikalen Restaurants "Vin & Vilt" – Wein & Wild- ist der fröhliche Däne Hans Henrik Gunnermann. Er lädt ein zu seinem "Arktischen Menü", raffiniert zubereitete nordische Köstlichkeiten wie Renntier, Schneehuhn oder Königskrabbe. Zum Nachtisch gibt es Beeren aus der Gegend wie Blaubeeren, Preiselbeeren oder Moltebeeren, eine Art gelbliche Brombeeren. Auch Monika aus dem Badischen war so fasziniert vom äußersten Norden Europas, dass sie sich hier oben nach einem Job umschaute und nun deutsche Touristen auf ihren Touren inklusive Abstecher nach Russland begleitet. "Ich werde bestimmt einige Jahre bleiben. Die Menschen sind besonders freundlich und die Landschaft ist faszinierend. Nicht nur der Sommer mit seiner klaren Luft und den endlosen Tagen ist reizvoll, auch der trocken-kalte Winter bei durchschnittlich –15 Grad mit viel Schnee, zugefrorenen Seen und der Dunkelheit hat seinen Reiz."
Ein zehnminütiger Kurzflug bringt Touristen über den Fjord nach Vadsø. Hier gibt es die dünnstämmigen Birken nicht mehr, diese Gegend ist baumlos. Es weht ein eisiger Wind. In dem kleinen Ort Ekkerøy werden nicht nur hübsche Holzhäuser von den Fischern an Feriengäste vermietet, hier gibt es sogar ein uriges Fischlokal, "Havhesten" -Seepferdchen- auf einem Bootsanleger. Sich hier von den wettergegerbten Bewohnern verwöhnen zu lassen, während draußen der Wind tobt und die Sonne die Landschaft in ein dunkles Gelb taucht, das ist das einzigartige Erlebnis des Nordens. Die Bewohner haben sich noch eine besondere Touristen-Attraktion ausgedacht: "Deep-Sea Rafting". Warm verpackt in wasser-und winddichten Overalls, mit Handschuhen und Mütze geht es in einem stromlinienförmigen Schlauchboot an der Küste entlang zurück nach Vadsø.Die Busfahrt nach Vardø führt wieder durch ein aufregendes Gebiet. Es geht durch eine nackte Gesteinslandschaft, über eine Moos bewachsen Hochebene, wo zahlreiche Schafe in Herden die Gegend durchziehen, durch üppige Flusstäler. Vardø ist Norwegens einzige Stadt, die in der arktischen Klimazone liegt, der östlichste Ort Norwegens.
Die Menschen leben vom Fischfang und von der Fischverarbeitung. Durchschnittlich gibt es im Jahr 1,9 Tage mit der Höchsttemperatur von 20 Grad Celsius. Vardø hat auch eine Anlegestelle für das ehemalige Postschiff Hurtigruten, ein bei Touristen äußerst beliebte Schiffstour, mit der es durch unzählige Fjorde entlang der norwegischen Küste geht. Pünktlich um 17.45 verlässt die "Kong Harald" mit einem lauten Abschiedsgehupe den Hafen von Vardø, um nach diversen Zwischenstopps gegen sieben Uhr am nächsten Morgen in Honningsvåg anzukommen. Der kleine Fischerort ist Ausgangspunkt für Fahrten zum Nordkap, Europas nördlichstem Punkt. Hier scheint die Sonne 77 Tage im Jahr rund um die Uhr, von Mitte November bis Mitte Januar taucht sie überhaupt nicht auf. Die Mitternachtssonne und die Polarnacht sind zwei Phänomene, von denen die Menschen hier oben geprägt sind. Die Natur am Nordkap ist wechselhaft und unberechenbar. Jährlich kommen viele Tausend Touristen aus der ganzen Welt, um den nördlichsten Punkt Europas zu besuchen. Die Nordkaphalle ist ein großes Gebäude aus Stein. Ein anderes Material würde den Attacken der Natur nicht standhalten.
Das Kap liegt auf der Insel Magerøya. Hier leben nur noch Samen mit Ihren Rentieren. Die Samen wurden noch bis vor wenigen Jahren diskriminiert, sie durften ihre Sprache nicht sprechen. Inzwischen wird samisch in den Schulen unterrichtet, ein neues Selbstbewußtsein entsteht. Nils ist ein freundlicher Mann, traditionell in der bunten Tracht der Samen gekleidet. Er ist heute noch Nomade und zieht mit seinen Rentieren durch die karge Landschaft des Nordens, der Finnmark. Das Interesse der Touristen an der fremden Kultur der Samen führte dazu, dass in Karasjok der samische Themenpark "Sápmi" eröffnet wurde. Hier erfahren die Besucher mehr über die Kultur, Mythologie, Ernährung und Lebensgewohnheiten der Samen, die früher Lappen genannt wurden. In einem riesigen "Lávvu", einem Zelt der Samen, wird traditionell zubereitetes Essen offeriert. Alta gilt als eines der ältesten Orte der Gegend. Bereits vor 9000 Jahren lebten hier Menschen von Fischfang und Rentierjagd. Im Freilichtmuseum sind prähistorische Felszeichnungen zu bewundern, die zum Weltkulturerbe der UNESCO gehören.Es heißt Abschied nehmen von einer rauhen Welt, von freundlichen Menschen, die in Harmonie mit einer extremen Natur leben. Die Fahrt zum kleinen Flughafen geht vorbei an grasenden Rentieren mit riesigem Geweih. Eine Gruppe der großen Tiere haben sich auf der Straße versammelt. Nur lautes Rufen lässt sie langsam den Weg frei machen.