Rente, Etat, Wirtschaftswende Schicksalswochen einer Regierung: der große Ampel-Knall-Check

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP, v. l.)
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP, v. l.)
© Imago Images
Kann das gut gehen? In der Ampel bahnt sich Ärger an – in dreifacher Ausführung. Wo es jetzt brenzlig wird für die Bundesregierung.

Man mag das im Rest der Republik nicht so mitbekommen haben, aber im politischen Berlin war es in den vergangenen Wochen angenehm leise. Der Bundestag pausierte wegen der Feiertage länger als sonst zwischen zwei Sitzungswochen, still ruhte das Regierungsviertel. Dem üblichen Schlagaustausch zwischen den Parteien fehlte der gewohnte Rhythmus. 

Wenn die Abgeordneten in dieser Woche nach Berlin zurückkehren, steht ihnen eine besonders intensive Zeit bevor. In gleich drei der kommenden vier Wochen tagt der Bundestag. SPD, Grüne und FDP haben sich viel vorgenommen. Bis Anfang Juli soll der Haushalt stehen. Parallel ringt die Koalition um Reformen, die der Wirtschaft helfen sollen. Und als wäre das alles nicht kompliziert genug, fällt genau in diese Zeit auch noch eine Europawahl, mit absehbar schlechten Ergebnissen für alle Regierungspartner.  

Keine Frage, es folgen nun Schicksalswochen für die Ampel. Die Frage ist nur, bei welchem Thema, in welcher Runde, zu welchem Zeitpunkt es so richtig scheppert. Rente, Haushalt, Wirtschaftswende – der schnelle Ampel-Knall-Check.

Die Rente sorgt für Ärger – das ist sicher 

Die Zeichen standen eigentlich auf Entspannung: Vergangene Woche hat Finanzminister Christian Lindner seinen Widerstand aufgegeben. Das Rentenpaket II konnte im Kabinett beschlossen werden. Wurde langsam auch Zeit. Schließlich hatte sich Lindner bereits vor zwei Monaten mit Sozialminister Hubertus Heil darauf geeinigt, das Rentenniveau von 48 Prozent bis mindestens 2039 abzusichern. Im Gegenzug akzeptierte der Sozialdemokrat die FDP-Idee des "Generationenkapitals", also einen kreditfinanzierten Kapitalstock, der in Aktien angelegt wird und die Rentenbeiträge stabilisieren soll. 

Lindner verkaufte das Paket damals als Erfolg. Und doch verhinderte er über Wochen, dass es im Kabinett verabschiedet werden konnte – um den Ministerkolleginnen und -kollegen, die sich nicht an abgesprochene Sparvorgaben halten wollen, ihre Budgetvorstellungen auszutreiben. 

Erst als Kanzler Olaf Scholz seinem Finanzminister kürzlich im Interview mit dem stern den Rücken stärkte, sah Lindner keine Notwendigkeit mehr zu blockieren, was er in der Sache für richtig hält. Die FDP habe in den Verhandlungen "mehr erreicht, als im Koalitionsvertrag steht", sagte er. Also Thema erledigt? Auf keinen Fall. Denn in der FDP-Fraktion sehen sie das dezidiert anders als ihr Parteichef. Dort bewerten viele die Reform als nicht nachhaltig, geschweige denn generationengerecht. Die Abgeordneten möchten nicht auf ein Rentenpaket III warten, wann immer das auch kommen könnte, nein, sie wollen jetzt im Parlament ordentlich nachverhandeln. 

Die Rente sorgt weiter für Ärger, so viel ist sicher. Wann? Sobald der Europawahlkampf vorbei ist. Wer? An vorderster Front wird FDP-Vize und Sozialpolitiker Johannes Vogel beweisen wollen, dass er mehr rausholen kann als der Vizevizekanzler. Knall-Effekt? Kracht erstmal in gewohnter Ampel-Lautstärke. Hat aber das Potential für Überraschungen. Je hartnäckiger die FDP-Fraktionsführung bei der Rente bleibt, umso weniger bereit wären wohl SPD und Grüne, dem Finanzminister bei seinen Vorstellungen einer "Wirtschaftswende" entgegenzukommen. Lindner müsste die eigenen Leute einfangen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Ampel schon im Nahkampf um den Haushalt 

Klar, ein maues Ergebnis bei der EU-Wahl könnte das ohnehin fragile Ampel-Gefüge zusätzlich ins Wanken bringen. Aber auch zum Kippen? Davon gehen sie zumindest in der SPD, die durchaus konsterniert auf den Wahlsonntag blickt, nicht aus. Vielmehr sorgt der Haushalt 2025 für Kopfzerbrechen. Die Fronten sind verhärtet, die Koalitionspartner wirken in ihren Positionen einzementiert. 

