Interview mit Norbert Haug "Lewis hat sich entschuldigt"

Vier Rennen sind gefahren, McLaren-Mercedes liegt nur auf Platz drei der Konstrukteurs-WM. Im Gespräch mit stern.de äußert sich der Chef der Silbernen, Norbert Haug, über die sportliche Situation und die Probleme von Hamilton. Den WM-Titel hat Haug noch lange nicht abgehakt.

Herr Haug, nach dem Rennen von Barcelona sagten Sie: "Ferrari hat tendenziell die Nase vorne." Wie groß ist der Abstand zu den Roten und wo setzen Sie jetzt an, um diesen Rückstand zu verkürzen? Zuletzt in Barcelona war der Abstand zwar nicht riesengroß, aber groß genug, dass wir die beiden Ferrari im Rennen nicht überholen konnten. So ist Lewis Hamilton Dritter geworden. Wer weiß, vielleicht hätte das Rennen mit einem Startplatz von Lewis in der ersten Reihe einen anderen Verlauf genommen - wir waren nicht weit entfernt, müssen uns aber weiter steigern, um aus eigener Kraft von vorne starten zu können und dort zu bleiben. Wo lassen sich in der kurzen Zeit zwischen zwei Rennen überhaupt signifikante Verbesserungen am Auto erzielen. Haben Sie Ihre Schwachstellen denn schon bis ins Detail ausgelotet? Wie viel Potenzial haben Sie noch? Nach dem Restart nach der zweiten Safety-Car-Phase betrug der Abstand von Lewis Hamilton zu Platz 1 maximal knapp acht Sekunden. Ferrari war nicht am Limit und hätte wohl schneller fahren können, bestimmt aber nicht um Welten schneller. Kann man das problemlos, dann fährt man sich auf jeden Fall ein Polster von zehn, fünfzehn Sekunden heraus, denn es kann beim nächsten Boxenstop ja immer noch was klemmen und wenn dann der Gegner überholt - obwohl man hätte schneller fahren können - gibt`s wenig Applaus.

Wie geht es Heikki Kovalainen nach seinem schlimmen Unfall? Wie groß war Ihre Angst, bis Entwarnung kam und welchen Umständen hat Ihr finnischer Fahrer seine Gesundheit zu verdanken? Es geht Heikki gut. Er überstand den Unfall gänzlich unverletzt und wurde mehrfach eingehendst untersucht. Natürlich waren wir in den Boxen geschockt, als wir den Aufprall sahen. Gleichzeitig wissen wir aber, wie intensiv in Kooperation mit der FIA speziell auch von uns in den letzten Jahren für die Sicherheit gearbeitet worden ist und dass der Standard, sowohl was aktive wie passive Sicherheit bedeutet, heute in der Formel 1 extrem hoch ist. Es war eine enorme Erleichterung und das bestmögliche Ergebnis des Wochenendes, als wir Entwarnung erhielten und ich bereits anderthalb Stunden nach dem Rennen mit Heikki am Telefon sprechen konnte. Er sprach exakt so, wie sonst auch – das war eine echte Freude.

Lewis Hamilton hat in Barcelona zu alter Form zurückgefunden. Wo lagen seine Probleme speziell in Bahrain, ging sein Aufstieg zu schnell und fühlt er jetzt erst den Druck, der auf ihm lastet

Lewis hat beim Start in Bahrain einen Fehler gemacht und in der Folge bei seiner nachdrücklichen Aufholjagd gleich noch einen zweiten. Dafür hat er sich beim Team entschuldigt, das liegt hinter uns. Wer keine Fehler zulässt, wird auch keine Bestleistungen ernten. Wichtig ist nur, daß Bestleistungen viel häufiger passieren als Fehler.

