Herr Philipps, Sie sind seit über zehn Jahren Partner einer Unternehmensberatung und konzipieren sowie realisieren für Unternehmen Assessment Center. Seit wann genau führen Sie diese durch?
Gordian Philipps: Ich habe mein erstes Assessment Center noch als Student konzipiert und war an der Durchführung beteiligt. Das war im Rahmen meiner Diplomarbeit, die ich für ein internationales Chemieunternehmen geschrieben habe. Seit dieser Zeit zieht sich das Thema durch mein ganzes bisheriges Berufsleben.
Frau Lebek, viele Bewerber fühlen sich durch Assessment Center unter Druck gesetzt. Doch Sie schreiben in Ihrem Buch, dass der Vorteil nicht nur auf Unternehmensseite liegt, sondern auch für den Bewerber besser ist als normale Vorstellungsgespräche. Wo genau liegen die Vorteile für den Bewerber?
Susanne Lebek: Ein entscheidender Vorteil für Bewerber ist, dass in einem Assessment Center grundsätzlich mehrere Verfahren eingesetzt werden. Diese Verfahrensvielfalt ermöglicht, dass aussagekräftigere realistischere Ergebnisse erzielt werden als in einem Bewerbungsgespräch. Aufgrund dieser Ergebnisse können die Beobachter eines Assessmenter Centers eine bessere Einschätzung über die Kompetenzen eines Bewerbers treffen. Ein weiterer Vorteil für den Bewerber ist, dass er im Anschluss an das Assessment Center ein kompetentes und aussagekräftiges Fremdbild über seine Stärken und Entwicklungspotenziale bekommt. Dieses detaillierte Feedback ist zugleich die beste Vorbereitung auf das nächste Assessment Center oder Bewerbungsgespräch, sofern die Bewerber die differenzierten Rückmeldungen genau auswerten und gezielt an ihren Stärken und Schwächen arbeiten.
Was war Ihr bisher umfangreichstes Projekt im Bereich Assessment Center?
Gordian Philipps: Unser größtes Projekt im Bereich Assessment Center ist ein jährlich stattfindendes Assessment Center für ein MDAX Unternehmen aus dem Bereich Transport und Verkehr. Hier werden jedes Jahr etwa einhundert Mitarbeiter von ihren Vorgesetzten benannt, die aus deren Sicht Potenzial für die nächste Führungsebene haben. Unsere Rolle besteht darin, diese Kandidaten im Rahmen von halbtägigen Einzel-Assessment-Centern zu überprüfen und ein Gutachten darüber zu erstellen, ob sie bereit sind für den nächsten Karriereschritt. Dieses Verfahren haben wir gemeinsam mit dem Kunden entwickelt und in den letzten drei Jahren etabliert. Mittlerweile ist es fester Bestandteil des Führungsinstrumentariums und gilt als Eintrittskarten in die nächsthöhere Führungsebene. Diese große Anzahl von Kandidaten in relativ kurzer Zeit zu bewerten und jedem dabei gerecht zu werden, ist für uns immer wieder eine spannende Herausforderung.
Mussten Sie selbst bereits Assessment Center durchlaufen und haben Sie die Stelle bekommen?
Susanne Lebek: In meinem bisherigen Berufsleben habe ich zwei Assessment Center durchlaufen. Direkt nach meinem Studienabschluss hatte ich mich bei einem Unternehmen als Personalreferentin beworben. Zur Stellenbesetzung wurde ein Gruppen-Assessment Center durchgeführt an dem ich erfolgreich teilgenommen habe. Das zweite Assessment Center, ein Einzel-Assessment Center, habe ich erfolgreich durchlaufen, als ich mich bei meinem derzeitigen Arbeitgeber beworben habe.
Assessment Center gelten als objektivere Variante der Bewerberauswahl. Sympathien und Antipathien stehen hier konkrete Testergebnisse gegenüber. Aber was ist, wenn der Vorgesetzte und der Kandidat sich einfach nicht "riechen" können. Dann ist der Bewerber doch bei besten Testergebnissen für dieses Unternehmen der falsche, oder?
