Im vergangenen Oktober wollte der Arbeitsminister ein Signal senden. "Jetzt ist die Zeit, in Arbeit zu gehen", sagte Hubertus Heil. Der SPD-Politiker gab eine Pressekonferenz und stellte einen "Turbo" vor – Maßnahmen, mit welchen Geflüchtete nach ihrem Integrationskurs schneller aus dem Bürgergeld in Arbeit kommen sollen. Etwa, indem die Betroffenen bereits bei geringeren Sprachkenntnissen als zuvor in Arbeit vermittelt und sie häufiger von den Jobcentern kontaktiert werden.
Der Minister war getrieben von der Kritik, dass zu dem Zeitpunkt zwar bereits rund hunderttausend Ukrainerinnen und Ukrainer ihren Integrationskurs abgeschlossen hatten, aber nur ein Bruchteil davon arbeitete. Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit sprach damals von 19 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer im erwerbsfähigen Alter.
Durch das massive Haushaltsloch infolge des Verfassungsgerichtsurteil stieg der Erfolgsdruck weiter: Durch die schnellere Vermittlung von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt will die Koalition 2024 insgesamt 500 Millionen Euro einsparen – Experten zeigten sich skeptisch, dass das klappen kann. Wie also ist der Stand?
Jobturbo: Nach wie vor Großteil auf Bürgergeld angewiesen
Die Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage des CDU-Abgeordneten Christoph Ploß, die dem stern vorliegt, zeigt eine nur schwache Entwicklung: Die Quote für die sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ukrainerinnen und Ukrainer im erwerbsfähigen Alter liegt demnach inzwischen bei 20,4 Prozent. Zählt man die geringfügig Beschäftigten hinzu, sind es 25,6 Prozent, also rund ein Viertel. Der Großteil der rund 760.000 Ukrainerinnen und Ukrainer im erwerbsfähigen Alter ist also nach wie vor auf das Bürgergeld angewiesen.
Die Zahlen aus dem Ausländerzentralregister stammen aus dem Februar und sind dem Ministerium zufolge die aktuellsten, die verfügbar sind. Allerdings sind damit auch ukrainische Staatsangehörige erfasst, die bereits vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs in Deutschland gelebt und gearbeitet haben. Ganz exakt sind die Zahlen also nicht – schließlich kann sich in dem Zeitraum auch die Beschäftigung bei diesen Menschen verändert haben.
Die Bundesregierung weist auf ihrer Website sogar etwas niedrigere Zahlen aus – Grund sind auch teils unterschiedliche Berechnungsgrundlagen und Stichtage. Fest aber steht: Nur ein kleiner Teil der Geflüchteten aus der Ukraine hat bislang Arbeit in Deutschland gefunden.
Beschäftigung in vielen anderen Ländern deutlich höher
In vielen anderen Ländern aber sind die Quoten deutlich besser: In Dänemark waren im September des vergangenen Jahres 77 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer beschäftigt, in Polen und Tschechien rund zwei Drittel. In Großbritannien und den Niederlanden waren es über die Hälfte.

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Für den CDU-Abgeordneten Ploß geben die aktuellen Zahlen deshalb Anlass zur Kritik am Bürgergeld, welches neu ankommende Ukrainerinnen und Ukrainer – anders als Geflüchtete aus anderen Ländern – direkt erhalten. Es sei zwar richtig, dass die europäischen Länder Ukrainerinnen und Ukrainern, die vor dem russischen Angriffskrieg flüchten, Schutz bieten. "Dass aus dieser Gruppe, die in allen Ländern sehr ähnlich zusammengesetzt ist, in Deutschland viel weniger Menschen arbeiten als etwa in Polen, zeigt aber deutlich, dass es in Deutschland zu oft an Anreizen fehlt, arbeiten zu gehen", sagt Ploß.
