Eigentlich wäre "Air up" ein perfekter Kandidat für "Die Höhle der Löwen" gewesen. Eine Idee mit Aha-Effekt, ein junges Gründerteam und ein Produkt für den Massenmarkt, das sich sowohl online als auch im Supermarkt verkaufen lässt. Das hätte dem Publikum der Gründershow sicher gefallen. "Wir haben immer mal mit dem Gedanken gespielt, in der 'Höhle der Löwen' aufzutreten", sagt Gründerin Lena Jüngst rückblickend. "Aber unser Produkt war noch nicht soweit."
Nun sind die Wasserflaschen mit Dufteffekt seit einem Jahr erfolgreich im Markt, aber den Auftritt wird es trotzdem nicht geben. Denn der Löwen-Deal hat längst stattgefunden, nur dass eben keine Kameras dabei waren. Anfang 2018 lernte einer von Jüngst' Mitgründern auf einer Veranstaltung einen Mitarbeiter von Frank Thelen kennen, der die Idee begeistert seinem Chef weitererzählte.
Thelen stieg als Investor ein – und holte gleich noch Handelsexperte Ralf Dümmel mit an Bord, mit dem er damals zusammen in der "Höhle der Löwen" saß. Die beiden Löwen-Kollegen wurden neben Getränkeinvestor Christoph Miller die ersten Investoren von Air up. "Sie haben das Trinken neu erfunden und lösen damit ein zentrales Problem: unseren Zuckerkonsum in Getränken. Hier haben Ralf und ich großes Potenzial gesehen", sagt Thelen zum stern.
Air up trickst das Gehirn aus
Das Kernprodukt von Air up ist eine Wasserflasche, auf deren Mundstück ein mit Riecharomen gefüllter Aufsatz gesteckt wird, zum Beispiel in der Sorte Mandarine. Der Duft suggeriert dem Gehirn, das man Wasser mit Mandarinengeschmack trinkt, obwohl tatsächlich reines Leitungswasser eingefüllt ist. Denn Riechen und Schmecken sind für das Gehirn eng miteinander verbunden. "80 Prozent des Geschmacks, den wir empfinden, entsteht durch Gerüche", sagt Air-up-Gründerin Jüngst. Retronasales Riechen nennt sich der Effekt, zu dem die Münchener Produktdesignerin vor einigen Jahren im Rahmen ihrer Bachelorarbeit forschte. Gemeinsam mit vier Freunden machte sie aus der Idee ein Unternehmen - und mit dem Geld der Investoren ein Produkt für den Massenmarkt.
Vor etwas mehr als einem Jahr startete Air up nach dem eigenen Onlineshop auch großflächig in Supermärkten und Discountern mit dem Verkauf. Seitdem hat die Firma beeindruckende 300.000 Startersets des Trinksystems verkauft. Eine Trinkflasche inklusive zwei Aromaaufsätzen kostet im Onlineshop derzeit 35 Euro. Dazu kommen die Nachfüllpacks der Pods genannten Aufsätze, von denen es mittlerweile elf verschiedene Geschmacks-Riech-Richtungen gibt von Pfirsich über Zitrone-Hopfen bis Kola. "Das Unternehmen ist nahezu explodiert und das Wachstum ist viel höher als geplant", schwärmt Investor Dümmel, der auch international noch "sehr großes Potenzial" sieht.
Unternehmerische Erfolgsgeschichte
Der Jahresumsatz beträgt jetzt schon mehrere Millionen Euro. Die Zahl der Mitarbeiter ist binnen eines Jahres von 8 auf 70 gestiegen. Bei der letzten Finanzierungsrunde sei Air up von Investoren mit einem zweistelligen Millionenbetrag bewertet worden, sagt Gründerin Jüngst. Der Verkauf im Einzelhandel habe dem Start-up noch einmal ganz neue Käuferschichten erschlossen, berichtet die 27-Jährige. "Wenn Aldi und Co. deine Produkte verkaufen, hast du natürlich eine gewaltige Reichweite. Da sehen das zum Beispiel auch meine Großeltern, die unsere Youtube-Videos nicht angeschaut haben." Der nächste Schritt lautet: Internationalisierung. Nach dem deutschsprachigen Raum soll Air up nun auch nach Frankreich, Belgien und in die Niederlande kommen.
Gründerin Jüngst sieht ihre Mission aber nicht nur im Geldverdienen. Sie hat sich auch die Themen Gesundheit und Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben. Durch Air up seien bereits tonnenweise weniger Zucker konsumiert und zehn Millionen PET-Flaschen eingespart worden, rechnet sie vor. Das ist allerdings doch sehr optimistisch gerechnet. Denn zum einen bestehen auch die Air up-Flaschen und -Pods aus Plastik. Zum anderen ist die große Frage, welche Kunden die Innovation wirklich erreicht: Ersetzt Air up die Cola, die Apfelschorle oder wenigstens das Mineralwasser aus der Plastikflasche? Oder sorgt es nur dafür, dass jetzt auch noch die Leitungswassertrinker Plastikmüll verursachen?
Geteilte Kundenmeinungen
Denn geschmacklich ist Air up weit entfernt von Saft oder Cola, so stark ist der retronasale Riechwundereffekt dann doch nicht. Air up schmeckt vielmehr immer noch hauptsächlich nach Wasser, in das eine leichte Geschmacksnote gegeben wurde.
Die Kundenreaktionen sind denn auch durchaus geteilt. Von den rund 4700 Nutzern, die das Produkt auf Amazon bewertet haben, ist die Hälfte hellauf begeistert und vergibt fünf Sterne. Die anderen sind kritischer und bemängeln vor allem, dass der versprochene Geschmackseffekt zu schwach ist. Eine als besonders hilfreich bewertete Rezension beschreibt das enttäuschende Geschmacks- beziehungsweise Geruchserlebnis so: "Ich hatte den starken Eindruck, neben mir sitzt einer und trinkt Pfirsichsaft und gibt mir nichts ab."
Dass ihre Duftaromen mit dem Geschmack eines zuckerhaltigen Getränks nicht mithalten können, weiß auch Gründerin Jüngst. "Wir werden vom Geschmack nie eine Cola ersetzen", sagt Jüngst. "Das ist aber auch nicht unser Ziel: Wir möchten Wassertrinken attraktiver machen und Geschmack bieten - ohne dass dafür Zucker oder andere Zusatzstoffe zu sich genommen werden müssen."
Und auch in Sachen eigener Nachhaltigkeit versuche man noch besser zu werden, etwa durch weniger Verpackungsmüll und kürzere Transportwege. Wenngleich auch sie zugeben muss: "Nachhaltiger als ein Glas Leitungswasser werden wir niemals sein."
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