Das Ende einer fast 100-Jährigen nationalen Tradition ist nah: Ab 28. Juli können sich deutsche Verbraucher zum voraussichtlich letzten Mal in den gewohnten Sommerschlussverkauf stürzen. Den klassischen, bundesweit einheitlichen Ausverkauf wird es im nächsten Jahr wohl nicht mehr geben, weder zum Saisonende im Sommer noch im Winter. Die beiden zweiwöchigen Großereignisse SSV und WSV, die es seit etwa 1911 immer wieder mit Unterbrechungen gab und auf die Millionen Schnäppchenjäger schon Wochen vorher hinfieberten, sind dann Geschichte.
Ende der starren Terminrituale
Wird die Neuregelung des Wettbewerbsrechts (UWG) wie von der Regierung geplant zum Jahresende in Kraft treten, müssen preisbewusste Verbraucher allerdings keine allzu dicken Krokodilstränen vergießen. Abgeschafft sollen schließlich nur die bisherigen starren Terminrituale werden, nicht aber die Rotstift-Aktionen selbst. Im Gegenteil: 2004 schon sollen Sonderverkäufe nicht mehr beschränkt sein, sondern ständig über das ganze Jahr angeboten werden können - je nach Bedarf, Unternehmenslage und Lagerkapazität der einzelnen Geschäfte. Profitieren kann der Kunde dann auch von groß angelegten Rabattverkäufen, die nach dem alten Recht verboten waren.
Händler-Gruppen und regionale Aktionen
"Jeder Laden könnte also seinen eigenen Schlussverkauf organisieren, vor Ostern, im September, in der Weihnachtszeit, wann es ihm passt", wagt Markus Saller, Jurist der Verbraucherzentrale München, einen Blick in die nahe Zukunft. Nach Einschätzung von Carel Mohn, Sprecher des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv), werden sich Händler auch zu Gruppen zusammenschließen, um Kunden mit regionalen oder örtlichen Sonderverkäufen und "Happening-Effekt" anzulocken.
Abschied von fixen Terminen
Für den Verbraucher heißt das zunächst einmal: Verwirrung sowie Abschied nehmen von "verinnerlichten Terminen", wie Saller meint. Die künftige Einkaufswelt mit permanenten Nachlass-Aktionen wird deutlich weniger übersichtlich werden. Und anstrengender, was die Planung angeht. Dafür "ehrlicher", wie auch Mohn vermutet. Denn der Handel hatte die bisherigen Schlussverkaufsregelungen schon lange aufgeweicht. Wochen vor den offiziellen Abverkäufen hing die Ware schon reduziert auf den Ständern. Was danach übrig blieb, kritisierten qualitätsbewusste Käufer gern als "Ramsch". "Es ist nur sinnvoll, dass man sich jetzt von den Grauzonen löst", betont Jurist Saller. Den Verbrauchern dürfte es Recht sein, so lange die Preisnachlässe stimmen.
Schlussverkauf nach dem Schlussverkauf?
Obwohl das Aus für die Schlussverkäufe nach bisherigem Muster beschlossene Sache ist, könnte es auch in Zukunft wieder welche geben. Denn SSV und WSV sind keine geschützten Bezeichnungen. "Geschäfte könnten die Namen für ihre Sonderverkäufe nutzen und sie als Marketinginstrument weiterführen", erläutert Saller. Beim Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) in Berlin gehen ähnliche Befürchtungen um. "Wird damit wie gehabt geworben, könnte ein Sommerschlussverkauf den anderen jagen", ist die stellvertretende HDE-Sprecherin Ulrike Hörchens überzeugt.
Auch andere Branchen machen mit
Um die Kunden angeblich nicht vollends zu verwirren, plädiert der Einzelhandel nun dafür, die Titel im neuen Gesetz schützen zu lassen und die Werbung damit wieder auf festgelegte Wochen zum jeweiligen Saisonende beschränken. Doch das ist längst nicht alles: Was der Verband auf den letzten Drücker zudem durchsetzen will kommt einer nahtlosen Wiederauferstehung der nationalen Schlussverkaufs-Tradition gleich, kaum dass sie begraben wurde. Statt Abschaffung soll es gar eine Ausweitung der Ausverkäufe geben auf bislang ausgeschlossene Branchen wie Unterhaltungselektronik, Möbel und Haushaltswaren, meint Hörchens.
Letzte Entscheidung im Herbst
Ob sich am modernisierten Gesetzestext noch rütteln lässt, bleibt fraglich. Entschieden wird darüber im Bundestag nach der Sommerpause - und nach dem vorerst letzten offiziellen Sommerschlussverkauf in Deutschland.