Jetzt muss man meilenweit für ein wirklich gutes Baguette gehen. In den Boulangerien um die Ecke sind die Backöfen kalt, die Bäckermeister machen in der Provinz Ferien. Und auch die Lieblings-Restaurants haben die Rollläden heruntergezogen. Man muss also Gastronomieführer wälzen, um in einem anderen Stadtbezirk ein Lokal zu suchen, das auf Ente oder so spezialisiert ist. Dafür ist der Weg dorthin jetzt aber angenehmer, denn die Straßen sind doch leerer, und die Metro garantiert nicht bestreikt. Es ist August in Frankreichs Hauptstadt. Und Paris ist in diesem Monat so ganz anders.
"Der Alltag ist jetzt viel angenehmer"
Trotz aller Bemühungen, die Sommerurlaubszeit zu entzerren, bleibt der August der Ferienmonat der Pariser. Wer zurückbleiben muss (oder will), der genießt die besondere Atmosphäre der "Schönen an der Seine", geht am liebsten in ein Kino mit Klimaanlage, kühlt sich in einem der Bäder ab und macht abends noch einen Spaziergang unter dem Eiffelturm oder in den Tuilerien-Gärten nahe dem Louvre. "Von den Schwierigkeiten mit dem Baguette mal abgesehen, hat der August nur Vorteile", meint der 59-jährige Künstler Patrick. Und die Anwältin Nathalie (40) pflichtet bei: "Der Alltag ist jetzt viel angenehmer."Wenn in der Hitze nicht gerade die Ozon-Werte steigen, ist die Luft - bei mindestens einem Viertel weniger Autoverkehr - deutlich besser. Außerdem findet der Autofahrer ganz rasch, wonach er in den übrigen elf Monaten des Jahres oft Nerven aufreibende Rundfahrten in seinem Quartier machen muss - einen Parkplatz! Kein endloser Kampf um die schmale Lücke, was dem Auto neue Beulen einbringt. In der Stadt, deren Bürger doch den höchsten Konsum an Beruhigungspillen in Europa haben sollen, geht es viel entspannter zu: Auf ausgedünnten Märkten ist man als Kunde nun wirklich ein König. Und es fahren einem nicht dauernd Pariserinnen mit ihrem Einkaufswagen in die Hacken, während man doch den Lachs am Fischstand auf seine Qualität hin prüfen muss.
Musik und Freiluft-Kinos sind ein Renner
In der Metro gibt es in diesen Wochen allerdings noch mehr schräge Musik und Bettler - schließlich sind die Touristen mit dem Kleingeld in der Stadt. Von mancher hübschen "Musette"-Musik auf dem Akkordeon abgesehen, müsste dabei eigentlich der Fahrgast die Hand ausstrecken und ein Schmerzensgeld für seine Ohren einfordern. Jazz und Klassik außerhalb der Metro-Tunnelröhren sind unterdessen noch gefragter als sonst im Jahr. Musik und Freiluft-Kinos in den Parks sind ein Renner, wie auch der Seine-Strand "Paris-Plage", den Millionen besucht haben.Vor allem wegen der "canicule", der Gluthitze der vergangenen Wochen, herbstelt es in diesem Monat schon sehr. Die Platanen haben bereits einen Gut-Teil ihrer Blätter abgeworfen. "Ich brauche jetzt nur wenige Minuten zu meinen Lieblings-Bäumen im Park André Citroën, weil mich der Verkehr auf dem Weg dorthin viel weniger aufhält", sagt die 30-jährige Floristin Marie. Sie hat zusammen mit einer Anzahl von Mit-Parisern den Trend verstärkt, sich in dieser ruhigeren Sommerzeit "meine Stadt neu zu erobern und die letzten Sonnenstrahlen in einem Café in einem der Gärten oder aber mit einem Picknick zu genießen".
Zumal am nächsten Morgen wieder der weite Weg für ein knuspriges Stangenbrot ansteht. Zumindest macht das kleine Bistro-Restaurant um die Ecke demnächst wieder auf. Doch dann sind auch alle anderen bald zurück. Und Paris ist wieder die laute, nervende, miefende Weltstadt.