Interview Miriam Meckel "Grenzen gab es für mich nicht"

Journalistin, Professorin, Politikerin - in Überschallgeschwindigkeit machte Miriam Meckel, Lebensgefährtin von Anne Will, Karriere. Dann kam der totale Zusammenbruch. Ein Interview über das Danach.

Frau Meckel, Sie haben sehr jung sehr schnell sehr viel erreicht. Sowohl beruflich als auch privat waren Sie permanent in Aktion. Wann wurde das ungesund für Sie? Das war eine schleichende Entwicklung. Im Rückblick waren es etwa 15 Jahre, in denen ich fast rund um die Uhr aktiv war und viel zu viel gearbeitet habe. Diese Jahre haben sozusagen auf mein Burnout-Konto eingezahlt. Mein Grundproblem war, dass ich zwischen Arbeit und Ausspannen nie wirklich eine Grenze gezogen habe, weil die Übergänge fließend waren. Das ist vielleicht typisch für kreative Menschen.

Wenn Ihre Arbeit Ihnen so viel Freude macht, wo genau lag dann das Problem?

Ich habe in der Situation einer totalen Kommunikationsüberlastung gelebt. Das war zuweilen reiner Stress. Ich hatte so viele Bereiche, in denen ich aktiv war, alle wollten etwas von mir. Dazu kam das häufige Reisen. Beruflich bin ich für viele Projekte unterwegs, immer wieder auch auf internationalen Konferenzen, auch privat musste ich ständig reisen. Ich habe permanent im Flugzeug gesessen. Und ich habe dauernd vom Kofferpacken geträumt oder davon, einen Flieger zu verpassen. Oder ich war schuld daran, dass jemand anderes seinen Flieger verpasste. Überhaupt hatte ich viele Albträume, bin nachts oft schweißgebadet hoch geschreckt, weil mir irgendwas eingefallen war, das ich noch dringend erledigen musste.

Gefunden in ...

... der April-Ausgabe des Magazins "emotion", das derzeit am Kiosk erhältlich ist. Darin finden Sie in einem Dossier Inspirationen für den Umgang mit Stress und eine Anleitung, wie Sie mehr Freiräume für sich selbst schaffen. Außerdem lesen Sie ein Interview mit Deutschlands bekanntester Schauspielerin Iris Berben über Selbstbewußtsein. Dem Magazin liegt eine Extra-Beilage "Women at Work" bei.

2007 haben Sie ein Buch darüber geschrieben, dass wir alle unter Kommunikationsüberlastung leiden und eigentlich nicht multitaskingfähig sind. Haben Sie da nicht gespürt, dass Sie genau unter diesem Problem leiden? Die Frage habe ich mir sehr oft gestellt. Ich hatte das intellektuell verstanden, aber nicht, was es für mein Leben bedeutet. In einem Gespräch hat mein Arzt in der Klinik gesagt: 'Zwischen Erkennen und Umsetzen liegen Welten. Selbst bei Menschen, die glauben, alles zu durchschauen.' Das hat mich ein wenig getröstet. Es hapert selten an der Erkenntnis, sondern an der Umsetzung. Ich wage die These, dass ganz häufig dieser "Durchbrenner" notwendig ist, um zur Besinnung zu kommen.

Wie hat sich Ihr "Durchbrenner" angekündigt?

Ich hatte Probleme mit dem Essen, ständig heftige Magenschmerzen, mir war andauernd übel, und ich habe immer weiter abgenommen. Heute weiß ich, dass ich mir eine Infektion der Magenschleimhaut zugezogen hatte, die nach und nach meinen ganzen Stoffwechsel angegriffen hat. Am Tag des Zusammenbruchs habe eine Veranstaltung in Berlin moderiert und bin danach einfach zusammengeklappt. Habe am ganzen Körper gezittert, geweint - und überhaupt nicht verstanden, was mit mir passiert. Wenn Sie ein Mensch sind, der sonst sehr aktiv und sportlich ist und nie darüber nachgedacht hat, dass es Grenzen geben könnte, dann ist das eine ziemlich heftige Erfahrung. Meine Freundin hat mich dann sofort zum Arzt gefahren.

Haben Sie sich dagegen gewehrt?

Nein, an dem Punkt nicht mehr. An diesem Tag wusste ich: Ich brauche Hilfe, sofort und massiv.

Sie hatten während Ihres Klinikaufenthalts Zeit, um Ihr Leben zu beleuchten, und haben erkannt, dass Sie eigentlich immer im Modus "pflegeleicht" gelaufen sind: Stets die Erwartungen erfüllt, alles pünktlich erledigt, Sie wollten niemandem Mühe bereiten. In Ihrem Buch schreiben Sie, heute trügen Sie ein anderes Etikett: "Handwäsche mit Feinwaschmittel". Wie schafft man es, sich so umzuprogrammieren? Natürlich geht das nicht von heute auf morgen. Was ich gelernt habe, ist, meine Bedürfnisse zu artikulieren. Auch NEIN zu sagen - in Großbuchstaben. Deutlich zu machen: 'Das geht jetzt nicht.' Oder: 'Das kann ich nicht.' Oder auch: 'Das will ich nicht.' Darauf achte ich jetzt sehr genau.

Wozu sagen Sie heute Nein?

