Diesmal sollte alles ganz schnell gehen. Seit zwei Jahren verhandeln Gewerkschaft, kommunale Arbeitgeber und Vertreter des Bundes über eine grundlegende Reform des 50 Jahre alten Tarifrechts. In Potsdam sollten nur noch Detailfragen beraten werden. Doch aus der schnellen Einigung wurde nichts. Immer wieder zogen sich Gewerkschaften und Arbeitgeber zu getrennten Beratungen zurück. "Die Radieschen wachsen langsam", umschrieb Bundesinnenminister Otto Schily den anhaltenden Tarifpoker.
Nullrunde und Einmalzahlungen
So hieß es denn für die 125 Vertreter der Verdi-Tarifkommission und die 57 Delegierten der Arbeitgeber an den drei Verhandlungstagen vor allem Warten und nochmals Warten. 17 Stunden rangen Schily, Verdi-Chef Frank Bsirske und der Präsident der kommunalen Arbeitgeber, Thomas Böhle, hinter verschlossenen Türen um einen Kompromiss für die 2,1 Millionen Beschäftigten der Kommunen und die 200.000 Beschäftigten des Bundes. Vor allem an der Arbeitszeit hakte es. Die Gewerkschaften waren erstmals ohne Lohnforderung in die Verhandlungen gegangen und hatten auch auf eine Kündigung des Tarifvertrages verzichtet. Aber eine Verlängerung der Arbeitszeit, wie von den kommunalen Arbeitgebern gefordert, kam für sie nicht in Frage.
In einer nächtlichen Runde handelten kommunale Arbeitgeber, Bund und Gewerkschaften in zähem Ringen einen Kompromissvorschlag aus. Demnach nehmen die öffentlich Beschäftigten eine Nullrunde in Kauf, erhalten aber als Ausgleich Einmahlzahlungen in Höhe von insgesamt 900 Euro. Dies entspräche Verhandlungskreisen zufolge einer Lohnerhöhung von etwa einem Prozent.
Das reformierte Tarifrecht gilt vorerst nur für die Tarifbeschäftigten des Bundes und der Kommunen. Die Länder wollen die Einigung nicht übernehmen: Diese binde die Länder nicht, da die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) in Potsdam nicht am Verhandlungstisch gewesen sei, teilte der TdL-Vorsitzende, Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring (CDU), am Abend in Hannover mit. Die Länder mit ihren rund 900.000 Beschäftigten waren im vergangenen Jahres ausgeschert.
Knackpunkt: Arbeitszeit
Auf harsche Kritik bei den Gewerkschaften stieß vor allem die lange Laufzeit des Tarifvertrages bis 2008. Außerdem sieht das Papier eine Angleichung der Arbeitszeit für die Angestellten des Bundes in Ost- und Westdeutschland auf 39 Wochenstunden vor. Bei den Kommunen blieb es dagegen wie bisher bei 40 Wochenstunden in den neuen und 38,5 Stunden in den alten Ländern. Die Städte und Gemeinden hätten einen Vorschlag von Schily nach einer generellen Angleichung unter Verweis auf ihre Kassenlage abgelehnt, hieß es.
Die Verdi-Tarifkommission stimmte dem Kompromissvorschlag Mittwochnachmittag zuerst zu. Danach folgten die Arbeitgeber. Begeisterung kam bei den Delegierten allerdings nicht auf. Schwer zu vermitteln sei der Abschluss bei den Kollegen, meinten die Gewerkschafter. Auf Unmut stieß besonders die lange Laufzeit und die Verlängerung der Wochenarbeitszeit in Westdeutschland für die Bundesangestellten. Auch mit Blick auf die nächste Tarifrunde 2008 machte sich Unbehagen breit. Denn nach dieser de facto Nullrunde setzen die Verhandlungen wieder beim Niveau der Löhne und Gehälter von 2005 an.
Zulagensystem eines der kompliziertesten weltweit
Im Ziel waren sich alle Verhandlungspartner einig. Nichts Geringeres als eine umfassende Reform des Tarifrechts im öffentlichen Dienst sollte erreicht werden. Damit sollen Ämter, Entsorgungsunternehmen und der öffentliche Nahverkehr wieder serviceorientierter und wettbewerbsfähiger werden. Die so genannte Sitzprämie für öffentlich Bedienstete soll der Vergangenheit angehören. Damit werden Gehaltserhöhungen fortan an Leistungen gekoppelt und nicht mehr automatisch nach einer bestimmten Anzahl von Berufsjahren gewährt.
Immer wieder kamen in den einzelnen Verhandlungsrunden Zahlen auf den Tisch, die wieder verworfen wurden. Zu vielfältig sind die Berufsbilder im öffentlichen Dienst. Das Tarifsystem mit seinen 17.000 Zulagenarten gilt zudem als eines der kompliziertesten weltweit. Mehrere Stunden nahmen beispielsweise die Berechnungen für die Gehälter der Beschäftigten in Krankenhäusern und im Pflegedienst in Anspruch. Allein die Berechnung der Zuschläge brachte manchen Tarifexperten an den Rand der Verzweiflung.