Die AfD feiert Wahlerfolge, die Kassen sind leer: In einer aufgeheizten Migrationsdebatte haben mehrere Politiker von Union und FDP gefordert, neu ankommenden Geflüchteten aus der Ukraine kein Bürgergeld mehr zu bezahlen, sondern die niedrigeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Nun verschärft CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt den Ton in der Debatte – und droht Ukrainerinnen und Ukrainern ohne Arbeit mit der Ausweisung: "Es muss jetzt über zwei Jahre nach Kriegsbeginn der Grundsatz gelten: Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr in sichere Gebiete der West-Ukraine", sagte er der "Bild am Sonntag".
Das Bürgergeld sei als schnelle Hilfe gedacht gewesen, jedoch längst zur Arbeitsbremse geworden, findet Dobrindt. Es halte zu viele Menschen aus der Ukraine in der Sozialhilfe fest. "Wir brauchen stärkere Mitwirkungspflichten für Asylbewerber, wenn es um die Arbeitsaufnahme geht. Es muss ein Angebot auf Arbeit geben und dieses muss Teil einer Integrationsleistung sein."
In der jetzigen Rechtslage lässt sich die Forderung nicht umsetzen: Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor dem Angriffskrieg Russlands geflohen sind, haben in den Ländern der EU einen Schutzstatus und können deshalb nicht einfach ausgewiesen werden, auch wenn sie keine Arbeit haben. Mit seinen Aussagen deutet Dobrindt jedoch auch an, dass die Arbeitslosigkeit von Ukrainerinnen und Ukrainern am Bürgergeld liege – dass diese also lieber die Sozialleistung beziehen und nicht arbeiten wollten. Hier lohnt sich ein genauerer Blick. Denn es sind andere Gründe, die dazu führen, dass hierzulande weniger Ukrainer arbeiten als in anderen Ländern. Ein Faktencheck.
Wie viele der Ukrainer in Deutschland arbeiten?
Rund 20,4 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland im erwerbsfähigen Alter gehen einem sozialversicherungspflichtigen Job nach. Das zeigt eine Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage des CDU-Abgeordneten Christoph Ploß aus dem Mai 2024, die dem stern vorliegt. Zählt man diejenigen hinzu, die geringfügig beschäftigt sind, sind es 25,6 Prozent, also rund ein Viertel. Der Großteil der rund 760.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland im erwerbsfähigen Alter ist also auf das Bürgergeld angewiesen.
Ein paar Einschränkungen gibt es bei den Zahlen aus dem Ausländerzentralregister: Sie stammen aus dem Februar und sind dem Ministerium zufolge die aktuellsten, die verfügbar sind. Allerdings sind damit auch ukrainische Staatsangehörige erfasst, die bereits vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs in Deutschland gelebt und gearbeitet haben. Ganz exakt sind die Zahlen also nicht – schließlich kann sich in dem Zeitraum auch die Beschäftigungslage unter diesen Menschen verändert haben.
Die Bundesregierung weist auf ihrer Website sogar etwas niedrigere Zahlen aus – Grund sind auch teils unterschiedliche Berechnungsgrundlagen und Stichtage. Fest aber steht: Nur ein kleiner Teil der Geflüchteten aus der Ukraine hat bislang Arbeit in Deutschland gefunden.
Wie ist die Lage in anderen Ländern?
Die häufige Kritik an der Arbeitslosigkeit unter Ukrainerinnen und Ukrainern liegt auch an den Zahlen anderer Länder. Vielerorts sind die Beschäftigungsquoten deutlich besser als hierzulande. In Dänemark etwa waren im September des vergangenen Jahres 77 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer beschäftigt. In Polen und Tschechien rund zwei Drittel. In Großbritannien und den Niederlanden waren es über die Hälfte – überall deutlich mehr als die rund 20 Prozent in Deutschland.

