Alles, was man von der Urlauberin Sabine L. noch weiß, ist, dass sie den letzten Tag des alten Jahres mit einem Bad im Pool beginnen wollte. Also stand sie auf Deck 5 des Kreuzfahrtschiffs "Queen Elizabeth 2" früh am Morgen auf, ließ ihren Mann in Kabine 5167 weiterschlafen und ging. Seither fehlt von der 62-jährigen Hamburgerin jede Spur. Seit fast drei Wochen versucht die Familie nun schon verzweifelt, mehr in Erfahrung zu bringen. Neuerdings sogar mit einer Homepage im Internet. Aber die Auskunft bei Polizei und Reederei war am Donnerstag die gleiche wie immer: Nichts Neues.
Verschwinden ist kein Einzelfall
Das Verschwinden der 62-Jährigen gehört zu den Fällen, wie sie auf den luxuriösen Kreuzfahrtschiffen, die auf den Weltmeeren unterwegs sind, inzwischen gar nicht mehr so selten vorkommen. Allein zwischen Januar 2003 und März 2006, heißt es in einem Bericht für den US-Kongress, gingen auf den verschiedenen Luxus-Linern mindestens 24 Passagiere spurlos verloren. Seither kamen nochmals mindestens ein Dutzend Fälle von vermissten Passagieren und Besatzungsmitgliedern hinzu.
Für die betroffenen Familien ist das ein Drama. Die Vermisstenfälle auf hoher See - fernab von jeder Polizei - lassen sich noch schwerer klären als anderswo. Meist bekommen die Angehörigen nie heraus, was sich wirklich ereignet hat - Unfall, Selbstmord oder Verbrechen. Auch für Ehemann Ludwig L. (74) und den Rest der Hamburger Familie schwindet die Hoffnung von Tag zu Tag. Die zwölftägige Atlantik-Reise mit Zwischenstopps auf Lanzarote, Teneriffa und Madeira ist für sie zum Albtraum geworden.
Vergehen wird nicht ausgeschlossen
"Unsere Mutter Sabine verschwand früh am Morgen des 31. Dezember 2006. Sie war 62 Jahre alt, sportlich und bei guter Gesundheit. Ihr offener und freundlicher Charakter zeichnete sie aus", heißt es jetzt auf der Homepage. "Bitte helfen Sie uns herauszufinden, was passiert ist." Einen Selbstmord schließt die Familie aus. "Es gab keine Feinde, keine echten Probleme", sagte Sohn Moritz dem "Hamburger Abendblatt". "Die Vermutung ist, dass sie vielleicht über die Reling gefallen ist." Bei knapp 2000 Passagieren und 1000 Crew-Mitgliedern sei aber auch ein Verbrechen möglich.
Für die Polizei aus der englischen Hafenstadt Southampton - zuständig, weil dort die "QE2"-Reederei Cunard ihre Zentrale hat - ist die Ermittlungsarbeit jedenfalls enorm schwierig. Der Tatort liegt einige tausend Seemeilen entfernt, irgendwo in portugiesischen Gewässern. Alle Versuche, dem Geheimnis mit Zeugenbefragungen oder den Aufnahmen von Überwachungskameras auf die Spur zu kommen, blieben ohne Erfolg. Die Suche auf dem Schiff selbst wurde dadurch erschwert, dass die "QE2" erst drei Tage nach dem Verschwinden von Sabine L. in Southampton vor Anker ging.
Das perfekte Verbrechen
All das sind Probleme, die bei solchen Vermisstenfällen auf hoher See immer wieder auftauchen. Die Londoner Tageszeitung "The Guardian" zitierte am Donnerstag den US-Abgeordneten Christopher Says, der sich lange mit dem Thema beschäftigte: "Ein Kreuzfahrtschiff ist wie eine kleine Stadt. Aber dort kennen die Einwohner das Risiko - und keiner geht in einer Stadt über Bord, ohne dass man jemals wieder von ihm hört." Eine Kreuzfahrt sei der "perfekte Weg, um das perfekte Verbrechen zu verüben".
Die Kreuzfahrtindustrie hält dem entgegen, dass es auf ihren Schiffen mit jährlich knapp 15 Millionen Passagieren viel weniger Kriminalfälle gebe als sonst auf der Welt. Für Familie L. ist das kein Trost. Und auch die Homepage brachte noch keinen Erfolg. Bislang gingen nur zwei E-Mails ein, die mit dem Fall nichts zu tun haben.