Erst vor wenigen Stunden hat Domenico Ottaviano (27) seinen Großvater Mimì begraben. Und doch spürt er schon die Verantwortung, die auf seine Schultern drückt wie ein schwerer Rucksack. Die Schwestern von Mimì sind für die Beerdigung aus dem Norden angereist. Domenico sitzt an diesem heißen Julitag mit seinen drei Großtanten auf der Terrasse des Familienrestaurants im süditalienischen Apulien.
Zwischen Fischernetzen, Bojen und getrockneten Fischskeletten, die an den Pfeilern des Schilfdaches baumeln, gehen sie ihren Erinnerungen nach, als seine Großtante Maria diesen Satz sagt: "Jetzt liegt die Verantwortung bei dir." Domenico weiß sofort, was sie meint. Er kann sogar sehen, wovon sie spricht, wenige Meter vom Restaurant entfernt, auf dem kahlen Felsen am Meer: einen Pfahlbau aus ausgewaschenem Holz, der zwei schwere Antennen übers Wasser streckt wie ein Einsiedlerkrebs seine Scheren. Ein Trabucco, so heißen diese Bauten hier im nordapulischen Gebiet Gargano.
Der Trabucco ist eine uralte Fischfangmethode, die sehr aufwendig und wenig profitabel ist. Aber am Trabucco hängt der Erfolg des Restaurants von Familie Ottaviano. Domenicos Aufgabe ist es nun, dieses schwerfällige Gerät in die schnelllebige Zukunft zu führen. Nur: Geht das überhaupt?

Eine Familientradition fortführen
Fünf Tage nach dem Tod seines Großvaters will Domenico zum ersten Mal wieder fischen. Er hofft, ein paar Meeräschen für das Restaurant zu fangen. Eigentlich wollte er schon früher wieder anfangen, aber er hat gezögert. Er sagt, der Wind sei zu stark gewesen. Vielleicht gibt es auch einen anderen Grund: Wenn er nun das erste Mal ohne seinen Opa fischt, nimmt er offiziell die Aufgabe an, die Familientradition fortzuführen.
Als zwei Helfer kommen, verteilt Domenico die Aufgaben, so wie es sein Opa früher gemacht hat. Er positioniert Sandro, der sonst mit ihm in der Küche arbeitet, und Leo, ein Freund der Familie, an den Seilwinden. Er selbst lehnt sich ans Geländer und schaut aufs Wasser. Auf sein Kommando hin drehen Sandro und Leo die Seilwinden und lassen das 200 Quadratmeter große Netz ins Meer sinken. Fünf Minuten und mehrere "Langsamer"-Rufe später ist es geschafft.
Fangmethode der Phönizier
Die Phönizier sollen ihn einst erfunden haben, weil er das Fischen sicherer machte – vor den Feinden, die auf dem offenen Meer lauerten, und vor den Gefahren des Wetters. In Italien setzte sich diese Methode zunächst in den Abruzzen durch. Erst seit dem 19. Jahrhundert benutzen auch Fischer im Gargano sie. Das Prinzip ist sehr einfach: Ein Netz, das an zwei etwa 40 Meter langen Holzantennen hängt, wird im Wasser ausgelegt. Drei Seiten des Netzes sind über Wasser, nur eine Seite liegt auf dem Meeresboden, sodass eine Sackgasse entsteht. Ein Holzköder lockt Fische ins Netz.
Ein Wächter beobachtet von einer der Antennen aus das Meer. Sichtet er einen Fischschwarm, gibt er ein Kommando, seine Helfer ziehen auch die vierte Seite des Netzes über Wasser – die Falle schnappt zu. Obwohl Trabucchi an Küstenabschnitte gebaut wurden, an denen es fischreiche Strömungen gibt, kann es Stunden dauern, bis man etwas fängt.
Eine Leben für den Trabucco
Domenicos Urgroßvater Carlo baute den Trabucco der Familie 1925 selbst. Seine zwölf Kinder, darunter Mimì, sind mit ihm aufgewachsen. Mimì sei von dem Pfahlbau fast besessen gewesen, erzählt eine seiner Schwestern: "Als er in den 50er-Jahren nach Kanada auswanderte, um Arbeit zu suchen, dachte er nur an den Trabucco." 1968 kehrte er nach Apulien zurück. Damals waren die meisten Trabucchi schon aufgegeben. Es ist schwierig genug, als Fischer seinen Lebensunterhalt zu verdienen – und fast unmöglich, wenn die tägliche Ausbeute von Fischschwärmen abhängt, die in der richtigen Richtung an der Küste vorbeiziehen müssen. Es hätte das Ende des Trabucco der Familie Ottaviano sein können.
Aber dann kamen die Deutschen. "Meine Großeltern haben für die deutschen Touristen einen Getränkekiosk in der Nähe des Trabucco aufgebaut", sagt Domenico. Daraus ist dann das Restaurant "Al Trabucco" entstanden. Seit Domenico ein Kind ist, hilft er im Familienbetrieb. Sein Leben hat Domenico um und für den Trabucco aufgebaut.
Um elf Uhr wühlt der Wind das Wasser unter dem Trabucco auf. Nachdem Sandro und Leo das Netz gespannt haben, hat Domenico einen Fisch aus Holz an eine Schnur gebunden und ins Wasser geworfen. Er kann das Netz unter dem weiß aufschäumenden Meer kaum erkennen. "Lasst uns versuchen, es einmal blind anzuheben", sagt er. Die Männer stemmen sich gegen die Seilwinden und fangen an zu kurbeln. Carlo, Domenicos Vater, kommt aus dem Restaurant gerannt. Erst flucht er, dann hilft er mit. Als das Netz ein paar Meter über dem Wasser hängt, werden die Winden mit einem dicken Seil fixiert. Im Netz sind nur eine Handvoll kleine Sardellen. Mit einem großen Kescher, der an einer langen Holzlatte hängt und mit einem Seil an einen Flaschenzug gebunden ist, holt Domenico die Fische auf den Trabucco – eine mickrige Ausbeute.
Hashtag: #Trabuccofood
Im Restaurant haben die ersten Gäste auf der Terrasse Platz genommen. Auch in der Küche hat Domenico das Kommando. Ginge es allein um ihn, würde das Restaurant nur am Abend öffnen, und er ginge tagsüber fischen. "Aber dann würden wir nicht genug verdienen." Schon als Kind malte sich Domenico vor dem Einschlafen aus, eines Tages der letzte Trabucchista zu werden. "Was wir sind, verdanken wir dem Trabucco", sagt Domenico.
Heute ist es an Domenico, die Geschichte des Trabucco am Leben zu erhalten, und er macht es mit modernen Mitteln, für junge Leute. Seine Fischsuppe etwa postet er gleichzeitig auf Facebook und Instagram mit eigenem Hashtag: #Trabuccofood. Während früher vor allem Familien mit Kindern zu Gast im "Al Trabucco" waren, kommen heute junge, hippe Menschen und trinken bei Sonnenuntergang Craft-Beer auf den Felsen.
Domenico hat sogar für ein Gesetz zum Schutz der Trabucchi gekämpft. 2015 hat die Region Apulien es erlassen. Seitdem sind die Trabucchi als "Sachanlagen mit großem historischen und landschaftlichen Wert" anerkannt. Die Landesregierung will 200.000 Euro für ihren Erhalt ausgeben. Das Geld ist noch nicht angekommen, aber Domenico ist sich sicher: Die Trabucchi können überleben. Sie müssen überleben.
