Die norwegischen Fjorde - lange, schmale Buchten, die sich tief in die Berge einkerben - gehören zu den spektakulärsten geologischen Formationen der Erde. Einer der imposantesten Fjorde ist sicherlich der Naeroyfjord. Es ist der schmalste Fjord Norwegens, dessen mächtige Felsen beinahe senkrecht aus dem Wasser ragen. Eine Fährfahrt von Kaupanger nach Gudvangen, durch Sognefjord, Aurlandsfjord und Naeroyfjord, sollte somit auf dem Programm eines jeden Norwegentouristen stehen.
Ich habe Glück und erwische die letzte Fähre, die in diesem ausklingenden Sommer Kaupanger in Richtung Gudvangen verlässt. Danach wird noch mehr Ruhe hier einkehren. Die Touristenbusse werden bis April ausbleiben und die wenigen Bergbauern werden wieder unter sich sein. Doch heute müssen sie die einzigartige Natur, in der sie leben, noch teilen. Nämlich mit mir.
Wie ein Bergsee in den Alpen
Schon die Einfahrt in den Aurlandsfjord ist beeindruckend. Keine Welle bringt das mal silbern, mal blaugrün leuchtende Fjordwasser aus der Ruhe. Bei strahlend blauem Himmel spiegelt sich die Sonne im glatten Wasser wider. Lediglich die Fähre reißt hinter uns Wunden ins Spiegelbild. Von steilen Klippen umgeben, wirkt der Fjord heute wie ein Bergsee in den Alpen. Dass die Touristen den Fjord mit einem See verwechselten, komme immer wieder vor, erklärt der Kapitän per Lautsprecher. In diesem Fall empfehle er einen kräftigen Schluck des klaren Fjordwassers zu probieren. Das Wasser ist nämlich salzig.Die Erklärung dafür ist einfach. Während der Eiszeit haben riesige, flussabwärts treibende Gletscher das einstige Flussbett förmlich ausgehobelt. Als die Gletscher schmolzen, drang Meerwasser ein und füllte die Flusstäler mit Meerwasser. Die Fjorde waren entstanden.Unter dem Schiff geht es zirka einen Kilometer weit in die Tiefe. Wer sich den Fjord ohne Wasser vorstellt, fände diesen Anblick wahrscheinlich beängstigend. Im Querprofil ähnelt er einem "U". Die Steilheit der Ufer setzt sich auch unter Wasser fort. Die vereinzelten Häuser und Bauernhöfe am Ufer stehen an einem Abgrund, der fast senkrecht in die Tiefe geht.
Ferienhäuser statt Bauernhöfe
Doch nicht nur die Natur, auch die Menschen, die viele Jahrhunderte nichts anderes waren als Bauern und Jäger, prägen bis heute die Umgebung. So können die abfallenden Berghänge gar nicht steil genug sein, als dass sich zwischen schütterem Birken- und Föhrenbewuchs nicht ein paar Flecken grünen Grases finden ließen, auf denen ein kleines Gehöft steht. Doch in dem durch Erdöl- und Erdgasfunde in den siebziger Jahren zu Vollbeschäftigung und Reichtum gelangten Land will fast niemand mehr Bergbauer sein. Die meisten Höfe auf den Klippen über dem Fjord wurden verlassen, dienen, wenn überhaupt, nur noch als Jagdstation oder Ferienhaus.
Doch je weiter sich die Bergrücken von links und rechts in den Meeresarm schieben, desto klarer wird, dass nur wirklich hart gesottene Burschen das Zeug dazu haben, hier auch die schlechte Jahreszeit zu verbringen. Im schmalen Fjord trifft schon jetzt kaum noch ein Sonnenstrahl auf die vereinzelten Holzhäuser. Spätestens ab Oktober wird sich die Sonne ganz aus den tiefen Tälern verabschieden. Das erklärt, warum inzwischen Großstädter aus Bergen oder Oslo in den Sommermonaten das Erbe der Einsamkeit angetreten haben. Die meisten Bauernhöfe und Holzhäuser direkt am Fjord werden nur noch als Ferienhäuser benutzt.Als wir in den Naeroyfjord einbiegen, sind die Felswände fast zum Berühren nahe. Steil ragen sie bis zu 1300 Metern empor. Die Fahrbahn verengt sich so sehr, dass es fast beängstigend wirkt. An den Ufern stürzen zu Schleiern zerstaubende Wasserfälle in die bodenlose Tiefe. Und in Gudvangen angekommen, mache auch ich den Test: Ja, das Wasser schmeckt auch hier, wo zahlreiche Wasserfälle mit frischem Gletscherwasser bergab schießen, noch salzig.