Textverarbeitung statt Tortenbacken, Belege abheften statt Beton gießen: Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat älteren Handwerkern angesichts der kommenden Rente mit 67 geraten, Büroarbeiten zu übernehmen und damit für viel Kritik gesorgt.
"Ob Dachdecker oder Bäcker, niemand muss mit 66 noch genau dasselbe machen, was er mit 16 gelernt hat", sagte die Ministerin der "Rheinischen Post". Wer Berufserfahrung habe, könne "auch Büroarbeit in seiner Branche übernehmen." Ihr Sprecher Jens Flosdorff erläuterte, bei der Suche nach Beschäftigungsmöglichkeiten für Ältere seien "viele aufgerufen, kreativer zu denken".
IG-BAU-Chef: Ministerin ist lebensfremd
Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) bezeichnete die Äußerungen der Ministerin als lebensfremd. "Dachdecker, Maurer, Eisenflechter oder Betongießer ins Büro verpflanzen zu wollen, wird nicht funktionieren", warnte IG-BAU-Chef Klaus Wiesehügel in Frankfurt. Statt "Job-Illusionen" zu schaffen, solle das Bundesarbeitsministerium die Realität zur Kenntnis nehmen. Noch nicht einmal jeder achte Beschäftigte auf dem Bau sei 55 Jahre oder älter. Woher die Ministerin diese Jobs nehmen und wie sie die Arbeitgeber zu einem solchen Jobwechsel motivieren wolle, "bleibt schleierhaft".
Ex-SPD-Chef Beck, der Ausnahmen bei der Rente mit 67 befürwortet, bezeichnete von der Leyens Vorschlag als "Quatsch mit Soße" und "fern der Realität". Jemand, der 40 Jahre auf dem Bau gearbeitet habe, könne nicht einfach so im Büro eingesetzt werden, sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident in Mainz. Es werde weiterhin flexible Übergangslösungen für die Rente mit 67 geben müssen. Beck verwies auf seine Vorschläge eines individuellen Rentenkontos für solche Fälle, von denen dann die Abschläge der Rentenkassen ausgeglichen werden könnten.
Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, bezeichnete von der Leyens Pläne für ältere Arbeitnehmer als "realitätsfern". "Ich kann diese Äußerungen kaum als konkrete Vorschläge ernst nehmen. Ich fürchte, die Ministerin ist ziemlich weit weg von der Praxis in der Arbeitswelt", sagte Mascher der "Leipziger Volkszeitung"
2012 startet Anhebung der Altersgrenze
Zwischen 2012 und 2029 wird die Altersgrenze für eine Rente ohne Abschläge schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben. Die Gewerkschaften sehen darin vor allem ein Rentenkürzungsprogramm und fordern flexible Übergänge und Verbesserungen für Frührentner. Von der Leyen hatte zugesagt, bei der Suche nach praktikablen Lösungen auch auf Anregungen der Gewerkschaften zu setzen.