Handelsforscher Macht Amazon Fresh jetzt die deutschen Supermärkte platt?

Amazon Fresh
Mitarbeiter von Amazon Fresh in Berlin. Der Lieferservice für frische Lebensmittel ist am 4. Mai in der Hauptstadt sowie Potsdam gestartet - und dürfte bald auf weitere deutsche Städte ausgedehnt werden.
© Dirk Mathesius/DPA
Amazon liefert jetzt auch frische Lebensmittel. Zunächst in Berlin und Potsdam, bald wohl auch in anderen deutschen Städten. E-Commerce-Experte Christoph Langenberg erklärt, was das für die Supermarkt-Landschaft in Deutschland bedeutet.

Herr Langenberg, Amazon Fresh ist in Deutschland gestartet. Wie radikal verändert das den Handel mit Lebensmitteln in Deutschland?

Das hat den Handel sogar schon verändert. Da die großen Lebensmittelhändler wussten, dass Amazon Fresh kommen wird, haben sich einige darauf vorbereitet. Rewe hat einen eigenen Online-Shop hochgezogen, Edeka mit Bringmeister einen Online-Spezialisten gekauft. Und auch Lidl hat überlegt, ein Netz an Abholstationen für Onlinebestellungen aufzubauen - hat die Pläne aber kurzfristig gekippt.

Christoph Langenberg
Christoph Langenberg ist Projektleiter im Forschungsbereich E-Commerce beim EHI Retail Institute in Köln
© EHI Retail Institute

Insgesamt haben die großen Supermarktketten das Onlinegeschäft bisher sehr zögerlich betrieben. Macht Amazon jetzt die Etablierten platt?

Das hängt davon ab, wie schnell Amazon den Service deutschlandweit ausrollen kann und wie er angenommen wird. Bislang läuft gerade einmal ein Prozent des Lebensmittelgeschäfts online ab und der stationäre Handel ist hierzulande sehr stark. Aber Amazon traut man zu, dies auf einen Schlag zu verändern.

Wollen die Deutschen frische Lebensmittel überhaupt in großem Stil online bestellen?

Das wird man sehen. Auch die Buchhändler haben damals gesagt, Bücher will man doch nicht online bestellen, sondern im Laden in der Hand haben oder sich beraten lassen. Und bei Fashion dachte man lange, das will man doch anprobieren, das kann man nicht bestellen. Vielleicht ist die Annahme, dass man seine Banane lieber selbst im Laden aussucht, in zwei Jahren ebenfalls obsolet. Weil der Online-Service so gut ist, dass die Kunden zufrieden sind, mit dem was da geliefert wird. Und dann wird es für alle, die nicht in Online investiert haben, kritisch.

Amazon Fresh bietet 85.000 Artikel an, ein normaler Supermarkt um die 12.000. Rechnen Sie damit, dass überall dort, wo Fresh startet, Supermärkte schließen müssen?

Vorstellbar ist es. Die Händler sind, was die Margen angeht, am Limit. Selbst wenn nur ein kleiner Teil des Geschäfts zu Amazon abwandert, kann das für viele bedrohlich werden. Nach Prognosen würde schon ein um wenige Euro verringerter durchschnittlicher Wareneinkaufswert je Kunde dazu führen, dass etliche Supermärkte nicht mehr rentabel arbeiten können.  

Kostendeckend kann das, was Amazon macht, aber auch nicht sein. Der Kunde zahlt für die Lieferung gerade mal 9,99 Euro im Monat und Amazon muss dafür eine Logistik mit ununterbrochener Kühlkette vorhalten.

Amazon fährt schon immer die Strategie: Erstmal möglichst viele Kunden auf die eigene Plattform ziehen und an das Unternehmen binden. Danach hat man immer noch genug Zeit, um an denen Geld zu verdienen. Das Prime-Abo war zum Start auch sehr günstig und ist mittlerweile teurer geworden. Aber wenn ich als Kunde von dem Service überzeugt bin, dann bleibe ich auch nach einer Erhöhung dabei.

Eine Herangehensweise, die deutschen Supermärkten und Discountern fremd ist.

Der klassische Lebensmitteleinzelhandel guckt immer auf die Kosten. Das Onlinegeschäft mit frischen Lebensmitteln ist aufwendig. Daher waren die großen Ketten bislang nicht scharf darauf, ihre Kunden online bestellen zu lassen. Rewe fährt mit seinem Online-Auftritt noch am ehesten den Kurs: Bevor Amazon uns alle wegnimmt, versuchen wir die Kunden bei Rewe zu halten, auch wenn wir am Anfang draufzahlen.

Aber können die Supermärkte dem Technologievorsprung von Amazon denn online paroli bieten? Oder sollten Sie nicht lieber bei dem bleiben, was sie können?

Es gibt auch noch einen Zwischenweg. Die Supermärkte können auf das veränderte Einkaufsverhalten eigene Antworten finden. Es könnte auch so kommen, dass sich viele Kunden die Lebensmittel nicht nach Hause schicken lassen wollen, sondern auf dem Heimweg an Abholstationen mitnehmen. Dafür wäre das dichte Filialnetz der Supermärkte wiederum günstig. Für manche kann Amazon auch Partner statt Feind sein. Tegut beispielsweise bietet Lebensmittel seit Kurzem direkt über Amazon an.