Die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie legen weite Teile der Wirtschaft lahm. Grenzen werden geschlossen, Lieferketten unterbrochen und Menschen können ihre Arbeit nicht mehr wie gewohnt verrichten. Was bedeutet das für die Produktion landwirtschaftlicher Produkte, für den Nachschub an lebenswichtigen Grundnahrungsmitteln?
"Die Lebensmittelversorgung ist gesichert", beteuerte Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, am Dienstag. "Die Supermärkte bleiben offen." Deutschland sei mit heimischen Lebensmitteln wie Kartoffeln, Getreide, Käse oder Schweinefleisch gut versorgt, andererseits gehe es bei Beschränkungen im Grenzverkehr nicht um Warentransporte. Die gesamte Ernährungsbranche von der Landwirtschaft bis zu den Kassierern im Supermarkt sei systemrelevant und werde zur sensiblen oder kritischen Infrastruktur gezählt, so Klöckner.
Aber was sagen Fachleute zu den Auswirkungen auf die Lebensmittel-Infrastruktur? Drei Agrarmarktwissenschaftler haben ausführlich Stellung bezogen. Hier ihre Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Welche Bereiche der Produktionskette von der Landwirtschaft bis hin zum fertigen Lebensmittel sind besonders anfällig für Pandemie-bedingte Störungen?
Professor Sebastian Hess, Leiter des Fachgebiets Agrarmärkte an der Uni Hohenheim:
"Lieferketten im Nahrungsmittelbereich sind verwundbar durch die hohe Verderblichkeit vieler Agrarprodukte und die damit zusammenhängenden hohen Anforderungen an die Transport- und Verarbeitungslogistik. Jede Einschränkung im Transport kann zum Beispiel zur Unterbrechung von Kühlketten führen oder vorhandene Lagerkapazitäten könnten nicht ausreichen. Für die wichtigsten Agrarprodukte existieren jedoch viele Produktions- und Verarbeitungsstätten an unterschiedlichen Standorten, so dass diese sich substituieren können und kaum die Gefahr von Engpässen droht. Lediglich bei speziellen Verarbeitungsprodukten, die nur in einem oder in wenigen Betrieben hergestellt werden, könnten sich bei Werksschließungen kurzfristig Engpässe ergeben. Dies betrifft dann meist spezielle Inhaltsstoffe oder Spezialitäten.
Je spezieller und reaktiver eine Wertschöpfungskette aufgestellt ist, umso stärker können sich temporäre Engpässe bei Transport oder Verarbeitung auf die Verfügbarkeit von Produkten auswirken. Je generischer ein Agrarprodukt ist und je besser es gelagert werden kann, umso unwahrscheinlicher sind ernste Engpässe."
Achim Spiller, Professor für Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte an der Uni Göttingen:
"In der Lebensmittelindustrie gibt es stark automatisierte Bereiche, wie die Molkereien, und arbeitsintensive Bereiche, wie die Schlachtindustrie. Die Schlachtindustrie könnte daher stärker gefährdet sein, auch weil hier viele prekär Beschäftigte tätig sind, die zum Beispiel in Gemeinschaftsunterkünften für ausländische Leiharbeitskräfte untergebracht sind.
Die Lebensmittelindustrie ist mit rund 6000 Unternehmen relativ mittelständisch geprägt, es gibt also viele verschiedene Lieferanten, so dass der Ausfall eines Betriebes kein Problem ist. Auch ist die Branche hoch automatisiert. Weiterhin gibt es in der Regel Lagervorräte, die allerdings heute aufgrund veränderter Lieferbeziehungen etwas niedriger sind als früher. Die Lagervorräte betragen bei haltbaren Produkten im Durchschnitt nach Schätzungen etwa eine Woche bis einen Monat. Bei Frischeprodukten natürlich weniger. Trotzdem sind größere Engpässe eher nicht zu erwarten. Die deutsche Lebensmittelindustrie exportiert zudem viel, so dass auch von dieser Seite Reserven vorhanden sind."
Professor Klaus Dittert, Leiter der Abteilung für Pflanzenernährung und Ertragsphysiologie an der Uni Göttingen:
"Für den Bereich der landwirtschaftlichen Erzeugung der großen landwirtschaftlichen Massengüter wie Weizen, Kartoffeln und Ölsaaten – also zum Beispiel Raps – erwarte ich keine besondere Risikolage.
In Abhängigkeit von der Dauer der aktuellen Einschränkungen ergeben sich in der Erntezeit Risiken für all jene Kulturen, die auch heute noch großen Handarbeitsbedarf aufweisen. Engpässe wären hier denkbar bei Frischgemüse, Obst, besondere Kulturen wie Spargel oder Erdbeeren. Die Ursache dafür ist, dass hier vielfach Arbeitskräfte eingesetzt werden, die nicht aus der Region stammen, so dass Einschränkungen in der Freizügigkeit unmittelbare Auswirkung haben werden. Für die Versorgung der Bevölkerung könnten diese Engpässe weniger große Bedeutung haben, wenngleich sie zu Einschränkungen im Hinblick auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung führen können, aber für zahlreiche der betroffenen Erzeugerbetriebe kann diese Situation das Ende bedeuten!"
