Nicht weit von der katholischen St.-
Josephs-Kirche in Grand Anse ragt majestätisch
das Unabhängigkeitsdenkmal der
Seychellen zwei Meter in die Höhe. Auf
dem Sockel reckt weder eine Siegesgöttin
ihre blanke Brust der Freiheit entgegen
noch ein schnurrbärtiger Nationalheld den
blanken Säbel. Auf dem Podest ruht eine
Kokosnuss. Aus Beton. Allerdings nicht irgendeine,
sondern die berühmte Coco de
Mer. Dieses pflanzliche Unikum, das 20
Kilo wiegen kann und nur auf Praslin
wächst.
Früher haben sich Europas gekrönte
Häupter aus der Ferne um den Erwerb
einer
dieser Riesenfrüchte bemüht und
viel Geld dafür ausgegeben. Heute kann
jeder
die Coco de Mer in echt besichtigen.
Im Zentrum von Praslin, der zweitgrößten
Seychellen-Insel, befindet sich der Naturpark
Vallée de Mai, seit 1983 Unesco-Welt-
Naturerbe. Dort staunt der Besucher allerdings
zuerst über die Eintrittspreise, 25
Euro pro Person. Die Zeiten, wo man die
Coco de Mer in Gold aufwog, sind
offensichtlich noch nicht ganz vorbei.
Im Reich der Riesennüsse
Dann beeindrucken aber doch die
mächtigen, jahrhundertealten weiblichen
Palmen mit ihren Riesennüssen, die
auch bei wenig Fantasie an die Rundungen
eines femininen Beckens erinnern, und
ihre männlichen Gegenstücke, deren Samenrispen
einem Riesenpenis gleichen.
"Wenn Sie so einen hätten, könnten Sie
um die ganze Welt fahren", sagt die Dame
an der Kasse mit breitem Grinsen, "und alle Frauen würden Ihnen zu Füßen liegen."
Da liebt man seine Seychellen trotz
des Wuchereintritts.
Doch neben der Sexsymbolik
gibt es eine Menge guter Gründe
für einen Urlaub auf Praslin.
Man kann hier etwa romantisch-exotisch
heiraten. Die weißen Strände, die
samtenen Nächte, die rauschenden Palmen
lassen flammende Herzen einfach höher
schlagen. Das Lémuria Resort, die
Edelbleibe auf der Insel, hat sogar eine eigene
Hochzeitsplanerin. Ihre Dienste sind
nicht gratis. Doch wer das Lémuria bucht,
hat auch das nötige Kleingeld. Denn die
palmengedeckten Bungalows der Anlage
an der Westspitze von Praslin - viel Edelholz,
viel Terrakotta - sind keine Billigbleibe.
400 Angestellte sorgen sich um 200
Gäste. Allein 60 Bedienstete sind in der
Pflege des Golfplatzes tätig. Zwischen den
Bungalows schnurren Elektrokarren, ein
indischer Arzt betreut die Wellness-, Fitness-
und Yogaprogramme, und das weibliche
Personal ist in besticktes Brokat gewandet.

Im Lémuria hat man nicht einen, nicht
zwei, sondern drei hoteleigene Strände von
blendendem Weiß. Hier sind neben Suiten
für die ärmeren Reichen auch luxuriöse
Privathütten mietbar bis zur Präsidentenvilla
mit einem Preis pro Nacht im hohen
vierstelligen Bereich. Sie wird besonders
gern von russischen Touristen frequentiert.
Die drei Restaurants auf dem Gelände
tischen bevorzugt Meeresgetier auf und
lassen als Dress für das Dinner bei Kerzenschein
keine T-Shirts zu. Abends erstrahlt die Terrasse am Meer
im Lichterschein. Nur die Stufen zum Wasser
sind in den Wintermonaten unbeleuchtet.
"Wir machen das wegen der jungen Seeschildkröten,
die jetzt ausschlüpfen und
sich auf den gefährlichen Weg vom Strand
ins Meer am Mond orientieren", sagt der
Hotelmanager, "sonst könnten sie unsere
Lampen mit dem Mondschein verwechseln
und in die falsche Richtung laufen."
Praslin ist aber mehr als die edle Welt
des Lémuria. Jenseits des bewachten Tores
beginnt das wahre Leben der Insel, die von
rund 5000 Einheimischen afrikanischer,
indischer und europäischer Abstammung
bevölkert wird. Es ist ein eher beschauliches
Leben. Die einzige Ampel von Praslin
springt nur ein paarmal am Tag auf Rot,
wenn eine der zweimotorigen Propellermaschinen
von der Hauptinsel Mahé im
Tiefflug die Landebahn neben der Küstenstraße
ansteuert. Es gibt zwei Discos: Oasis
und Jungle. Letztere wirbt kühn: "As wild
as it gets!", so wild, wie es nur geht. Besonders
weit scheint die Wildheit nicht zu gehen,
friedlich liegt das Jungle auch um zwei
Uhr nachts noch im Mondschein da.
Kirchen voller als die Discos
Wesentlich voller sind die Kirchen der
Katholiken und Anglikaner - die Seychellen
waren bis zu ihrer Unabhängigkeit 1976
erst französische, dann britische Kolonie.
