Wegen eines Warnstreiks der Lokführer ist es am Donnerstag bei der Bahn bundesweit zu massiven Behinderungen gekommen. Im morgendlichen Berufsverkehr standen für 45 Minuten in vielen Städten alle Züge still. Das befürchtete Chaos auf dem gesamten Streckennetz blieb allerdings aus. Mit den Arbeitsniederlegungen wollte die Lokführergewerkschaft GDL Druck auf die Bahn-Führung machen, in den Tarifverhandlungen ein konkretes Angebot vorzulegen. Die Tarifgespräche gehen am Vormittag in Berlin in die dritte und möglicherweise entscheidende Runde.
Stundenlange Verspätungen erwartet
In der Hauptzeit des Warnstreiks zwischen 6.00 Uhr und 6.45 Uhr sei der Verkehr bundesweit "erheblich beeinträchtigt" gewesen, teilte die Bahn mit. In Großstädten wie Berlin, Frankfurt und Köln standen zeitweise fast alle Züge still. Auch in anderen Regionen gab es große Probleme. Betroffen waren nach Auskunft der Bahn rund 1,5 Millionen Pendler. Nach Ende des Warnstreiks normalisierte sich der Verkehr erst langsam wieder. Noch über Stunden hinweg wurde mit Verspätungen gerechnet.
Schwerpunkt der Proteste war Berlin, wo auch die beiden anderen Bahngewerkschaften Transnet und GDBA zu Protesten aufgerufen hatten. Sie hatten bereits in den vergangenen Tagen mit Warnstreiks in einzelnen Regionen Druck gemacht. Transnet und GDBA fordern für die 160 000 Bahn-Beschäftigten fünf Prozent mehr Lohn und Gehalt sowie die sofortige Angleichung der Ost-Einkommen an Westniveau. Die Gewerkschaft GDL, die getrennt verhandelt, strebt einen separaten Tarifvertrag für Lokführer und Zugbegleiter an. Sie verlangt zudem drei Prozent höhere Entgelte.
Unmut bei den Pendlern
Insgesamt hätten etwa tausend Züge den Betrieb einstellen müssen, sagte Bahn-Manager Klaus Juncker in einer ersten Bilanz. Der Gewerkschaft gelang es aber nicht, wie angekündigt den Verkehr auf dem gesamten Streckennetz lahm zu legen. In der Zeit zwischen 6.00 Uhr und 6.45 Uhr sind bei der Bahn normalerweise 5600 Nah- und 100 Fernverkehrszüge unterwegs. "Es ist einigermaßen geordnet abgelaufen", sagte Juncker im ZDF-Morgenmagazin. "Ich denke, im Lauf des Vormittags werden wir aufgeräumt haben."
Trotzdem sorgten die Verspätungen bei vielen Pendlern für großen Unmut. Die Bahn bat um Verständnis und schenkte auf einigen Bahnhöfen kostenlos Kaffee aus. Zugleich warf sie den Arbeitnehmervertretern vor, einen gewerkschaftsinternen Machtkampf auf dem Rücken der Kunden auszutragen. GDL-Chef Manfred Schell rechtfertigte im ZDF die Proteste. "Wir haben nicht die Verantwortung für diesen Streik, sondern der Arbeitgeber, weil er nicht Willens war, über die Lohnforderung und die Arbeitszeitfragen mit uns zu verhandeln."
Die Bahn hat für die dritte Verhandlungsrunde ein "konkretisiertes Angebot" angekündigt. Bislang bot sie neben einem Inflationsausgleich den Wegfall der Ost-West-Differenzen, eine Beteiligung am Unternehmenserfolg bei "schwarzen Zahlen" - also voraussichtlich für 2004/05 - sowie die Fortsetzung des Beschäftigungsbündnisses.