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Klage gegen Nestlé & Co. "Schokoriegel werden von Kindersklaven gemacht"

Vor 15 Jahren enthüllte eine Dokumentation, wie sehr die Schokoladenindustrie von der Arbeit afrikanischer Kinder profitiert. Die Konzerne gelobten Besserung. Aber bis heute ist alles nur noch viel schlimmer geworden.
Von Tim Sohr

Nimmt die Schokoladenindustrie seit Jahren wissentlich in Kauf, dass Kinder in Afrika für die Produktion der süßen Riegel leiden müssen? Laut einem Bericht von "The Daily Beast" haben drei Kalifornier jetzt Klage gegen die Konzerne Hershey, Mars und Nestlé erhoben. Die Firmen müssten auf ihren Verpackungen anzeigen, dass ihre Schokoriegel mithilfe von Kinderarbeit hergestellt werden - ansonsten würden Konsumenten zu ahnungslosen Unterstützern der Zustände auf westafrikanischen Kakaoplantagen.

Von dort kommen zwei Drittel aller Kakaobohnen, der Hauptzutat von Schokolade - dem Produkt einer 90-Milliarden-Dollar-Industrie. Eine aktuelle Studie der Tulane University belegt, dass die Zahl der schwer arbeitenden Kinder auf Kakaoplantagen steigt und steigt. Für die repräsentative Untersuchung haben die Forscher 2267 Haushalte in Ghana und der Elfenbeinküste befragt, finanziert vom US-Arbeitsministerium. 

Das Ergebnis: Im Zeitraum 2014 arbeiteten in beiden Ländern rund 2,26 Millionen Kinder im Alter von 5 bis 17 Jahren in der Kakaoproduktion. Das sind 443.000 mehr als noch 2009. Insgesamt leben in den Anbaugebieten in Ghana und der Elfenbeinküste etwa sechs Millionen Kinder in der untersuchten Altersklasse. 90 Prozent der Kinder verrichten schwerste und gefährliche Arbeit, schleppen schwere Säcke mit Bohnen und Wasser oder ernten Schoten mit Macheten.

Warnhinweise wie auf Zigarettenpackungen denkbar

Dabei sollten die Zustände längst der Vergangenheit angehören: In einer schockierenden Dokumentation aus dem Jahr 2000, Slavery: A Global Investigation, wurde erstmals die Verbindung zwischen der Schokoladenindustrie und der Sklavenarbeit auf den Erntefeldern hergestellt. Der Skandal schlug nach Veröffentlichung des Films hohe Wellen. Auf Initiative der US-Lebensmittelüberwachungsbehörde sollte ein neues Gesetz die Unternehmen dazu verpflichten, ihre Schoko-Produkte als "sklavenfrei" zu labeln. Auch Warnhinweise wie auf Zigarettenpackungen wären denkbar: "Dieser Schokoriegel wurde von Kindersklaven gemacht."

Kurz vor Verabschiedung des Gesetzes intervenierte die Industrie jedoch mit einem Versprechen: Bis 2005 würde man innerhalb eines selbstregulierenden Prozesses alle illegalen Praktiken aus den Produktionsabläufen verbannen. Die entsprechende Vereinbarung wurde 2001 von acht Unternehmen - darunter Nestlé, Mars und Hershey - unterzeichnet.

Tatsächlich sind bis heute mehrere Deadlines verstrichen, die Vereinbarung wurde modifiziert und die Frist bis 2020 verlängert. Verbessert hat sich nichts. Im Gegenteil: In der Kakaoernte arbeiten mehr Kinder - siehe oben - als je zuvor. Und die Klage aus Kalifornien wirft jetzt ein neues, stockdunkles Licht auf die Rolle der Industrie. Der Dokumentarfilmer Miki Mistrati, der sich in seinem Film "Shady Chocolate" mit dem Thema beschäftigt, sagt: "Moderne Sklaverei mit Kindern ist Teil der heutigen Schokoladenindustrie." Mistrati glaubt, die Klage könnte dabei helfen, das Bewusstsein für die Problematik zu schärfen: "Aber ich glaube nicht, dass sie wirklich etwas verändern wird." Mistrati gibt aber auch den amerikanischen Schokoladenfreunden eine Mitschuld: "Die Konsumenten waren nicht kritisch genug. Sie haben sich nicht gefragt, wie ein Schokoriegel einen Dollar kosten kann, wenn der Kakao aus Afrika kommt."

Nimmt Nestlé das Heft des Handelns in die Hand?

Laut Informationen von "The Daily Beast" scheint Nestlé von den beschuldigten Firmen diejenige zu sein, die im Kampf gegen Kinderarbeit jetzt das Heft des Handelns in die Hand nimmt. Ein mit 100 Millionen Dollar finanziertes System soll bei der Überwachung der Produktionsabläufe helfen und verhindern, dass Kinder weiter Schaden im Namen der Firma nehmen. "Kinderarbeit hat keinen Platz in unserer Kakao-Lieferkette", sagt ein Nestlé-Sprecher.

Steve Berman, einer der Anwälte der kalifornischen Kläger, traut diesem Aktionismus allerdings nicht und bezieht sich auf die neuesten Studien: "Wir bezweifeln, dass Nestlé das sehr ernst nimmt."

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