Der Oppositionspolitiker fordert die Ampelkoalition auf, endlich das Bürgergeld zu reformieren. "Wer jeden Morgen aufsteht und arbeitet, muss am Ende des Monats wieder spürbar mehr in der Tasche haben als diejenigen, die nicht arbeiten." Immer wieder war in der Vergangenheit aus der Union außerdem die Forderung laut geworden, neu ankommenden Ukrainerinnen und Ukrainern nicht mehr das Bürgergeld, sondern wie anderen Geflüchteten auch die niedrigeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu bezahlen. Das hieße allerdings auch, dass diese nicht mehr direkt Zugang zum Arbeitsmarkt hätten.
Beauftragter sieht "ermutigende Fortschritte"
Liegt es wirklich an der Höhe der Sozialleistungen? Wissenschaftler haben in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass die Situation mit Blick auf die Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland etwas komplexer sei: Eine Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung etwa kommt nach einem Ländervergleich zu dem Schluss, dass nicht das "Versorgungsniveau" entscheidend zu sein scheint, "sondern die Leichtigkeit oder Schwerfälligkeit der administrativen Mechanismen". Unter anderem in Deutschland seien – anders als in Ländern mit höheren Arbeitsaufnahmen unter den Ukrainern – "mehrere Schritte bis zur Arbeitsaufnahme zu gehen, was Verzögerungen und Orientierungsschwierigkeiten hervorruft, weil die unterschiedlichen Ämter jeweils Bearbeitungszeiten benötigen". Auf deutsch gesagt: Die Bürokratie ist ein Problem.
Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten der Geflüchteten aus der Ukraine Frauen sind. Rund die Hälfte von ihnen hat laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung minderjährige Kinder. Für sie ist es auch durch mangelnde Möglichkeiten zur Kinderbetreuung schwierig, einen Job anzufangen.
Um den "Jobturbo" irgendwie zum Erfolg zu bringen, hat Minister Heil extra einen Sonderbeauftragten ernannt: Daniel Terzenbach, der im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit sitzt. Terzenbach sieht trotz der schwachen Zahlen "ermutigende Fortschritte". Er rechnet anders. Für ihn sei weniger die Beschäftigungsquote die zentrale Zahl, sagte er kürzlich der "FAZ" – schließlich kämen weiterhin Menschen aus der Ukraine nach Deutschland, was die Prozentzahl drücke. Eher gehe es darum, wie viele innerhalb eines Monats eine Beschäftigung neu aufnehmen. "Und da können wir für Personen aus der Ukraine heute feststellen, dass sich diese Zahl binnen eines Jahres mehr als verdoppelt hat", so Terzenbach. "Im April 2024 haben fast 6800 Ukrainerinnen und Ukrainer die Arbeitslosigkeit hinter sich lassen können, verglichen mit knapp 2900 im April 2023."
Wie Jobturbo auf Arbeitsmarkt wirkt ist unklar
Eine genaue, systematische Untersuchung der Auswirkungen des Jobturbos auf den Arbeitsmarkt liegt allerdings bislang nicht vor. Im März musste Terzenbach einen ersten Bericht vorlegen. In diesem finden sich aber keine konkreten Zahlen – die Statistik hinke hinterher. Einige Haushaltspolitiker zeigten sich enttäuscht. Die FDP-Politikerin Claudia Raffelhüschen sagte dem "Tagesspiegel", der Bericht sei "leider nicht mehr als ein allgemeines Konzeptpapier". Dass konkrete Zahlen erst im September, wenn der nächste Bericht fällig ist, berichtet werden sollen, halte sie für unzureichend. Sie erwarte, dass man vor den Haushaltsverhandlungen sachgerecht informiert werde. "Nur so können wir beurteilen, ob der Jobturbo auch wirkt."
Eine Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit von Anfang Juni allerdings dämpft nicht nur die Erwartungen – sondern klingt nach dem Gegenteil von einem "Turbo": "Die Wirtschaft in Deutschland steckt in einer schwierigen Phase, viele Ukrainerinnen und Ukrainer besuchen Integrations- und Sprachkurse und insbesondere für (viele zumeist faktisch alleinerziehenden) Frauen mit kleinen Kindern ist eine Erwerbsaufnahme oftmals schwer realisierbar." Deshalb sei "kurzfristig" eine Erhöhung der Beschäftigungsaufnahmen nicht wahrscheinlich.