Eine Fahrt entlang der Südküste Gran Canarias gleicht einer seltsamen Zeitreise. Innerhalb kürzester Zeit gelangt man dort von den 60er und 70er Jahren bis in die Gegenwart. Vorbei an den funktionalen Hotelbausünden von einst, die sich vor allem in Playa del Inglés wild wuchernd ineinander verschachteln, bis zur hochmodernen Anhäufung von Vier- bis Fünf-Sterne-Resorts im neuen, schicken Touristenort Meloneras. Weil nichts abgerissen, sondern immer einfach nur weiter gebaut wurde, ist so auf ein paar Kilometern in Beton gegossen, dass früher die Nachfrage groß und der Komfortanspruch der Massentouristen eher gering war. Unübersehbar, dass die zweitgrößte kanarische Insel vor einigen Jahren durch den gedankenlosen Hotelbauwahn langsam in die Krise rutschte.
Die Besucherzahlen der Vulkaninsel vor der Küste Afrikas sind in den vergangenen Jahren immer ein Stückchen weiter gesunken: Kamen 1999 noch rund 3,1 Millionen Touristen, waren es 2008 nur noch knapp 2,7 Millionen. Die Ansprüche der Touristen haben sich offensichtlich verändert. Die Konkurrenz, wie die Türkei, hat kräftig aufgerüstet. Auf Gran Canaria mussten deshalb neue Konzepte her: Seit einigen Jahren wird versucht, vom Image des Billigurlaubs und Rentnerparadieses wegzukommen. Dafür probiert man den Spagat und will exklusiver für die Massen werden - mit ungewöhnlichen Ideen für Hotelanlagen, mit saftig grünen Golfplätzen in der trockenen, kargen Steinlandschaft und mit mittlerweile über einem Dutzend Wellness- und Spa-Arealen.
Massage mit Atlantikblick
Wellness ist dabei aber nicht immer gleich Wohlfühlurlaub, sondern unter Umständen kaum mehr als ein kleines Schwimmbecken mit ein, zwei Saunen, fünf Liegen und ein paar Massageräumen. Beispielhaft hingegen ist das Thalasso-Corallium in Lopesans Villa del Conde in Meloneras. Das Meerwasserbad mit seinen Sprudel-, Entspannungs- und Schwebebecken beeindruckt mit seinem reduzierten Design und klarer Eleganz. Die Massagen und Anwendungen kann man sich vorm Panoramafenster mit unverbautem Atlantikblick geben lassen.
Das Villa del Conde zeigt, dass es auf Gran Canaria auch anders geht. Der Ausblick, den die vielen Mittelstandsfamilien und Pärchenurlauber von den Liegen rund um die Pool-Landschaft aus teilen, fällt dort nicht auf abweisendes Grauen in Bienenwabenarchitektur. Stattdessen ist die Anlage in einer Mischung aus Größenwahnanflug und geschmackssicherer Künstlichkeit einem kanarischen Dorf nachempfunden - mit 561 Zimmern. Die verteilen sich über fast ein Dutzend unterschiedlicher Häuser im kanarischen Stil, während der Nachbau einer der ältesten Kirchen der Insel, der Iglesia de San Sebastian, als Empfangshalle dient.
Perfekt arrangierte Geranienblüten
In Puerto de Mogán, abseits des Touristenzentrums, verfolgt das etwas bodenständigere Cordial Mogán Playa ein ähnliches Konzept. Auch dort verschwinden die knapp 500 Zimmer in zahlreichen Häusern, die sich zwischen Swimmingpools und üppig grüner Bepflanzung auf einem weitläufigen Gelände verteilen. Dadurch ist es trotz der Urlauberherden durchaus möglich, Ruhe in der Masse zu finden. Zwar ist man im einstigen Fischerdorf Mogán ohne Mietwagen etwas abgeschnitten vom Rest der Insel. Dafür befindet sich das Cordial im wohl schönsten Ort Gran Canarias, dessen Hafenviertel bis in die letzte, perfekt arrangierte Geranienblüte fast schon unheimlich malerisch ist.
Selbst in solchen Anlagen wie dem Cordial oder auch dem Villa del Conde sind die Übernachtungen derzeit verhältnismäßig günstig zu haben. Die Krise ist auch dort angekommen. Doppelt durchgeschlagen hat sie jedoch an dem Ort, wo es vor über vier Jahrzehnten die ersten Pauschalurlauber hinzog: In Playa del Inglés kommt zur globalen Wirtschaftskrise noch die selbst verschuldete dazu. Auch deutschen Touristen reicht es heute offenbar nicht mehr, dass es neben Strand und Sonne eine komplette deutsche Infrastruktur mit Ärzten und Bäckern, Weißwurst und Weizenbier gibt.
Fatale Situation an der Strandpromenade
In dieser riesigen Beton-Siedlung hat man den Eindruck, als wäre die Zeit seit den 70er Jahren stehen geblieben. Die Hoteliers jammern ebenso wie die Wirte an der Strandpromenade Annexo I und II. Plastik-Nippes-Läden, überteuerte Bars und Restaurants mit Foto-Menü-Karten reihen sich aneinander. Wie die Situation ist? "Fatal", murmelt ein Kellner. Ein anderer beklagt sich, dass das Geschäft wegen der All-Inclusive-Angebote der Hotels auch ohne Krise schon schlechter geworden war.
Nicht alle Hoteliers der ersten Stunde haben allerdings die Zeichen der Zeit verpasst. Teilweise setzt sich auch dort der Wille zur Veränderung durch. Das Seaside Hotel Palm Beach in Maspalomas allerdings wurde vor wenigen Jahren komplett renoviert und gehört mit seinem grellen Retro-70er-Interieurs zu den "Design Hotels". Auch das alteingesessene Gloria Palace in San Augustin, von außen ebenfalls eine funktionale Bettenansammlung, wurde innen vollständig modernisiert. Bereits vor zehn Jahren erweiterte man das Hotel um das größte Thalasso-Center der Insel.
"Wir wollen neue Gäste mit solchen Angeboten hinzugewinnen, denn wir kommen einfach nicht mehr weiter mit dem Motto: Was gestern gut war, muss doch heute auch noch gut sein", so ein Sprecher des Hotels. "Gran Canaria musste deshalb angefangen, das Image zu erneuern", fügt er hinzu. Die Exklusivität hat allerdings auch ihre Grenzen: ein intimes Fünf-Sterne-Deluxe-Hotel wie das neue Grand Hotel Residencia bleibt als Rückzugsort für die deutlich besser Betuchten eine Ausnahme. Auf der Insel rechnet man weiterhin in größeren Dimensionen, nur sollen die Massen eben anspruchsvoll sein.