SOZIALES Experiment: Vier Wochen von Sozialhilfe leben

Bis Ende März wollen eine Pastorin, Angestellte, Sozialarbeiter, Rentner, eine Arbeitslose, ein Jurist und eine Therapeutin mit dem für sie geltenden Sozialhilfesatz auskommen.

Leben von der Sozialhilfe: Bis Ende März wollen in Thüringen eine Pastorin, Angestellte, Sozialarbeiter, Rentner, eine Arbeitslose, ein Jurist und eine Therapeutin mit dem für sie geltenden Sozialhilfesatz auskommen. 22 Männer und Frauen nehmen freiwillig an dem außergewöhnlichen und nicht unumstrittenen Experiment teil. Alleinstehende müssen von 274 Euro, ein Ehepaar von 538 Euro und eine fünfköpfige Familie von 1.109 Euro leben.

Vorutrteil: Arbeitslose versaufen die Stütze

»Wir wollen diese Lebenssituation - aber eben ohne Not - nachempfinden«, sagt Initiator Marc Scheidig. Der 31-jährige Sozialarbeiter im Kirchenkreis Meiningen hat die vierwöchige Aktion des Diakonischen Werkes ins Lebens gerufen. Vor allem Vorurteile sollen abgebaut werden, hofft Scheidig. Viele Menschen denken, dass Sozialhilfeempfänger die »Stütze« versaufen, der Gesellschaft auf der Tasche liegen und sowieso keine Lust zum Arbeiten haben.

Jeder muss verzichten

Allein in Thüringen leben annähernd 52.000 Menschen von dieser »laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt«. Wie die tatsächlich Betroffenen Tag für Tag mit dem Geld zurecht kommen, wollen die Menschen nun wenigstens teilweise erfahren. Vor Beginn des Experiments haben sich die 30 bis 80 Jahre alten »Probanden« überlegt, worauf jeder verzichten könnte.

Verzicht auf Luxus

»Ich verliere Freunde, kann mir keine Bücher kaufen und nicht ins Kino gehen«, stellt eine Teilnehmerin nach wenigen Tagen fest. Eigentlich ist das Experiment gegenüber den wirklich Betroffenen ein »Hohn«. Die 120 Euro pro Woche bedeuteten für die dreiköpfige Familie Verzicht auf frisches Gemüse, Obst und Bier und reichten dennoch nicht. Glücklicherweise stehen die offen gebliebenen Wünsche nur auf einer eigens für den Test angelegten »Luxusliste«. Bis zum Ende ihres Experiments treffen sich die »Sozialhilfeempfänger auf Zeit« einmal pro Woche. In Gesprächsrunden will Scheidig mit den Teilnehmern über Vorurteile und Armut mit ihren Folgen für die Familien diskutieren.

Es wird auch gemogelt

»Ich kann geizig sein mit mir«, sagt auch Marc Scheidig, der seine Ausgaben Punkt für Punkt auf einem Zettel notiert. Mehr als 6,57 Euro Tagesbudget ist für ihn nicht drin. Dass er von der Bratwurst am Mittag nicht satt geworden ist, steht da natürlich nicht drauf. Von seinem Monatsbudget hat er bereits 90 Euro für Telefon, Strom und Handy abgezogen. Bei dem Wochenendausflug muss er schon mogeln. Dafür hätte er rechtzeitig vorher sparen müssen.

Kein Puffer für Unvorhergesehenes

»Die Äpfel können wir uns nicht leisten«, ruft Rentner Hermann Schleberger seiner verdutzten Ehefrau zu. Das familiäre Sparprogramm zeigt Auswirkungen: Eingekauft wird um die Ecke im »Tante-Emma-Laden«, um das Geld für Bus oder Auto zu sparen. »Wir können nur die Hälfte der uns zur Verfügung stehenden 538 Euro wirklich für Lebensmittel einplanen.« Der 5,50 Euro teure Friseurbesuch hat den ehrgeizigen Sparer schon aus der Bahn geworfen.

Es gibt Grenzen

Natürlich hat das Experiment auch Grenzen. Fast alle Teilnehmer sind berufstätig. Der errechnete Sozialhilfesatz ist nur eine Richtschnur, weil für bestimmte Leistungen weitere Zuschüsse beantragt werden könnten. Auch dürfen Dienstfahrten im Testfall nicht einberechnet werden. Das Dasein als Sozialhilfeempfänger darf nicht nur an einem bestimmten Geldbetrag festgemacht werden, warnt Scheidig. Vor allem das »Drumherum« darf nicht außer Acht gelassen werden und verlangt eigentlich mehr: die Wohnung wechseln und das Auto stilllegen. Doch die meisten Testpersonen schaffen es schon beim Geld nicht.

Claudia Götze

PRODUKTE & TIPPS