Ich war zu Beginn recht radikal. Ich habe viele Dinge abgesagt, bin zum Beispiel aus einer ganzen Reihe von Beiräten und Jurys ausgetreten. Ich sage inzwischen auch oft Anfragen für Moderationen oder Vorträge ab, einfach weil das oft mit zu viel Reisen verbunden ist. Und wenn es schwieriger wird, denke ich an das T-Shirt eines Freundes, auf dem steht: 'Which part of the NO you didn't get?' - also, 'Welchen Teil von NEIN hast du nicht verstanden?'

Wie erreichbar sind Sie heute? Ich hatte schon einiges bei den Recherchen zu meinem letzten Buch gelernt: Mails checke ich nur noch dreimal am Tag zu bestimmten Zeiten. Wenn ich unterwegs bin, gucke ich manchmal auch gar nicht rein. Zwei Tage keine Mails zu lesen, das war früher undenkbar.

Und wie haben Sie in Ihrem Privatleben aufgeräumt?

Mein Berliner Arzt hat gesagt: 'Sie müssen sich mal versuchen vorzustellen, welche Menschen Ihnen auch ab und zu etwas geben - und welche eigentlich immer nur ihre Energie saugen.' Und als er das Zweite sagte, machte es vor meinem inneren Auge ein paar Mal: plopp! Sofort hatte ich ein paar Kandidaten im Sinn. Daraus habe ich Konsequenzen gezogen.

Steckbrief Miriam Meckel

Ihre Karriere begann die 1967 geborene promovierte Kommunikationswissenschaftlerin als Journalistin beim WDR, sie arbeitete für Vox, RTL und moderierte bei n-tv. Mit 31 Jahren wurde sie Deutschlands jüngste Professorin an der Uni von Münster. 2002 holte sie Wolfgang Clement als Regierungssprecherin nach Düsseldorf. Sie schrieb wissenschaftliche Aufsätze, Artikel sowie Bücher und erhielt 2005 den Ruf an die renommierte Schweizer Universität in St. Gallen. Privat ist Miriam Meckel mit der Moderatorin Anne Will liiert.

Gab es Beschwerden aus Ihrem Freundeskreis, weil sich viele plötzlich vernachlässigt fühlten? Manchmal. Aber wenn ich meine Situation erkläre, verstehen das eigentlich alle. Das Buch, das ich über meinen Burnout geschrieben habe, hilft mir auch, es besser verständlich zu machen. Die Freunde, die es bereits gelesen haben, haben wirklich süß reagiert. Sie sagen zum Beispiel: 'Du musst gar nicht anrufen!' - weil ich nicht gerne telefoniere. 'Melde dich einfach, wenn du Zeit hast.' Viele sind im Umgang sanfter geworden und das finde ich wunderbar. Es ist beruhigend zu wissen, dass man nicht sofort eine Freundschaft verliert, wenn man sich mal eine Zeit lang nicht hört oder sieht.

Haben Sie den Eindruck, Sie werden von anderen geschont, seit Sie Ihren Burnout öffentlich gemacht haben?

Ich möchte gar nicht geschont werden! Viel wichtiger ist, dass ich es selbst hinbekomme, Nein zu sagen. Die Menschen dürfen ruhig zu mir kommen, ich sage dann Nein, wenn es mir zu viel wird.

"Brief an mein Leben"

Man mag es verstörend finden, dass Miriam Meckel, noch während sie in der Klinik ihren Burnout auskurierte, ein Buch verfasste. Doch das Ergebnis kann sich lesen lassen: Ungeschönt und selbstkritisch betreibt Meckel Seelenstrip und gibt Einblick in ihr Workaholic-Dasein und der XXL-Portion an Selbstausbeutung. Darüberhinaus reflektiert sie klug und bisweilen philosophisch über den Leistungsdruck und legt dabei fein beobachtet den Daumen in die Wunden unserer auf Effizienz getrimmten Gesellschaft.

Wofür schaufeln Sie sich heute Zeit frei? Für Genuss. Ich gehe wahnsinnig gern schön essen, trinke ein gutes Glas Rotwein, höre klassische Musik, lese. Früher hatte ich dafür wenig Zeit, weil ich ständig unterwegs war. In den neun Monaten vor meinem Burnout war ich gerade mal zwei Wochenenden zu Hause in St. Gallen, so etwas geht einfach nicht. Jetzt blocke ich mir die Zeit regelrecht im Kalender. Und ich sorge für Ruhezeiten. Selbst wenn ich einen wissenschaftlichen Aufsatz lesen muss, muss ich das nicht am Schreibtisch machen, sondern kann mich auch aufs Sofa legen, dabei Musik hören und Tee trinken. Mit kleinen Veränderungen schaffe ich so manchmal eine ganz andere Situation.

Was haben Sie durch den Burnout gelernt?

Der buchstäblich übervoll gepackte Koffer, der mein permanenter Begleiter war und aus dem ich gelebt habe, war das Symbol für meine Situation, mein Leben: Es gab zu wenig Raum für zu viele Dinge, die sich nicht entfalten konnten. Dieses Verhältnis von Raum und Zeit habe ich nun für mich anders definiert: Ich kann nur mit so viel Stoff oder Dingen umgehen, wie in den vorhandenen Raum passen. Also mache ich nur noch so viel, wie ich in vorhandener Zeit mit gutem Gefühl tun kann.

Interview: Tina Röhlich