Interview "Wir machen noch so viel falsch"

Der Möbelverkäufer und Ikea-Gründer Ingvar Kamprad über verantwortungsvollen Kapitalismus, große Träume und seine unersättliche Lust auf Arbeit.

stern: Herr Kamprad...

Ingvar Kamprad: ... ich heiße ja Ingvar, so nennt mich jeder hier.

Also gut: Ingvar, Sie sind jetzt 76 Jahre alt ...

... wissen Sie, was einer der glücklichsten Momente in meinem Leben war? Als mir mein Arzt im vergangenen Jahr sagte, dass meine Krebsoperation gut verlaufen ist. Da wollte ich vor Freude in die Luft springen. Seitdem fühle ich mich jung. Ich neige zu Übertreibungen, doch meine Träume waren immer groß.

morgenstern

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Und warum können Sie die Finger seit fast 60 Jahren nicht von Ihrer Firma lassen?

Ikea wird schon lange von meinen Mitarbeitern geleitet. Ich bin bereits 1985 zurückgetreten.

Doch über die Holding und die Stiftung kontrollieren Sie die Geschäfte.

Es stimmt schon, ich prüfe ja auch noch jeden Artikel, der in die Produktion gehen soll. Aber sagen Sie mir, was sollte ich sonst machen in meinem Alter? Zu Hause sitzen und Tomaten züchten? Ich habe nichts anderes gelernt in meinem Leben, als Möbel zu verkaufen. Ich bin ein absoluter Fachidiot. Fragen Sie mich in 25 Jahren noch einmal.

Aber Sie haben drei Söhne, die alle für Ikea arbeiten.

Es wäre schön, wenn sie ihren Platz bei Ikea fänden. Welcher Vater träumt nicht davon? Aber sie müssen sich ihren Platz erarbeiten. Im Kontrollgremium der Stiftung darf immer nur einer sitzen, der den Namen Kamprad trägt. Es gibt keine automatische Erbfolge.

Warum möchten Sie den Rest der Welt nun unbedingt mit Ikea beglücken?

In diesen Designer-Läden in Mailand oder sonst wo können Sie ein Sofa für wahnsinnig viel Geld kaufen. Und wo stellen Sie es hin? Die überwältigende Mehrheit der Menschheit hat ein schmales Portemonnaie. Die überwältigende Mehrheit der Menschheit lebt in kleinen Wohnungen. Diese Massen sind unsere Kunden. Sie wollen ein gemütliches und freundliches Zuhause für sich und ihre Familien. Und das gilt für Menschen überall auf der Welt.

Das klingt nach heiler Welt auf dem Kuschelsofa.

Nein. Das ist sehr modern. Sehen Sie sich doch um: Wie verbringen wir denn unsere Zeit? So viele sind unglücklich und unzufrieden. Da haben wir zum Beispiel dieses Internet und glauben, dass wir alles wissen müssen. Doch wir können alle die Informationen, die uns angeboten werden, gar nicht aufnehmen oder verarbeiten. Wir leiden unter negativem Stress. Wir haben keine Wurzeln mehr. Dagegen muss man kämpfen. Wir müssen mehr Zeit für uns selbst finden. Wir müssen den Respekt für das eigene Zuhause wiederherstellen.

Aber eigentlich wollen Sie Geld verdienen.

Ja, natürlich. Ich bewundere die Marktwirtschaft - wenn sie verantwortungsvoll ist. Jetzt gerade wird in Russland ein großer Traum wahr, den ich seit 30 Jahren habe. Dort warten so viele Menschen auf uns. Wir verkaufen ihnen Möbel. Und wir bringen ihnen Arbeit, unsere Arbeitskultur, unsere Überzeugungen. Wenn man das alles zusammennimmt, dann tragen wir vielleicht ein winziges Stück bei zur Demokratisierung.

Im globalen Wettbewerb geht es aber nicht demokratisch zu. Und Ikea lässt mittlerweile fast die Hälfte seiner Produkte in Billiglohnländern herstellen.

Das wollen wir. Wettbewerb ist gut. Konkurrenz ist gut. Aber ich hasse diese Kapitalisten mit den Dollarzeichen in ihren Augen. Viele dieser Businessmänner kommen und behaupten, sie wissen, wie man alles richtig macht. Sie wollen regieren und nur schnell Geld verdienen, alles andere ist ihnen egal. Wenn man andere Menschen und ihre Überzeugungen nicht respektiert, wird es ein böses Ende für uns alle nehmen. Wir wollen langfristige Beziehungen zu unseren Lieferanten. Daher unterstützen wir sie. Wir können immer etwas von ihnen lernen. Und langfristig zahlt sich das aus. Man kann Geschäfte machen und trotzdem anständig sein.

Sie haben mit Ikea Milliarden verdient. Warum bleiben Sie so geizig und vergleichen immer noch alle Preise, sogar die für Postkarten?

Ja, das mit den Postkarten stimmt. Und ich bin fasziniert von Preisen. Aber letztlich ist es ganz einfach: Wenn du ein gutes Ergebnis erzielen willst, dann musst du mit gutem Beispiel vorangehen. Natürlich könnte ich mir zum Beispiel einen teuren Flug leisten. Aber warum soll ich mehr Geld ausgeben als nötig? Wegen eines Glases Wein? Ich komme ja nicht schneller ans Ziel. Natürlich könnte ich ein eigenes Büro haben. Aber meine Mitarbeiter haben das nicht, also habe auch ich nur meine Büro-Ecke. Es ist besser, ein bisschen zu geizig zu sein, als viel Geld zum Fenster rauszuwerfen.

Was leisten Sie sich?

Ich hatte mal ein paar Porsche. Ich miete ein Haus in der Schweiz und habe ein kleines Weingut in Frankreich. Und ich kann es mir leisten, Fehler zu machen. Für mich arbeiten Menschen, die sie korrigieren können. Keiner hat mehr Fehler gemacht als ich.

Zum Beispiel Ihre Mitgliedschaft in einer stramm nationalsozialistisch orientierten schwedischen Jugendbewegung zur Zeit des Zweiten Weltkrieges.

Das war das größte Fiasko meines Lebens. Dafür schäme ich mich. Obwohl Hunderttausende das Gleiche gemacht haben wie ich. Ich habe mich entschuldigt, immer wieder. Aber es hängt mir immer noch an. Das muss wohl so sein.

Warum umarmen Sie eigentlich jedes Jahr Tausende Ihrer Mitarbeiter? Ist das nicht ein bisschen viel von Ikea-Familie?

Man sagt, ich betreibe Management durch Umarmung. In gewisser Weise stimmt das. Es ist gut für mein Selbstbewusstsein. Ich glaube an die Idee, gemeinsam etwas zu schaffen. Ich möchte die Meinung anderer hören, egal, wer es ist. Denn wir machen noch so viel falsch. Ich hasse es, wenn man sagt, Ikea sei die beste Firma der Welt. Vielleicht sind wir auf dem Weg dahin. Doch wir sind noch lange nicht gut.

Und was läuft schlecht?

Wir diskutieren viel zu viel. Darüber vergessen wir die Realität. Wir haben fantastische Mitarbeiter, aber auch bei uns gibt es Manager, die nur schwer Entscheidungen treffen können. So gesehen haben wir mehr schlechte Chefs als schlechte Mitarbeiter.

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Katja Gloger