Auf der einen Seite: Sozialdemokraten und Grüne, die auf mehr Investitionen pochen, gern auch durch neue Kredite. Wer jetzt spart, zahlt später doppelt, lautet die Devise. Schuldenbremse? Nein danke! Auf der anderen Seite: Die Liberalen, die das Staatsbudget "konsolidieren" wollen. Es soll also nur Geld ausgegeben werden, das auch zur Verfügung steht – und die Ausgaben entsprechend priorisiert. Oder will man der nachfolgenden Generation immer größere Schuldenberge hinterlassen?

Beides mag einleuchtend klingen, geht aber offenkundig nur schwerlich zusammen. Zumal ein Haushaltsloch gestopft werden muss, von dem manche in Berlin behaupten, es läge bei an die 30 Milliarden, während andere behaupten, es wären keine 20 Milliarden Euro. So oder so: Wird das Geld aus den vorhandenen Mitteln mobilisiert, muss irgendwer zurückstecken. Und weder das Innen- noch das Entwicklungsministerium, um nur zwei Beispiele zu nennen, zeigen sich dazu auch nur im Ansatz bereit. Praktisch wöchentlich schlagen führende Ampel-Politiker neue Pflöckchen ein, um den Finanzminister unter Druck zu setzen – der dann erst recht bockig reagiert. Ob es beim Haushalt knallt, steht daher nicht zur Diskussion. Allenfalls, wer die Lautstärke noch weiter hoch drehen wird. 

Bis zum 3. Juli will die Regierung dem Parlament einen Haushaltsentwurf vorlegen. Bis dahin gilt es für die Ampel-Spitzen (Kanzler Scholz, sein Vize Robert Habeck und Vizevize Lindner), in Acht-Augen-Gesprächen mit ihren Kabinettskollegen noch diverse Knoten durchzuschlagen. Haushaltspolitiker versehen das Datum daher mit einem vorsichtigen Fragezeichen. Aber nützt ja nichts. Gelingt der Regierung keine Einigung auf einen Etatentwurf, würde sie auf drastische Weise verbriefen, wie tief die Gräben innerhalb der Ampel sind. Schließlich bildet der Etat die finanzielle Grundlage dessen, was politisch von einer Koalition noch zu erwarten ist. Was das im Umkehrschluss bedeutet, ist allen Seiten ebenso bewusst. Dann knallt es richtig. 

Und was wird aus der Wirtschaftswende?

Wenn es um die wirtschaftliche Lage in Deutschland geht, hat Olaf Scholz eine klare Linie. Der Kanzler mag es nicht, wenn alles schlechtgeredet wird. Und so lobte er am vergangenen Sonntag bei einem Wirtschaftsforum in Brandenburg die Standortbedingungen in Ostdeutschland. Gerade in dieser Region finde derzeit eine wirkliche Re-Industrialisierung statt, sagte Scholz. 

Von Lindner und Habeck hört man in diesen Tagen andere Töne. Sie betonen, wie dringend Reformen nötig sind, und zwar jetzt, sofort. Lindner wünscht sich eine "Wirtschaftswende", will Bürokratie abbauen, den Arbeitsmarkt reformieren und Unternehmen entlasten. Gegen Entlastungen hätte auch Wirtschaftsminister Habeck nichts, auch er fordert Investitionen, würde sie nur am liebsten durch eine Reform der Schuldenbremse finanzieren. Das wiederum ist mit Lindner und der FDP nicht zu machen. Die Verhandlungslage ist vertrackt, aber nicht unlösbar.

Christian Lindner will die Regierung auf Sparkurs bringen.
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© Picture Alliance/ dpa
5-Minuten-Talk: Das Regierungspapier, an das sich auf einmal niemand erinnern will

Der Kanzler lässt mittlerweile immer deutlicher anklingen, dass auch er einer kleinen "Wirtschaftswende" nicht vollständig abgeneigt zu sein scheint, auch wenn Scholz lieber von einem "Dynamisierungspaket" spricht. Beim Wirtschaftsforum in Brandenburg erklärte er nun, dass dringend Reformen erforderlich seien, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Dazu arbeite seine Regierung unter anderem daran, den Fachkräftemangel zu lindern. 

Nein, das klingt nicht nach dem einem großen Wurf. Aber den erwartet von dieser Regierung ohnehin niemand mehr, erst recht nicht in diesen harten Schicksalswochen.

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