Gordian Philipps: Richtig ist, dass wir in einem Assessment Center immer den Kandidaten suchen, der am besten zum Unternehmen und der Aufgabe bzw. Position passt. Das muss nicht immer der sein, der die besten Testergebnisse bringt. Der kulturelle Faktor spielt immer eine Rolle. Es ist natürlich wichtig, das ein Kandidat von seiner Persönlichkeit und seiner Art zum Unternehmen passt. Der reine Nasenfaktor, wie Sie ihn in der Frage beschreiben, sollte aber deutlich in den Hintergrund treten. Es geht nicht darum, ob ein bestimmter Vorgesetzter und ein Kandidat sich "riechen" können. In den heutigen Organisationen sind Veränderungen und Restrukturierungen an der Tagesordnung. Derjenige, der heute der Vorgesetzte eines Kandidaten wäre, kann morgen schon ganz andere Aufgaben im Unternehmen haben. Daher ist der "fit" zwischen Kandidat und Unternehmen viel entscheidender als der zwischen zwei Personen.
Und wie gehen Sie selbst mit Ihren Gefühlen in einem Assessment Center um? Was machen Sie, wenn Ihnen ein Kandidat wirklich unsympathisch ist?
Susanne Lebek: In einem solchen Fall ist es absolut notwendig, sich zu professionalisieren. Es erfordert ein hohes Maß an Reflexion, um zu realisieren, ob man die Leistungen des Kandidaten objektiv beurteilt oder ob und inwiefern die eigenen Gefühle für den Kandidaten eine Rolle bei der Leistungsbeurteilung spielen. Damit aber in jedem Fall eine objektive Beurteilung des Kandidaten möglich ist, wird der Kandidat in einem Assessment Center von mehreren geschulten Beobachtern bewertet.
Ist die objektivere Beurteilung im AC für Frauen eher von Vorteil oder von Nachteil?
Gordian Philipps: Nach meiner Erfahrung bietet das Assessment Center als Beurteilungsinstrument keine geschlechtsspezifischen Vor- oder Nachteile.
Gibt es in den Online-Tests oder in den eingesetzten Verfahren versteckte Fragestellungen, aus denen auf die Familienplanung geschlossen werden kann?
Susanne Lebek: In keinem Online-Test oder Verfahren, das ich kenne und bereits in Assessment Centern eingesetzt habe, konnte ich eine versteckte Frage finden, die Rückschlüsse auf die Familienplanung zulässt.
Gibt es Kurse oder Schulungen, in denen Kandidaten sich auf Assessment Center vorbereiten lassen können?
Gordian Philipps: Ja, die gibt es. Im Umfeld von Großunternehmen, die standardmäßig Assessment Center einsetzen, wie zum Beispiel Volkswagen, leben viele Unternehmensberater sehr gut davon, nur solche Vorbereitungskurse oder Test Assessment Center anzubieten. Im Unterschied zu Vorbereitungskursen, in denen mehr allgemein die wichtigsten Dinge über Assessment Centern als Unterricht vermittelt werden, haben Test-Assessment Center den deutlich größeren Nutzen. Hierbei durchlaufen die Kandidaten ein Assessment Center, das dem sehr ähnlich ist, das sie beim Unternehmen vor sich haben. Im Unterschied zum realen Assessment Center bekommen die Kandidaten direkt nach jeder Übung ein Feedback dazu, wie sie abgeschnitten hätten.
Welche Schwierigkeiten stellen sich, wenn man ein Assessment Center nicht in seiner Muttersprache durchführen soll?
Susanne Lebek: Die Schwierigkeit, wenn man ein Assessment Center nicht in seiner Muttersprache durchführt, besteht darin, dass man ganz feine Nuancen in den Aussagen des Kandidaten nicht registriert oder aber auch einige Sätze falsch interpretiert. Um diese Art von Missverständnissen zu vermeiden, sollten Beobachter meiner Meinung nach einmal für längere Zeit in dem Land gelebt haben in dessen Sprache sie das Audit durchführen.
Gordian Philipps
privat Dr. Gordian Philipps hat zum Thema Organisationsentwicklung promoviert und ist zusammen mit Susanne Lebek Autor des stern-Ratgebers "Erfolgreich durchs Assessment-Center". Dr. Susanne Lebek hat Psychologie studiert und arbeitet für eine Unternehmensberatung in Hamburg.