Wie sehr hat der Wegfall der Traktionskontrolle die Formel 1 verändert? Sehen die Fans 2008 eine attraktivere Formel 1 als im letzten Jahr? Ich denke schon. Aber das alleine am Wegfall der Traktionskontrolle festzumachen wäre sicherlich falsch. Die Formel 1 hat eine dichte Spitze, auch wenn Ferrari nach unserem Sieg beim ersten Grand Prix des Jahres in Australien seit drei Rennen die Nase vorne hat. Wir arbeiten hart daran, den Zustand wie er in Melbourne herrschte, wieder herzustellen. Es gibt insgesamt ein deutlich dichteres Feld als im Vorjahr, also mehr Spannung für die Zuschauer.

Große Diskussionen gibt es um die Einführung des Energierückgewinnungssystems KERS im neuen Jahr. Für Sie Fluch oder Segen? Werden die Kräfteverhältnisse dann völlig neu gemischt?

Möglicherweise schon. Mercedes-Benz ist hier sehr gut gerüstet und besitzt in dieser Technologie sehr viele Kenntnisse.

Ist nach dem Weggang von Fernando Alonso wieder Ruhe bei den Silbernen eingekehrt? Wo lagen die Hauptprobleme im letzten Jahr, haben Sie die Probleme im zwischenmenschlichen Bereich damals falsch eingeschätzt? Innerhalb des Teams wurde auch im letzten Jahr konzentriert und zielstrebig gearbeitet - sonst hätten nicht beide Fahrer vom ersten bis zum letzten Rennen um den Weltmeistertitel fahren können. Unser Junior Lewis Hamilton war in seinem Formel-1-Premierenjahr sofort auf Augenhöhe mit dem amtierenden Doppelweltmeister Fernando Alonso und Lewis führte über eine dreiviertel Saison die Tabelle an. Wohl deshalb kam es zu Spannungen, die aber sicher nicht vom Team initiiert wurden. Das Thema liegt hinter uns, was letztes Jahr war, ist vorbei, interessant sind Gegenwart und Zukunft.

Nach dem Spionage-Skandal im letzten Jahr: Wie vermeiden Sie im Team, dass Gleiches wieder passiert und wie ist es um Ihr Verhältnis zu Ron Dennis bestellt. Ist Dennis in Ihren Augen immer noch unantastbar?

Unser gegenseitiges Verständnis basiert seit nunmehr 14 Jahren auf professioneller Zusammenarbeit. Dass unser Auto schnell war und unsere Fahrer bis zum letzten Rennen die Doppelführung in der Tabelle inne hatten, beruht nicht etwa auf Kenntnissen, die wir uns von einem anderen Team geholt hätten, sondern auf der Leistung unserer Mannschaft inklusive und vor allem ihrer Fahrer.

Der Skandal um Max Mosley: Hat er der Formel 1 und deren Ansehen geschadet oder muss man letztendlich sagen: Show belebt das Geschäft, nicht zuletzt in der Formel 1.

Dazu haben wir eine kurze Stellungnahme abgegeben und informiert, daß es dabei bleibt und die FIA-Gremien am Zug sind.

Klappt es in diesem Jahr wieder nicht mit dem Titel, wie groß wäre dann Ihr Frust? So groß, dass für Sie sogar ein Rückzug von der vordersten Front in Frage käme Nein. Wäre ich sarkastisch, würde ich sagen, wir haben Erfahrung damit, wie es ist, den Titel knappstens zu verpassen - dies war 2007, 2005 und 2003 der Fall. Auch 2000 und 2001 hatten wir bis zuletzt Chancen und wurden letztlich fünf Mal in den acht Jahren seit unserem zweiten WM-Titelgewinn 1999, Zweiter. Weil ich aber realistisch und positiv bin, sage ich, dass nur eine Mannschaft in den Jahren seit unseres doppelten Titelgewinns 1998 und 1999 besser platziert war. Neun Teams waren auch im letzten Jahr schlechter platziert und keine Fahrerpaarung hat 2007 mehr WM-Punkte gemacht als unsere.

Wer wird Ihrer Meinung nach Weltmeister? Kimi Räikkönen

Es wird wieder der mit den meisten Punkten sein und ich hoffe, die macht er in einem silbernen Auto.

Interview: Jens Fischer

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