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Wandern in Island Unterwegs in Teufels Küche

Es furzt, es stinkt. Und manchmal schießt heißes Wasser aus der Erde. Auf Islands beliebtester Trekkingroute liegen die Extreme dicht beieinander. In fünf Tagen von Hütte zu Hütte.
Von Andrea Walter

Björk Gudbrandsdóttir mag unheilvolle
Prognosen. "Hekla ist fällig",
sagt unsere Wanderführerin. "Und
Katla auch. Hoffentlich brechen sie nicht
dieses Wochenende aus." Der Bus fährt
durch schwarze Einöde, vorbei an Lavageröll
und der Hekla, einem 1491 Meter
hohen Vulkan, den die Menschen im Mittelalter
noch für das Tor zur Hölle hielten.
Bis heute rumort es in seinem Innern. Zuletzt
spie Hekla im Jahr 2000 Feuer. Doch
das war bloß eine "Touristen-Eruption". So
nennen es die Isländer, wenn die Erde nur
ein wenig bebt und die Leute zum Vulkan
hinfahren, statt vor ihm zu fliehen. "Wir
sind schon verrückt", sagt Agnes, eine Reiseteilnehmerin.
Weil es damals anfing zu
schneien und die Schaulustigen mit ihren
Autos im Schnee stecken blieben. So viel
zum isländischen Humor. Er ist schwarz.
Und trocken. Wie das Lavafeld, das uns
umgibt.

Wir nehmen Kurs aufs Hochland. Fahren
nach Landmannalaugar, dem Startpunkt
unserer fünftägigen Wanderung auf dem 55 Kilometer
langen "Laugavegur",
dem Weg
der heißen Quellen.
Er gilt als beliebteste
Trekkingtour Islands,
weil die Extreme
der Insel hier
dicht beieinander
liegen: Die Strecke
führt durch das
größte Hochtemperaturgebiet,
und in
unmittelbarer Nähe
liegen Gletscher.

Zehn Leute sind
wir neben Björk, unserem
Guide von
Útivist, einem isländischen
Wanderverein,
der auch
Nichtmitglieder
mitnimmt. Viele Touristen laufen die
mittelschwere Trekkingtour mit Tagesetappen
von vier bis acht Stunden auch auf
eigene Faust und mit dicken Rucksäcken
auf dem Buckel. Bei uns geht's luxuriöser
zu: Wir tragen nur den Proviant für den
Tag, das übrige Gepäck wird von Hütte zu
Hütte transportiert. Und mit Einheimischen
als Weggefährten lernen wir einiges
über die isländische Seele.

Bunte Berge, zischende Böden


Schon in Landmannalaugar beginnt
der landschaftliche Irrsinn, mit dem die
Isländer leben. Es gibt einen Zeltplatz mit
modernen Hütten, daneben verläuft ein
heißer Bach, in dem man planschen kann.
Dahinter türmt sich schwarze Lava auf,
und dahinter ragen Berge hervor, wellenförmig
wie Baiser, schwefelgelb und rostrot.
Wir schnüren die Wanderschuhe zu
und brechen auf. Lavagestein knirscht unter
unseren Füßen. "Wie läuft's?", fragt
Björk unseren Wanderkollegen Björn, einen
Rentner von der Halbinsel Reykjanes.
"Gut", sagt er. "Bis etwas anderes passiert."
In einem Land, in dem die Natur jederzeit
in die Luft gehen kann, hält man langfristige
Aussagen für unangebracht. Quer
durch Island verläuft der mittelatlantische
Rücken. Hier driften die Kontinentalplatten
Europas und Nordamerikas auseinander,
jährlich um zwei Zentimeter. Entlang
dem vulkanischen Gebiet bebt die Erde
und spuckt regelmäßig geschmolzenes Gestein.
Auch von oben zeigt sich Island launisch.
Gefällt dir das Wetter nicht, warte
fünf Minuten, heißt es.