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Im vergangenen Oktober hat Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD deshalb einen "Jobturbo" gestartet – Maßnahmen, mit welchen Geflüchtete nach ihrem Integrationskurs schneller aus dem Bürgergeld in Arbeit kommen sollen. Etwa, indem die Betroffenen bereits bei geringeren Sprachkenntnissen als zuvor in Arbeit vermittelt und sie häufiger von den Jobcentern kontaktiert werden. Nur zündet der "Turbo" bislang nicht so richtig.
Liegt es am Bürgergeld?
Der Vergleich mit anderen Ländern zeigt aber auch: Die Arbeitsbeteiligung dürfte nicht an der Höhe der Sozialleistung liegen, sondern an anderen Faktoren. Darauf haben Wissenschaftler in der Vergangenheit hingewiesen. Eine Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung etwa kommt zu dem Schluss, dass nicht das "Versorgungsniveau" entscheidend zu sein scheint, "sondern die Leichtigkeit oder Schwerfälligkeit der administrativen Mechanismen".
Unter anderem in Deutschland seien – anders als in Ländern mit höheren Arbeitsaufnahmen unter den Ukrainern – "mehrere Schritte bis zur Arbeitsaufnahme zu gehen, was Verzögerungen und Orientierungsschwierigkeiten hervorruft, weil die unterschiedlichen Ämter jeweils Bearbeitungszeiten benötigen". Auf deutsch gesagt: Die Bürokratie ist ein Problem. Das betrifft etwa auch die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen. Viele der geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer sind vergleichsweise hoch qualifiziert, doch bis zur Anerkennung ihrer Zertifikate vergehen oft viele Monate.
Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten der Geflüchteten aus der Ukraine Frauen sind. Rund die Hälfte von ihnen hat laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung minderjährige Kinder. Für sie ist es auch durch mangelnde Möglichkeiten zur Kinderbetreuung schwierig, einen Job anzufangen. "Insbesondere für (viele zumeist faktisch alleinerziehende) Frauen mit kleinen Kindern ist eine Erwerbsaufnahme oftmals schwer realisierbar", heißt es in einer Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit von Anfang Juni.
Wie reagieren andere Politiker?
Vertreter von SPD, Grünen und FDP zeigten sich denn auch entsetzt von Dobrindts Forderungen. SPD-Arbeitsmarktpolitiker Martin Rosemann verwies darauf, dass viele der Ukraine-Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz vor dem russischen Angriffskrieg suchen, Mütter mit Kindern sind. "Die Hürden für ukrainische Geflüchtete beim Start ins Arbeitsleben liegen bei der fehlenden Kinderbetreuung, mangelnden Sprachkenntnissen und der langwierigen Anerkennung von Berufsabschlüssen", sagte er der "Bild am Sonntag".
Grünen-Chef Omid Nouripour sagte: "Die Unterstellung, die Ukrainer kämen wegen des Bürgergelds zu uns, verkennt das Grauen des Krieges Putins." Er lehnte auch Vorschläge aus der Union ab, Ukrainern nicht sofort Bürgergeld zu gewähren, sondern sie zuerst ins reguläre Asylverfahren zu verweisen. "Natürlich müssen wir die Ukrainer noch schneller in Arbeit bringen. Aber neue rechtliche Hürden, wie sie die CDU will, helfen da doch nicht, sie schaden."
FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann wies Dobrindts Vorstoß als "gespenstisch" zurück. "Es gibt keine Ecke mehr in der Ukraine, die sicher ist", sagte die Europa-Abgeordnete im Deutschlandfunk. Die Raketen Putins schlügen selbst im äußersten Westen des Landes an der polnisch-ukrainischen Grenze ein. Die FDP-Politikerin forderte verstärkte Anstrengungen, um Ukrainerinnen und Ukrainer in Arbeit zu bringen. Dafür müssten die Kommunen es schaffen, dass die Kinder versorgt sind, um vor allem Frauen zu ermöglichen, arbeiten zu gehen. "Dass genug Arbeit da ist, ist gar keine Frage", sagte Strack-Zimmermann. Der Union warf sie vor, die Diskussion um Sozialleistungen für Geflüchtete aus wahltaktischen Gründen zu führen.