Sind Versorgungsunsicherheiten möglich, auch durch möglicherweise unterbrochene internationale Handelsketten?
Professor Dittert: "Es wird nicht unwichtig sein, wie lange die aktuell angeordneten Maßnahmen aufrechterhalten werden müssen. Da die Landwirtschaft inzwischen sehr stark mechanisiert ist, ist sie in annähernd ähnlichem Ausmaß wie die Autoindustrie von der Just-in-Time-Zulieferung abhängig. Bei länger andauernden Maßnahmen muss erwartet werden, dass auch Ersatzteillieferungen für Landmaschinen nicht in erforderlichem Maße stattfinden werden. Die Folge könnte sein, dass Maschinen für die Aussaat, Pflege und Ernte der landschaftlichen Erzeugnisse auch bei eher kleinen Pannen ausfallen werden.
Einschränkungen im Bereich der Handelsketten werden wahrscheinlich ausgeprägt die Bereiche Frischgemüse und Obst betreffen, also Erzeugnisse, bei denen wir gewohnt sind, sie zu allen Jahreszeiten uneingeschränkt konsumieren zu können.
Im Frühjahr 2021 werden im Hinblick auf Produktionsmittel zumindest die Düngemittelmengen an Stickstoff und Kalium essenziell benötigt, die im Laufe des Jahres 2020 produziert werden müssen. Einschränkung in der Verfügbarkeit dieser Produktionsmittel hätten mit Sicherheit große Auswirkungen auf die insgesamt 2021 produzierten Mengen, die für die Ernährung der Bevölkerung Deutschlands benötigt werden. Dies würde dann auch Massengüter wie Weizen und Kartoffeln betreffen."
Professor Spiller: "Im Lebensmittelhandel gibt es in Deutschland im EU-Vergleich relativ viele Geschäfte pro Einwohner. Das Verkaufspersonal ist sicherlich besonderen Infektionsrisiken ausgesetzt, es gibt aber eben viele Geschäfte zur Auswahl. 52 Prozent der Bevölkerung haben ein Lebensmittelgeschäft im Umkreis von einem Kilometer um ihren Wohnort. Angesichts der hohen Anzahl der verschiedenen Artikel – ein Supermarkt führt etwa 9000 verschiedene Lebensmittel – sind ernsthafte Versorgungsengpässe nur dann denkbar, wenn ein erheblicher Teil der Arbeitskräfte in Deutschland ausfallen würde. Das ist aber angesichts der Tatsache, dass die meisten Menschen keinen schweren Krankheitsverlauf zeigen, nicht zu erwarten.
Wenn Engpässe global auftreten, richtet sich der Weltmarkt zudem nach der Zahlungsfähigkeit der Regionen, wenn die Preise steigen. Deutschland als wohlhabendes Land ist hier in einer guten Position. Leidtragende bei steigenden Weltmarktpreisen wären die Armen in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Vielfach sind dies Subsistenzlandwirte, die wenig von den steigenden Preisen profitieren, aber selbst auch Lebensmittel einkaufen müssen, und die Bewohner der städtischen Armenviertel. Auch in Deutschland wird es, wenn es so weit kommen sollte, die sozial schwachen Gruppen treffen, wenn zum Beispiel die Tafeln nicht mehr genug Lebensmittel erhalten. Die Corona-Pandemie wird also möglicherweise zur Verstärkung von Ernährungsarmut in Deutschland und der Welt beitragen, aber wohl nicht die Versorgung der Bevölkerung in der Breite beeinträchtigen."

Welche Probleme bringt die aktuelle Corona-Situation bei Anbau und Ernte von Ackerkulturen?
Professor Hess: "Für viele der wichtigsten pflanzlichen Kulturen wie Getreide und Ölsaaten ist die Aussaat bereits im vergangenen Herbst getätigt worden. Saat- und Pflanzgut für wichtige Frühjahrskulturen – Mais, Zuckerrüben, Kartoffeln – wird durch Landwirte meist vor Beginn der Frühjahrsarbeiten eingelagert. Ähnliches gilt für Dünger und Pflanzenschutzmittel: Diese Betriebsmittel sind zudem aufgrund ihrer guten Lagerfähigkeit nicht auf Just-in-Time Lieferungen ausgelegt und daher durch kurzfristige Verzögerungen im Transport auf Straße oder Seeweg wenig verwundbar.
Kurzfristig problematisch könnte eine ausbleibende Verfügbarkeit von Saisonarbeitskräften aus Osteuropa werden. Dies betrifft arbeitsintensive Spezialkulturen wie Spargel und Erdbeeren."