Wir kommen an einer Wiese vorbei, aus
grünem Gras mit drolligen weißen Büscheln daran. Das Wollgras lieferte im Mittelalter
die Dochte für die Tranlampen. "Es
könnten die letzten größeren Pflanzen
sein, die wir in den nächsten Tagen sehen",
sagt Björk. Und tatsächlich, bald schon
sind wir in Teufels Küche. Dampfschwaden
kriechen über die Hänge. Die Berge
atmen Fumarolen aus. Es stinkt! Nach
faulem Ei. Wir haben den Krater Brennisteinsalda
erreicht, übersetzt: die Schwefelwelle.
Der Boden zischt, faucht und blubbert.
Überall kochen Pfützen aus grauem
Schlamm. Ein Stück weiter schießt heißes
Wasser aus der Erde und macht gehörigen
Lärm dabei. Ein Knarzen, ein Sprudeln,
ein Furzen der Natur! Und nicht weit davon
leuchtet giftgrünes Moos. Es sieht hier
aus wie nach einem Chemieunfall.

"Dass ihr das schön findet, ist erstaunlich",
sagt Agnes. Überhaupt bleiben die
Isländer cool bei diesem Spektakel. Sie
freuen sich auf Thorsmörk, sagen sie, das
Ziel unserer Wanderung. Dort sei die
Landschaft so schön grün, dort gibt es Bäume!
Von Letzteren hat Island nicht viele.
Als vor über tausend Jahren die ersten
Siedler kamen, war die Insel noch zu einem
Viertel mit Birken bedeckt. Doch kaum
300 Jahre später, heißt es, war der größte
Teil gerodet. Zu Booten verbaut oder als
Feuerholz verbrannt.

Ein dampfendes Nachtquartier


Wir erreichen eine schwarze Ebene.
Überall glitzert es. Sonnenstrahlen tanzen
auf dem Obsidian, vulkanischem Gestein,
das glänzt wie Glas. Dort steht auch ein
Steinhaufen, ein Mahnmal. Vor fünf Jahren
starb hier ein junger Mann. Er war zu
dünn angezogen. Ein Schneesturm erwischte
ihn, kurz vor der Hütte. Wir kommen
bald darauf in unser Nachtquartier.
Wieder dampft es überall. Vor der Tür am
Berg und in der Küche. Mit heißem Wasser
verwandeln die Wanderer ihren Trockenfraß,
Tütenpasta oder Trekking-Nahrung
in ein breiiges Abendmahl. Wer mal
muss, muss raus: zu den Plumpsklos, an
deren Türen Blätter kleben, die erklären,
was bei einem Vulkanausbruch zu tun ist.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wann ein Hüttenwart eine Geräuschbombe zündet

Die Rede ist von Katla. Der Vulkan liegt
unter dem Gletscher Mýrdalsjökull, südöstlich
von uns. Bricht er aus, regnet es
Asche, und Ströme von Schmelzwasser fluten
die Umgebung. In welche Richtung sie
fließen, weiß man vorher nicht. Möglicherweise
über Teile des Laugavegur. In
dem Fall zünden die Hüttenwarte Geräuschbomben
und Leuchtfeuer. Für die
Wanderer ein Signal, älteren Schmelzwasserspuren
auszuweichen. Die Gipfel sollte
man immer meiden, ebenfalls Mulden.
Vulkanausbrüche erzeugen Elektrizität, an Bergspitzen besteht erhöhte Blitzgefahr,
in Vertiefungen könnten sich giftige Dämpfe
sammeln.

