Den verschärften Sparbemühungen von Italiens Ministerpräsidenten begegnen Ökonomen und die Opposition mit großer Skepsis. Die Ankündigung der Regierung, bereits 2013 und damit ein Jahr früher als geplant einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, erfordert zusätzliche Einschnitte in Höhe von 17 Mrd. Euro.
Das sei nur über drastische und unpopuläre Maßnahmen wie ein höheres Rentenalter für Frauen oder geringere Hinterbliebenenrenten zu realisieren, fürchten Kritiker in Mailand und Rom. Berlusconi und Finanzminister Giulio Tremonti wollen dagegen nichts an dem im Juli beschlossenen Sparpaket ändern. "Wir müssen nicht den Inhalt anpassen, sondern ziehen einfach den Zeitpunkt vor", sagte Tremonti.
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Regierung steht unter Zugzwang
Die Regierung in Rom steht unter Zugzwang: Obwohl sie im vergangenen Monat das 48 Mrd. Euro große Sparprogramm im Eiltempo durch das Parlament peitschte, stiegen die Risikoaufschläge auf italienische Staatsanleihen weiter bedrohlich an. Berlusconi schoss in einer Rede am Mittwoch gegen Spekulanten und betonte die Stärken des Landes, die vom Kapitalmarkt missachtet würden. Nicht zuletzt auf Druck der Europäischen Zentralbank, die auf einen schnelleren Konsolidierungskurs pocht, musste Berlusconi innerhalb von zwei Tagen nachbessern.
Um die Investoren zu besänftigen, soll nun das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts in die Verfassung aufgenommen werden. Außerdem ist eine Liberalisierungsoffensive angedacht, deretwegen ebenfalls die Verfassung geändert werden soll. Die italienischen Unternehmen und Banken begrüßen den Vorstoß Berlusconis.
Das Tempo ist für sie jedoch zu langsam. Man sehe keinen Grund, mit der Liberalisierung bis zu einer Verfassungsreform zu warten, schreiben Verbände wie Confindustria oder die Interessenvertretung der Banken, ABI, in einer gemeinsamen Stellungnahme. Sie fordern zudem, dass sich gerade die Politik bei den Ausgaben beschränkt: "Es ist notwendig, dass die Ausgaben des Staates sinken. Andernfalls wird es enorm schwierig werden, das Land zu Opfern zu bewegen." Die Abgeordneten übten bisher keinen Verzicht, was in der Bevölkerung für großes Unverständnis sorgt.
Ein schwerer Schlag für das Land
Berlusconi beschwört die nationale Einheit. Doch auch innerhalb seiner Koalition mit der Lega Nord knirscht es. Deren Parteiführer Umberto Bossi stellt Teile des Sparprogramms infrage. Er lehnt beispielsweise die Praxisgebühr von zehn Euro ab und macht sich stattdessen für eine höhere Tabaksteuer stark. Zudem äußert er sich negativ über die Euro-Zone, was in Brüssel nicht gut ankommt. So bezeichnete er den Euro als "historischen Fehler".
Die Opposition ist nicht gesprächsbereit. Antonio Di Pietro von der liberalen Partei Italia dei Valori geht das verschärfte Sparprogramm nicht weit genug. Berlusconi verschließe die Augen. "Berlusconi kehrt nächste Woche ins Parlament zurück, um ein Familienfoto zu schießen", sagt Di Pietro. Er ruft nach einer Gebietsreform. "Es ist dringend notwendig, richtige Reformen anzupacken, beispielsweise die Provinzen abzuschaffen." Pier Luigi Bersani, Oppositionsführer der Demokraten, bangt dagegen um die Konjunktur. Es sei "verantwortungslos" und ein "schwerer Schlag für das Land", die Einsparungen um ein Jahr vorzuziehen, ohne das abzufedern.
Das schwache Wachstum ist schon jetzt neben der hohen Schuldenlast das Hauptproblem Italiens. Nach der ersten Schätzung der Regierung vom Freitag dürfte das italienische Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal lediglich um 0,3 Prozent zugelegt haben. Das ist zwar etwas mehr als in den beiden Quartalen zuvor, in denen das BIP mit jeweils plus 0,1 Prozent nahezu stagnierte, aber immer noch zu wenig für ein Hoffnungszeichen. Die Zahlen verdeutlichten vielmehr einmal mehr, dass Italien ein Wachstumsproblem habe, sagte Torge Middendorf, Volkswirt bei der WestLB: "Insgesamt bleibt die Erholung in Italien mau."
Ökonomen bezweifeln Trendwende
Ökonomen bezweifeln, dass sich daran so bald etwas ändern könnte. "Eine schnelle Trendwende ist unseres Erachtens nicht zu erwarten, weil die Wachstumsschwäche Italiens im Wesentlichen auf strukturelle Probleme zurückzuführen ist", sagte Matthias Thiel, Volkswirt bei der Privatbank M.M. Warburg.
Die schwache Regierung, die wenig wirtschaftsfreundliche Verwaltung, Korruption, Schattenwirtschaft und organisiertes Verbrechen - all das belaste die wirtschaftliche Entwicklung. "Die strukturellen Probleme Italiens werden sich nicht schnell lösen lassen, und Wachstumsschübe sind im Erfolgsfall erst mittelfristig zu erwarten."