Professor Spiller: "Die Landwirtschaft beziehungsweise die Landwirtinnen und Landwirte werden wahrscheinlich – da im ländlichen Raum tätig – selbst zunächst eher weniger vom Virus betroffen sein. Die deutsche Landwirtschaft ist zudem hoch technisiert. Pro Arbeitsplatz liegen die Investitionen im Durchschnitt höher als in der Industrie. Daher ist die Ernte vieler Pflanzen sehr effizient und benötigt wenig Personal. In diesem Bereich sind es die Landwirtinnen und Landwirte selbst, angestellte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder professionelle Lohnunternehmer, die ernten. Personalknappheit würde hier nur eintreten, wenn es zu extrem hohen Krankheitsständen käme. Diese Aussagen treffen auf die klassischen Ackerbaukulturen wie Getreide, Mais oder Zuckerrüben zu."
Arbeitsintensiv sind dagegen – weil nicht oder kaum automatisierbar – Teile der Gartenbaukulturen, zum Beispiel Spargel, Erdbeeren und so weiter. Diese sind in Deutschland auf Saisonarbeitskräfte – in der Regel aus Osteuropa – angewiesen, die möglicherweise durch die Corona-Krise nicht nach Deutschland kommen können oder wollen. Bei Saisonarbeitskräften ist die Personalsituation ohnehin schon seit Jahren angespannt. Bei dem niedrigen Lohnniveau und der anstrengenden Arbeit sind kaum heimische Arbeitskräfte zu gewinnen. [...] Es kann also bei Spargel und Co. zu ernsthaften Ernteproblemen kommen. Insgesamt ist Deutschland bei Obst und Gemüse besonders stark auf Importe angewiesen. Hier kann es also eher mal zu Lieferschwierigkeiten bei einzelnen Artikeln kommen."
Professor Dittert: "Im Bereich der großen Ackerkulturen wie Weizen, Gerste, Raps – die zudem bereits im Herbst als sogenannte Winterungen ausgesät werden – sind keine relevanten Einschränkungen in der Produktion zu erwarten. Diese Kulturen wachsen bereits und es kann erwartet werden, dass auch die relevanten Düngemittel in hinreichenden Mengen bereits an Ort und Stelle eingelagert wurden, so dass hier nicht zu erwarten ist, dass ihre Verfügbarkeit die Produktion in diesem Jahr einschränken wird. Saat- und Pflanzgut für die Kulturen Zuckerrüben, Mais und Kartoffeln, die erst in den kommenden Wochen zur Aussaat beziehungsweise zur Auspflanzung kommen werden, sollte ebenfalls in hinreichenden Mengen für eine uneingeschränkte landwirtschaftliche Produktion zur Verfügung stehen. Auch für diese Kulturen sind Engpässe bei den Düngemitteln nicht zu erwarten, denn diese werden üblicherweise bereits in den Herbst- und Wintermonaten transportiert und in der Nähe der landschaftlichen Verbraucher eingelagert.
Die zuvor gemachten Aussagen gelten unter der Annahme, dass die aktuelle Situation nicht zu Engpässen bei der Versorgung mit Diesel führen werden. Auch die Landwirtschaft ist aufgrund ihrer starken Mechanisierung massiv auf die Verfügbarkeit von Diesel angewiesen."
Inwiefern geraten Nutztierhaltung und Herstellung tierischer Produkte unter Druck?
Professor Hess: "Landwirtschaftliche Nutztiere werden normalerweise durch Familienarbeitskräfte oder fest angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versorgt. Krankheitsbedingte Ausfälle können hierbei normalerweise innerbetrieblich überbrückt werden. Für Familienbetriebe gibt es ein System von sogenannten Betriebshelfern. Dies sind landwirtschaftlich ausgebildete 'Springkräfte', die angefordert werden können, wenn ein Betrieb seine Tiere über einen längeren Zeitraum nicht aus eigener Kraft versorgen kann.
Wie bei Pflanzenschutzmitteln und Dünger gilt auch bei Veterinär-Medikamenten, dass zunächst gewisse Vorräte und Puffer vorhanden sind. Sollten tatsächlich bestimmte Wirkstoffe mittelfristig ausfallen, worauf es aktuell nach meinem Kenntnisstand keinen Hinweis gibt, und sollten diese Wirkstoffe nicht anders ersetzt werden können, werden kranke Nutztiere geschlachtet oder tierärztlich getötet und verwertet. [...] Mein Fazit: Gegenwärtig ist, von einzelbetrieblichen Ausnahmen abgesehen, nicht zu erwarten, dass die Nutztierhaltung in Deutschland insgesamt unter besonderen Druck geraten könnte."
Die Experten:
Prof. Dr. Sebastian Hess, Leiter des Fachgebiets Agrarmärkte, Institut für Agrarpolitik und Landwirtschaftliche Marktlehre, Fakultät Agrarwissenschaften, Universität Hohenheim
Prof. Dr. Achim Spiller, Professor für Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte, Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung, Georg-August-Universität Göttingen
Prof. Dr. Klaus Dittert, Leiter der Abteilung für Pflanzenernährung und Ertragsphysiologie, Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen und wissenschaftlicher Leiter des Institute of Applied Plant Nutrition (IAPN), Göttingen