Abgesehen davon ist der Job als Hüttenwart
friedlich. In der zweiten Hütte, in
Hvanngil, treffen wir Sigurlaug Jónsdóttir,
genannt Sóla. Eigentlich lebt sie in der
Nähe von Reykjavík, diesen Sommer verbringt
sie mit ihren beiden acht- und elfjährigen
Töchtern in den Bergen. In ihrem
Häuschen rauscht das Funkgerät. "Unsere
einzige Verbindung zur Außenwelt", sagt
Sóla. "Hier klingelt kein Telefon." Das gefällt
ihr. Man richtet sich nach der Natur,
statt ewig auf die Uhr zu sehen. Nach dem
Aufstehen hisst Sóla die Islandflagge, vor
dem Schlafengehen holt sie sie ein. Tagsüber
bringt sie die Hütten auf Vordermann.
Ist das Wetter schlecht, muntert
sie die Wanderer mit Geschichten auf.
"Schon meine Großmutter erzählte uns
Geschichten über Trolle", sagt sie. "Wir
Isländer sind auch sehr verbunden mit unseren alten Volkssagen." Das Geschichtenerzählen
hat in Island Tradition. Schon
die alten Vorfahren brauchten sie. Zur Unterhaltung.
Und um durchzuhalten in den
langen, dunklen, stürmischen Wintern.
Noch heute sind Geschichten wichtig. In
keinem Land der Welt werden pro Kopf
mehr Bücher veröffentlicht als in Island.
Jeder scheint hier zu schreiben. Braucht
man eine Geschichte, denkt man sich
einfach eine aus.

Typisch Isländer


Überhaupt sind die Isländer gewohnt,
die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
Bei nur 320.000 Einwohnern muss eben
jeder mit anpacken. Risikofreude liegt den
Isländern genauso im Blut wie die typisch
isländische Zuversicht, dass alles gut wird.
Die bewahrt man selbst jetzt in der Krise.
Es gibt da ein Sprichwort: "Thetta reddast" - "Es rettet sich schon". Auch auf unserer
Reise ist das zu spüren. Durchqueren wir
Gletscherflüsse, dessen Kälte uns in die
Füße beißt, ruft Björk: "Das ist wundervoll!"
Auch ein Sturm dann und wann sei
eine gute Sache, findet Agnes: "Das klärt
den Geist." Gehen ihr tagsüber die Kräfte
aus, setzt sie ihren iPod auf. Hört Rammstein oder Metallica.
"Die singen mich hier durch",
sagt sie.

Nebenbei wissen Isländer,
wie man Feste feiert. Das
Nachtleben von Reykjavík ist
wild und vielfach dokumentiert.
Die Hauptfeiermeile in
der Stadt heißt auch Laugavegur.
Und selbst in den Bergen
finden sich Zeugnisse isländischer
Lebensart: "Wir müssen
hier bei Fertigfraß mit
ansehen, wie unsere Hüttenmitbewohner
(große Gruppe
Isländer) zentnerweise Grillfleisch
und Gallonen von Rotwein
weghauen", steht neidvoll
im Hüttenbuch geschrieben.

Am nächsten Tag laufen
wir querfeldein, vorbei an grün
bemoosten Bergen, einer Wiese
mit violetten Blumen und
kleinen Bächen. Plötzlich stehen
wir vor einem Abgrund.
Ein Wasserfall stürzt sich tosend
in die Tiefe. Es ist, als
wären wir am Ende der Welt
angekommen. Dort schimmert
es weiß und eisblau. Zu
unseren Füßen liegt die Gletscherzunge
des Entujökull.

Schafskopf zum Dinner


Die Hütte teilen wir an diesem Abend
mit vielen Gästen. Jedes Bett ist belegt. Ein
Schnarchen durchschneidet die stickige
Luft, ein Plöddern, ein Knurren, ein Knattern,
ein Seufzen. Klingt auch nicht weniger
verrückt als die Landschaft am ersten
Tag. Nur Agnes hat Glück. Sie bekommt,
was sie sich seit Anfang unserer Wanderung
wünscht: "Roomservice". Ihr Mann
ist vorbeigekommen, mit seinem Geländewagen.
Er hat Lammfleisch dabei und frischen
Salat und auf dem Autodach ein
Zelt. Zur Feier des Tages holt Björn, der
rüstige Rentner, einen halben Schafskopf
aus seinem Rucksack. Ein Leckerbissen.

"Heute machen wir Picknick im Birkenwald",
sagt Björk am nächsten Morgen. Jedoch
ist weit und breit kein Wald in Sicht,
man sieht nur schwarze Canyons, schwarze
Berge, Moos und ein paar Stauden
Engelwurz. "Da ist es", ruft Björk am Nachmittag
und lächelt selig. Am Flussufer stehen
ein paar Birken. Dünn und klapprig,
keine davon höher als 1,80 Meter. Jetzt verstehen
wir, wie der Witz gemeint ist: "Was
soll man tun, wenn man sich in Island
im Wald verlaufen hat?" "Aufstehen!" Und
einfach über die Wipfel gucken.

