Seit Jahren reisen die Gewerkschafter regelmäßig zu ihren Kollegen nach Ungarn, Tschechien oder die Slowakei und tauschen ihre Erfahrungen und Probleme aus. Angesichts der zunehmenden Verlagerung von Produktionsstätten deutscher Unternehmen nach Osteuropa wollen die Gewerkschaften gemeinsam gegen Dumping-Löhne im Osten kämpfen. »Wir müssen verhindern, dass sich dort der Wildwest-Kapitalismus ausbreitet«, sagt der Bezirksleiter der bayerischen IG Metall, Werner Neugebauer. Mit Hilfe von Tarifverträgen sollen die Löhne Schritt für Schritt an das deutsche Niveau angeglichen werden.
Kein Anreiz zur Auswanderung
Die Rechnung der Gewerkschaften ist einfach: Je stärker sich die Löhne zwischen Deutschland und den Ländern in Osteuropa annähern, desto geringer ist der Anreiz für deutsche Konzerne, ihre Produktion dorthin zu verlagern. Und je mehr die Menschen in Osteuropa in ihrem Heimatland verdienen, desto geringer ist der Wunsch nach einem Arbeitsplatz in Deutschland. Da vor allem die gut qualifizierten Fachkräfte das Land verlassen, haben auch die osteuropäischen Unternehmen und Gewerkschaften kein Interesse an der Auswanderung nach Deutschland.
Endziel: Angleichung der Löhne
Bis zur Angleichung der Löhne über die Landesgrenzen hinaus liegt aber noch ein weiter Weg. »Das wird noch 15 bis 20 Jahre dauern«, sagt Neugebauer. Im Werk des Autoherstellers Audi im ungarischen Györ verdient ein Facharbeiter derzeit inklusive Zulagen rund 700 Euro brutto im Monat - und gehört damit schon fast zu den Spitzenverdienern im Land. Die niedrigen Lohnkosten waren ein wesentlicher Grund für Audi, die Montage des Audi TT und die Motorenfertigung im Jahr 1993 in Ungarn anzusiedeln. »Im Vergleich zu Deutschland liegen die Arbeitskosten hier bei einem Fünftel«, sagt der Geschäftsführer Jürgen Lunemann. Auch die extrem flexiblen Arbeitszeiten haben der Geschäftsleitung gefallen. »De facto können wir 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche produzieren.«
Ost-Gewerkschaften holen auf
Die Gewerkschaften haben erst langsam angefangen, sich einzumischen. Erst vor wenigen Monaten wurde für die knapp 5.000 Beschäftigten in dem Werk der erste Tarifvertrag abgeschlossen. Immer wieder holten sich die Gewerkschafter in Györ dafür Rat von ihren Kollegen in Deutschland. »Bei den Vorbereitungen für den Beitritt in die EU haben wir von der IG Metall die meiste Unterstützung«, lobt der Vorsitzende der ungarischen Metallgewerkschaft Vasas, Karoly Szöke.
Osteuropa-Bündnis
Die Vasas gehört zu den Gewerkschaften, die sich im Jahr 1999 mit der IG Metall und den Gewerkschaften in Slowenien, der Slowakei, Tschechien und Österreich auf eine enge Kooperation geeinigt haben. Seitdem reisen viele Gewerkschafter mehrmals pro Jahr zur IG Metall nach Bayern, die auf deutscher Seite für das Osteuropa-Bündnis zuständig ist. »Bayern ist für uns kein Ausland mehr«, beschrieb ein tschechischer Gewerkschaftsführer die Zusammenarbeit. Der IG Metall Bayern geht es aber nach Worten von Neugebauer nicht darum, die Verlagerung der Produktion um jeden Preis zu verhindern. »Aber wir wollen zumindest ein geregeltes Umfeld haben.« Schließlich müsse auch verhindert werden, dass die Unternehmen versuchen, die dortigen Bedingungen in Deutschland durchzusetzen.
Wichtiger Informationspool
Wegen der großen Zahl der Fabriken deutscher Unternehmen in Osteuropa ist jede Information für die osteuropäischen Gewerkschafter wichtig. Denn mit dem Umzug von Deutschland nach Ungarn, Tschechien oder Slowenien wollen viele Firmen nicht nur die Lohnkosten drücken. Auch die Akkordzeiten bei der Fließbandproduktion sollten teilweise drastisch gesenkt werden, sagt Neugebauer. Seitdem die Gewerkschaften an einem Strang ziehen, ist dies nicht mehr ohne weiteres möglich. Bei einem Umzug eines deutschen Unternehmens ins Ausland schickt die IG Metall auch die Liste mit allen Produktionszeiten mit auf die Reise - für die Gewerkschaftskollegen vor Ort.