Der Fall scheint klar: Wir, die Sparer, haben Geld verloren. Schuld daran sind - allein! - die bösen Banken, diese Abzocker, Aufschwatzer und Bonus-Kassierer. Provisionsgeier! Gierhälse!!
Wer sich diesem Volkszorn nicht ohne Wenn und Aber anschließt, kann nur mit Ackermann & Co. unter einer Decke stecken. Irgendwie. Oder er ist eben ein unbelehrbarer "Marktradikaler", ein Gestriger. Gestrig allerdings erst seit September 2008. Bis dahin waren nämlich alle ein bisschen marktradikal - oder anders ausgedrückt: gierig. Manche mehr, andere nur ein klein wenig. Rausholen, was geht: Bei der Steuer, bei der Autoversicherung und natürlich auch beim Sparkonto. Macht doch jeder so. Stimmt's?
Klar, wenn man ehrlich mit sich ist. Doch viele wollen davon seit September nichts mehr wissen.
Besonders eindrucksvoll lässt sich das Verdrängen eigener Begierlichkeiten bei manch einem Kunden der isländischen Pleitebank Kaupthing studieren. Die gut 30.000 deutschen Kaupthing-Sparer, die seit der Pleite im Herbst nicht an ihr Geld kommen, fühlen sich betrogen, sind wütend, auch verzweifelt. Das zeigen viele Zuschriften an den stern.
Ungestellte Fragen
Fragt man Kaupthing-Kunden nach ihrer eigenen Verantwortung, die sie für ihre einst so lukrativ erscheinende Geldanlage haben, reagieren nicht wenige empört, ja erbost. Dann heißt es: Kaupthing sei schließlich eine deutsche Bankadresse gewesen, Frankfurter Niederlassung, deutsche Bankleitzahl mit allem Drum und Dran. In den Tabellen-Rennlisten "der Medien" sei stets auf die tollen hohen Sparzinsen der Bank hingewiesen worden. Außerdem sei ein Sparkonto doch nun wirklich nichts Spekulatives, geschweige Gieriges. Und so derart hoch seien die Zinsen doch gar nicht gewesen - damals. Zeitweise um die sechs Prozent pro Jahr.
Moment mal: Mehr Zins also als die Weltwirtschaft im Schnitt jemals pro Jahr seit dem Zweiten Weltkrieg gewachsen ist, versprach Kaupthing. Auch mehr, als Zentralbanken der Industrieländer in der vergangenen Dekade je an Leitzins festgesetzt haben. Wo und wie wollte Kaupthing damals, ähnlich wie heute NIBC, Bank of Scotland oder Amsterdam Trade Bank, diese Zinsen jemals sicher erwirtschaften? Oder besser gesagt: Welche Risiken müssen die Institute dafür eigentlich eingehen? Fragen, die sich vermutlich kaum einer gestellt hat. Und wenn doch, mag die Antwort etwa so gelautet haben: Die verschnarchte Sparkasse oder Volksbank um die Ecke, die derart hohe Zinsen nicht bieten wollte (oder konnte), behielt wohl einfach zu viel Zins für sich. Und überhaupt: Bank ist Bank, Zins ist Zins - und Einlagensicherung gibt's ja auch noch. Also ruhig zu Kaupthing & Co. mit der Kohle.
Die Pleite
Wer dies nur mit einer Summe von bis zu 20.887 Euro tat, könnte sich der Selbstkritik einfach entziehen. Denn er hat ein Recht auf Auszahlung, darüber kann es keine zwei Meinungen geben. Ob darüber hinaus angelegtes Geld ausgezahlt wird, liegt im Ermessen von Kaupthing. Das sieht auch Karlheinz Bellmann so, der 110.000 Euro auf einem Kaupthing-Konto angespart hatte. Er wollte das Geld gerade auf sechs Kontoinhaber verteilen - da kam die Pleite. "Ich rechnete nicht mit dem Zusammenbruch, gerade auch nachdem Frau Merkel gesagt hatte, die Guthaben seien sicher - aber ich war zu blauäugig", räumt der Familienvater aus Südhessen ein. Von der Politik fühlen sich Bellmann und andere Kaupthing-Kunden allein gelassen. Im Ausland, aber auch hierzulande sei der Staat massiv für die Kundeninteressen eingestanden, sogar bei Lehman Brothers!
Das Argument ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber eine Spezialität hat die Causa Kaupthing: Zu einem Geschäft gehören immer zwei. Im Unterschied zum Aufschwatzen von Lehman-Zertifikaten durch fehlgeleitete Verkäufer befand sich der hiesige Kaupthing-Kunde bei seiner Geldanlage einzig und allein mit dem Internet in Kontakt - also nur mit sich selbst. War da nicht doch überwiegend Eigenantrieb, ein bisschen mehr wollen, jenes Quäntchen Gier? Ganz ehrlich? Und müsste man sich diesen Schuh nicht auch anziehen, es zumindest akzeptieren, um daraus zu lernen?
Denn eine wirkliche Tragik ist: Kaupthing-Kunden haben etwas getan, was allen Verbrauchern wärmstens zu empfehlen ist: Sie haben ihre privaten Finanzen in die eigenen Hände genommen, sich Wissen darüber verschafft, sich Beraterfallen à la Lehman entzogen - und sind doch übel erwischt worden. Ein Prozentpünktchen weniger Begierde, und sie hätten der durchtriebenen Finanzberaterwelt das gut gedachte Schnippchen geschlagen.
Das ist zum Haareraufen.