ANALYSE Am Ende war Middelhoff für Bertelsmann zu mutig

Eine Revolution hatte Thomas Middelhoff bei seinem Amtsantritt 1998 als Vorstandsvorsitzender bei Bertelsmann versprochen. Doch zuletzt erwies sich der als Macher und Vordenker gepriesene Manager als zu mutig für den einst als Gesangsbuch-Verlag gestarteten Konzern.

Am Sonntag reihte sich Middelhoff in die stetig wachsende Riege entlassener Medienmanager ein, als ihn der konservative Aufsichtsrat von Bertelsmann im Kampf um die künftige strategische Ausrichtung aus der Medien-Gruppe drängte. Zurück lässt der 49-Jährige, der sich selbst stets als Amerikaner mit deutschem Pass bezeichnet hatte, den fünftgrößten Medienkonzern der Welt, der nach zahlreichen Zukäufen unter seiner Ägide die gesamte Bandbreite vom Fernseh- bis zum Musikgeschäft abdeckt.

Widerstand der Altgedienten

Middelhoffs Ende als Bertelsmann-Chef kam, als er versuchte, die Pläne für einen Börsengang des Konzerns voranzutreiben und damit ein Imperium zu schaffen, das den Vergleich mit AOL Time Warner oder Disney nicht zu scheuen braucht. Für die Veteranen bei Bertelsmann, die sich heftig dagegen wehrten, die konservative Kultur des als öffentlichkeitsscheu geltenden Medienkonzerns zu opfern, war das zuviel. Vor allem Aufsichtsratschef Gerd Schulte-Hillen dürfte für das plötzliche und auch für Kenner der Branche überraschende Ausscheiden von Middelhoff verantwortlich sein. Vor dem Hintergrund sinkender Profite und einem immer unruhigeren Klima im Konzern gelang es Schulte-Hillen, mit der Familie Mohn den Hauptanteilseigner von der Notwendigkeit zu überzeugen, Middelhoff abzusetzen.

Damit ist dieser bereits der dritte Vorstand eines Top-Medienunternehmens, der im Juli seinen Posten verliert. Sein einstiger Verbündeter, Vivendi-Universal-Chef Jean-Marie Messier, war bereits Anfang des Monats abgesägt worden. Und auch Robert Pittman, Chief Operating Officer bei AOL Time Warner hatte kürzlich seinen Hut nehmen müssen.

Ähnlich wie bei Messier verschreckte auch Middelhoffs Faible für Zukäufe und seine Begeisterung für das Internet Teile der Spitzenebene bei Bertelsmann. Aber seine enge Beziehung mit der Familie Mohn sicherte ihm zumindest bis vor kurzem den nötigen Rückhalt im Konzern.

Nach seiner Amtsübernahme 1998 war Middelhoff mit seiner Frau und seinen fünf Kindern auf einen Bauernhof bei Gütersloh gezogen, nahe dem in der westfälischen Provinz gelegenen Hauptsitz des Medien-Riesen. Sofort startete der bereits seit 16 Jahren im Konzern tätige Middelhoff eine weltweite Einkaufstour, mit der er unter anderem den US-Verlag Random House Bertelsmann einverleibte. Bei Europas größter Privatsender-Gruppe RTL übernahm Bertelsmann die Kontrolle. Middelhoff, der im hauseigenen Privatjet rund um die Welt düste, bekam bald den Ruf eines Machers. Sein Optimismus und seine Zuversicht werden als ansteckend beschrieben. Und auch in den USA nahm man den Gütersloher Konzern plötzlich wahr, zumal der neue Vorstandschef den Börsengang angekündigt hatte.

Kein Medienunternehmen wie jedes andere

Doch Bertelsmann ist kein Medienunternehmen wie jedes andere. Der Konzern, im 19. Jahrhundert als Verlag für Gesangsbücher gegründet, wird von der Bertelsmann Stiftung kontrolliert, einem Sozialforschungs-Institut, dem auch ein Großteil der Gewinne zufließen. Reinhard Mohn, der in der fünften Generation über das Familienerbe wacht, hatte Bertelsmann nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem erfolgreichen Buch-Club aufgebaut. Doch als Middelhoff die Regie übernahm, fand er ein Unternehmen vor, das sich vor allem durch schwache Margen und heftige interne Streitigkeiten auszeichnete. Während Mohn einerseits Middelhoffs anpackende und progressive Haltung unterstützte, versuchte er zugleich, die Wurzeln des über mehr als ein Jahrhundert gewachsenen Konzerns zu bewahren.

Pläne für Börsengang sorgten für Verdruss

Letztlich dürfte Middelhoff seine heftig umstrittene Entscheidung mit zu Fall gebracht haben, die amerikanische Online-Musiktauschbörse Napster noch zu unterstützen, als fast die komplette Musikindustrie Klagen gegen den Internet-Service angekündigt hatte. Zusätzlich sorgten die Börsenpläne des 49-Jährigen für heftigen Verdruss. Middelhoff wusste, dass es nicht einfach werden würde. Dennoch kam sein Rückzug überraschend. In mit den Vorgängen betrauten Kreisen hieß es, der Aufsichtsrat habe seine Bedenken bereits vor einigen Wochen geäußert. Zum Bruch sei es aber erst am Sonntag gekommen.

Dass Middelhoff, der stets mit penibel gescheiteltem Haar in die Öffentlichkeit trat, lange ohne Job bleibt, glaubt indes kaum einer.

Merissa Marr