Ein paar Tage darf er auf jeden Fall noch bleiben. Theo Zwanziger hat ja nicht verloren vor Gericht. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat sich mit Manfred Amerell geeinigt, und deshalb hat sich auch Zwanziger wieder ein wenig aus dem Fokus nehmen können. Es war ja eine Menge los in der letzten Zeit, und der Mann, der dem mächtigsten Einzel-Sportverband der Welt vorsteht, hatte einiges zu tun. Es war ungemütlich. Und allenthalben wurde ihm große Überforderung attestiert. Im Fall um angebliche sexuelle Belästigungen Amerells schlug er sich auf die Seite der Schiedsrichter - das könnte sich noch rächen, denn Amerell bereitet eine Klage gegen die ihn belastenden Referees vor, und am Ende könnte es auf Zwanziger zurückfallen. Auch der letzte Ärger liegt erst kurze Zeit zurück: die gescheiterte Vertragsverhandlung mit Bundestrainer Joachim Löw und Teammanager Oliver Bierhoff.
Ein Mann auf Mission
Zwanziger kommt nicht zur Ruhe. Manchmal sagt der 64-Jährige, dass ihn der Trubel frisch halte. Doch mittlerweile wird er auch von denen angezählt, die ihm früher treu zur Seite standen. Vor nicht einmal anderthalb Jahren nahm das Dilemma seinen Lauf, ein Blogger schimpfte ihn einen "unglaublichen Demagogen". Zwanziger geriet in Rage, plusterte die Sache auf und klagte. Er drohte sogar mit Rücktritt, falls er per Gerichtsbeschluss als Demagoge dastünde: "Ich werde meine persönliche Ehre nicht auf dem Altar des Amtes opfern." Das war keine hohe Diplomatie, sondern der Tonfall derjenigen, die Gesetz und Ehre manchmal nicht ganz auseinander halten können. Am Ende stand ein Vergleich. Doch erstmals wurde die Frage öffentlich diskutiert, was wirklich von Theo Zwanziger zu halten ist, dem Mann, der sich bis dahin mit der Aura des Gutmenschen umgeben hatte.
Doch Zwanzigers Image berappelte sich. Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde der DFB von allen Seiten beglückwünscht zu seinem Präsidenten. Es war bei der Trauerfeier für Robert Enke im vergangenen Herbst, als Zwanziger die passenden Worte fand. "Denkt nicht nur an den Schein, an das, was sich dort zeigt, was über die Medien verbreitet. Denkt auch an das, was im Menschen ist, an Zweifel und an Schwächen. Fußball ist nicht alles." Sein Auftritt überzeugte auch diejenigen, die ihn kritisch beobachteten. Der pastorale Sound ist seine größte Stärke: Zwanziger versteht es, gesellschaftliche Appelle so zu formulieren, dass sie verfangen. Er wirkt glaubhaft in dieser Rolle - und nicht wenige sagen, dass er es tatsächlich auch ist. Der Jurist aus Altendiez ist ein engagierter Anwalt der Entrechteten und Geknechteten, ja mehr noch: Er ist ein Mann auf Mission. Und seine Anliegen sind ganz gewiss nicht die falschen. Zwanziger klappert seine Brandherde ab, einen nach dem anderen: Er wendet sich gegen Homophobie, hat dem Rassismus in den Stadien den Kampf angesagt und widmet sich aufwendig der Aussöhnung mit Israel.
DFB ohne Alternativen
Doch all die Konflikte, die er in den letzten Jahren auszutragen hatte, zeigen eine Konstante: Wenn Zwanziger sich verkannt fühlt und persönlich angegriffen wird, dann kann sich der freundliche Missionar rasch in einen wütenden Kreuzfahrer verwandeln. Deshalb vermittelt das Bild, das gegenwärtig von ihm kursiert, keinen wirklich freundlichen Eindruck. Aber Zwanziger ist wenigstens ein Mann mit Ambivalenzen. Und eines wird dabei gerne vergessen: Unter Zwanziger hat sich das Bild des DFB stark gewandelt. Er ist der erste der DFB-Chefs, der die gesellschaftspolitische Funktion des DFB wirklich ernst nimmt. Wäre vielleicht Gerhard Meyer-Vorfelder vorstellbar gewesen in einer Diskussion um Homosexualität im Sport? Oder Hermann Neuberger? Oder Egidius Braun? Es ist zweifellos das Verdienst Zwanzigers, den DFB in solchen Fragen in die Gegenwart geleitet zu haben. Dass der Verband dort noch keine Wurzeln geschlagen hat, liegt nicht an Zwanziger, sondern an seinen Mitgliedern.
Sollte er bleiben oder seine Ankündigung in die Tat umsetzen und das Amt räumen, falls sich eine Verschwörung gegen Amerell herauskristallisiert? Dann hätte der DFB ein Problem. Denn die zweite Reihe stimmt nicht unbedingt hoffnungsfroh - und Franz Beckenbauer fühlt sich ja noch zehn Jahre zu jung.