Vor der St.-Josephs-Kirche treffen wir am
Sonntagmorgen die stattliche, elegante
Dame vom Empfang des Lémuria als brave
Mami in einfachem Rock und schlichter
Bluse. Ihren Sohn an der Hand, wartet sie
auf den Inselbus. In der anderen Hand
trägt sie eine Plastiktüte mit dem Gemüse
fürs Sonntagsessen: Bananen, Petersilie
und Lauch. Heute kocht sie Fischcurry für
die Familie. Morgen kümmert sie sich wieder
bis in den Abend hinein dreisprachig
um ihre Gäste. Wenn ihr Sohn sich beklagt,
dass Mutter oft so lange weg ist, stellt
sie ihm die Frage: "Willst du Mami öfter zu
Hause haben, oder willst du eine Playstation-Konsole?"
Ein junger Mann hinter ihr verkürzt die
Wartezeit mit einer Flasche Eku-Bier, das
auf den Seychellen in Lizenz gebraut wird.
Zwischen dem globalen Bier aus Kulmbach
und der einheimischen Marke Seybrew
tobt ein erbitterter Krieg um Marktanteile:
Eku wirbt mit seinem nicht ganz
landeskonformen Logo eines Herrn in
oberfränkischer Tracht. Seybrew setzt auf
Nationalismus: "Ein Bier so echt wie die
Seychellianer!" Billig sind beide nicht.
Aber so richtig billig ist nichts auf den
Seychellen. Wer hierher kommt, muss mit
europäischen Preisen rechnen. Auch in
den zahlreichen Mittelklassehotels rund um die Insel.
Korallen treiben wieder aus
Natur und Landschaft sind die zwei
Aktivposten von Praslin. Die buckligen
Granitfelsen zwischen Meer und Palmen
haben als Kulisse für Werbespots aller Art
globalen Ruhm erlangt, und die Unterwasserwelt
rund um die Klippen galt lange
Zeit als eines der besten Schnorchelreviere
auf Erden. Leider verheerte El Niño mit einer
monatelangen Warmwasserströmung
1998 die Korallen an den Riffen. Doch Fische aller Größen,
Formen und Farben machen zum Beispiel
die Granitklippen am Lazio-Strand im
Nordwesten noch immer zu einem äußerst
lohnenden Unterwasserziel.
Apropos Ziel, zum Lémuria Resort gehört
einer der verrücktesten Golfplätze der
Welt. Vom Abschlag aus gesehen liegt Loch
15 tief drunten im Tal, und Golflehrer Jonathan
weiß aus Erfahrung, dass der Ball
das Green nur auf der Flugbahn einer Mörsergranate
erreicht. Steil hinauf in den
blauen Tropenhimmel und dann, plumps!,
ein jäher Absturz. "Wer den Platz nicht
kennt, der feuert schon den einen oder anderen
Ball ins Gestrüpp", sagt Jonathan
und deutet auf die tropisch üppige Bewaldung
der steilen Hänge rund um Loch 15.
Wer besonders weit daneben trifft,
schafft es sogar fast bis zum Strand der
Bucht Georgette, die an den Golfkurs
grenzt, und schreckt dort die Pärchen auf.
Jeden Abend klauben Jonathan und seine
Kollegen eine erstaunliche Menge weißer
Kügelchen aus dem Gelände. Nicht jeder
Gast belässt es bei nur einem Ball oder
auch zweien ins Unterholz.
Ein Stück Küstenstraße fehlt
Aus unerfindlichen Gründen fehlt von
der Küstenstraße, die sonst um die gesamte
bewaldete Insel führt, im Nordwesten der
nur zwei Kilometer lange Abschnitt zwischen
der Bucht von Lazio und den Stränden
beim Lémuria. Man muss gut 20 Kilometer
eine Schleife bis zum Ostende von
Praslin fahren, um per Auto zurückzukommen.
Als Orientierungshilfe dienen
die Granitklippen von Ste. Marie, auf denen
eine weiß getünchte Marienstatue malerisch thront. Sie schaut hinaus auf den
Ozean und die vorgelagerten Inselchen
Cousin und Cousine, die beide ein Vogel- und
Schildkrötenparadies sind. Zu besuchen
gegen - niemanden wird es mehr verwundern
- ziemlich happiges Entgelt.
Die Madonna sieht auch auf die Gäste
des Lémuria herab, die sich unter ihr am
Strand tummeln. Und wenn sie nicht schon
aus Stein wäre, würde sie dazu erstarren
angesichts eines Herrn mit hochrotem
Kopf und blassen Beinen. Er trägt kanariengelbe
Shorts mit buntem Blümchenmuster,
ein Hemd von ähnlich grellem,
doch deutlich hellerem Gelb und auf dem
Kopf eine gestrickte Rastamütze in Rot,
Schwarz, Grün und wieder Gelb. Ins feine
Lémuria passt er wie eine Tarantel auf eine
Sahnetorte. Ob er sich so, na sdrowje!,
auch zum Dinner wagt?