Aber eines müssen wir Björk lassen: Die
Landschaft wird lieblicher. Nur noch der
Gletscherfluss Thrönga trennt uns vom
Ziel unserer Reise, Thorsmörk, Thors
Wald. Ein grünes Tal, das zwischen drei
Gletschern liegt. Wir öffnen die Hüftgurte
unserer Rucksäcke. Zur Sicherheit. Reißt
der Gletscherfluss einen um, sollte man jedes
zusätzliche Gewicht abwerfen können.
Das Wasser ist stark. Wir waten zu zweit,
zu dritt durch die Fluten, die uns bis zum
Oberschenkel reichen. Drüben angekommen,
sind wir hellwach. In den Füßen
pocht das Blut. Leichtfüßig tänzeln wir
voran. In einen Birkenwald. Dieses Mal
einen echten. Es riecht nach Holz, nach
Laub, am Wegesrand wachsen Pilze und
Blaubeeren. "Ist das nicht schön?", fragt
Agnes. Ist es! Thorsmörk ist wie eine Oase
mitten in der Kargheit des Landes.

Wenn das kein Grund zu feiern ist! Am
Abend, nach einer warmen Dusche, gibt es
zartes Island-Lamm vom Grill. Dazu trinken
wir Gallonen von Wein, und Björk singt
für uns ein isländisches Lied. Auch draußen
vor der Tür schmettert eine Gruppe Isländer
laute Lieder. Die ganze Nacht. Ja, alles
ist ganz wunderbar. Nur am nächsten Morgen
sind unsere Köpfe schwer. Schuld ist ein
Troll. Der hatte Gin dabei.

Tipps und Adressen
Anreise:Einfache Flüge nach Reykjavík kosten in den Sommermonaten ab Frankfurt oder Berlin mit SAS um 500 Euro (ein Zwischenstopp), www.flysas.com, Direktflüge gibt es ab 650 Euro mit Icelandair, www.icelandair.de
Wanderungen:Útivist ist keinReiseveranstalter, sondern ein Wanderverein. Teilnehmer der Touren sind überwiegend Isländer, die jedoch fast alle Englisch sprechen, die Guides sowieso. Für Verpflegung und Ausrüstung muss jeder selbst sorgen. Die Laugavegur-Tour kostet rund 250 Euro; Tel.: +354/5621000, www.utivist.is. Auch der Ferdafelag Islands, der älteste Wanderverein des Landes, bietet Touren an, darunter die Laugavegur. Nichtmitglieder sind herzlich willkommen; Tel.:+354/568533, www.fi.is. Icelandic Mountain Guides bietet eine Tour auf Englisch an, bei der die Verpflegung inklusive ist und das Gepäck transportiert wird. Preis für die Laugavegur: ca. 700 Euro. Tel.: +354/587 99 99, www.mountainguide.is
Beste Reisezeit: Juli und August. Im Juni liegt stellenweise noch Schnee. Wanderkarten kann man in Reykjavík kaufen, zum Beispiel in der Buchhandlung Mál og Menning in der Laugavegur 18. Für alle, die auf eigene Faust auf der Laugavegur unterwegs sind: Plätze in den Hütten reservieren! Und zwar beim Ferdafelag Islands, www.fi.is
Ausrüstung: Eine gute Ausrüstung ist Pflicht, denn die Wanderung führt immerhin durchs Hochland. Dazu gehören: Regenzeug (Jacke und Hose!), Fleecepullover, lange Unterwäsche, Handschuhe, Sonnenbrille. Man weiß ja nie. "Hope for the best, prepare for the worst", sagen die Isländer und ziehen sich nach dem Zwiebelprinzip an: Schichtweise ablegen kann man immer noch. Für Flussdurchquerungen braucht man Sandalen, auch Wanderstöcke sind praktisch.

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