Sibylle Hallik würde einen Brief an die Kanzlerin nie "mit freundlichen Grüßen" unterschreiben. Ein Anfängerfehler, der nur jenen passiert, die Amtsdeutsch nicht beherrschen. Hallik aber hat den 169-seitigen "Ratgeber für Anschriften und Anreden" immer griffbereit. Briefe an die Kanzlerin, steht dort, dürfen nur "mit ausgezeichneter Hochachtung" enden. Oder: "mit vorzüglicher Hochachtung". Hallik beschäftigt sich acht Stunden am Tag mit Behördensprache.
Wenn Politiker nicht weiter wissen
Ihr Büro liegt versteckt im hintersten Winkel des Bundestags, zwischen der Sanitätsstelle, dem Fitnessraum und den Pausenräumen des Pfortenpersonals. An dem Ort, an dem Abgeordnete die Bevölkerung repräsentieren, vertritt Hallik die deutsche Sprache. Sie berät Politiker bei allen Fragen, von der Höflichkeitsfloskel über den Genitiv bis zum richtig gesetzten Komma. Wörter wie "Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz" versucht sie aus der Welt zu schaffen. Ihr Gehalt bezahlt die staatlich mitfinanzierte Gesellschaft für Deutsche Sprache. Sie und ihr Halbtagsmitarbeiter sollen die Berge aus Gesetzestexten, Anfragen, Anträgen, Reden und Broschüren redigieren, die 631 Abgeordnete, 6000 Beschäftigte im Bundestag und 10 000 Ministerialbeamte tagtäglich verfassen. Ihre Waffen sind die zwölf Bände des Duden. Es ist eine Aufgabe, die nicht einmal ansatzweise zu bewältigen ist.
Hallik ist eine Frau, die auch bei 35 Grad einen schwarzen Hosenanzug trägt, ein Seidentuch adrett um den Hals geknotet. Ihre Doktorarbeit trägt den Titel "Sententia und Proverbium" und handelt von Sprichwörtern im Mittelalter. Ihre Bürowände hat sie mit Organigrammen der Bundestagsverwaltung dekoriert. Fragt man die 46-Jährige nach der Leidenschaft für ihre Arbeit, sagt sie: "Die Auseinandersetzung mit der Rechtssprache finde ich sehr interessant."
Im Büro der deutschen Sprache
Ihren Job gibt es aufgrund eines Wutausbruchs des SPD-Abgeordneten Konrad Porzner im Jahr 1965. Der war fassungslos über "stilistische Grobheiten" und "barbarische Missbildungen", als er das damals neu verfasste Raumordnungsgesetz las. Minutenlang wetterte er im Plenum über Formulierungen wie "raumbedeutsame Maßnahmen" und "versorgungsmäßige Aufschließung". Der "Spiegel" druckte die Rede auf zwei Seiten unkommentiert ab, und der damalige Bundestagspräsident beschloss, dass es an der Zeit ist, der deutschen Sprache ein Büro im Parlament einzurichten.
Heute, in einer Zeit von Frauenbeauftragten und Antidiskriminierungsstellen, ist die Sprache selbst häufig das Politikum. Hallik rät Politikern und deren Mitarbeitern, statt von "geistig Behinderten" von "Menschen mit Lernschwierigkeiten" zu sprechen. Und weil das Wort "Farbiger" an die Kolonialzeit erinnert, sollen Politiker besser "Schwarzer" sagen. Einschreiten muss Hallik aber immer dann, wenn politische Korrektheit scheinbar in Konflikt mit den Regeln der Grammatik gerät.
Vor ein paar Monaten zum Beispiel veröffentlichte ein Haushaltspolitiker eine Pressemitteilung über die Bundeswehr. Er erwähnte darin die "Streitkräfte als Arbeitgeber". Eine altgediente Frauenrechtlerin beschwerte sich: "Die Streitkräfte sind grammatikalisch weiblich", schrieb sie in einer wütenden E-Mail. Es müsse heißen: "die Streitkräfte als Arbeitgeberin". Ein Referent schaltete Sibylle Hallik ein. Wenn andere emotional werden, zückt sie Duden Band neun über die Zweifelsfälle der deutschen Sprache. In ihrer Antwort verwies sie auf das Kapitel "Kongruenz". Es gebe keine feste Regel, heißt es darin. Alles ist möglich: die Streitkräfte "als Arbeitgeber", "als Arbeitgeberin" und sogar "die Streitkräfte als Arbeitgeberinnen". Der deutschen Grammatik ist politische Korrektheit ziemlich egal.
Gesetzestexte sind keine sprachliche Spielwiese
Weil die Sprache mit der Realität mithalten muss, wird Hallik seit einigen Monaten häufiger gefragt, wie man die 80 000 Deutschen anspricht, deren Geschlecht nicht eindeutig identifizierbar ist. Ein Bundestagsmitarbeiter, der ein Seminar ausrichten wollte, schrieb verwirrt: "Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer" funktioniere da ja nicht. Hallik fragte bei Professoren nach und bei einem Verein für Transund Intergeschlechtliche. Am Ende empfahl sie "Liebe Teilnehmende". "Partizipbildung", schrieb sie in ihrer Antwort, "als pragmatische, neutrale, allseits inklusive Lösung."
Um sich über die neuesten Trends der gendergerechten Sprache zu informieren, schlägt sie in der Broschüre einer feministischen Arbeitsgruppe der Berliner Humboldt-Uni nach. Studenten werden darin auch Studierxs, Studier** oder Stu_dentinnen genannt, um niemanden zu diskriminieren. Damit der Computer nicht mehr männlich ist, könnte man ihn laut Broschüre auch Computa nennen. "Da ist mir vieles zu progressiv", sagt Hallik. "Da ist vieles überhaupt nicht zulässig. Gesetzestexte sind ja keine Spielwiese, um Neues auszuprobieren." Hallik beteiligt sich nicht an ideologischen Debatten. Aber sie ist pragmatisch. Würde eine Mehrheit der Deutschen plötzlich von "Studierxs" sprechen, würde Hallik es auch für offizielle Schreiben verwenden. "Ich empfehle, was die Sprachgemeinschaft akzeptiert hat", sagt sie.
Privat hält sie es genauso. Bei SMS achtet sie zwar immer auf Groß-, Kleinschreibung und Kommasetzung. Aber weil Smileys bei SMS üblich sind, gönnt sie sich das ein oder andere ;-) dann doch.