"Too Human" ist in erster Linie ein Action-Rollenspiel, das auf dieselben Mechanismen vertraut wie der Genre-Urvater "Diablo". Nur ist das Universum, das Silicon Knights um diese Allerwelts-Idee herum erschaffen hat, deutlich komplexer, reichhaltiger - und auch gewöhnungsbedürftiger.
Die Entwickler wilderten für ihre etwas andere Götterdämmerung gnadenlos in der nordischen Sagenwelt, siedelten das Geschehen aber in einer fernen postapokalyptischen Zukunft an: Midgard trifft hier auf Matrix, Grendel auf Gewehre, Mythos auf Maschinen. Mittendrin: der Spieler, der in die Rolle des kybernetischen Superkriegers und Odin-Sprösslings Baldur schlüpft, um an all jenen Rache zu üben, die Schuld am Tod seiner Frau haben - und natürlich um die Welt zu retten. Simpler Plot, komplexe Erzählstruktur: Erst nach und nach entspinnt sich durch Rückblenden und ebenso lange wie erstklassige Zwischensequenzen die gesamte Tragweite der Geschichte, die jedoch allzu abrupt endet - mit dem Hinweis auf einen Nachfolger.
Zuvor müssen sich geneigte Xbox-360-Gamer (wahlweise auch mit einem Freund im Zweispieler-Coop-Modus) jedoch durch Horden von Kobolden, Schwarzalben und Trolle kämpfen, die gemäß dem Sci-Fi-Setting keine Fantasielebewesen sind, sondern zähe Kriegsroboter. Haushohen Gegnern klettert Baldur gerne mal aufs Dach, um ihnen spektakulär den Garaus zu machen, manche Bossduelle sind dagegen ausgesprochen öde ausgefallen.
Fünf Charakterklassen stehen zur Auswahl - vom ausgewogenen Krieger über den zähen Verteidiger bis hin zum selbstheilenden Bio-Ingenieur. Jede verfügt über Stärken, Schwächen und unterschiedliche Fertigkeiten, die sich - auch hier lässt "Diablo" grüßen - mit jedem Levelaufstieg ausbauen lassen. Irgendwann muss der Spieler allerdings eine Entscheidung treffen, die sich nicht mehr rückgängig machen lässt: Vertraut er auf seine Menschlichkeit oder setzt er vollends auf die Kybernetik. Die Wahl hat Auswirkungen auf weitere Talente und das künftige Equipment, allerdings nicht auf den Fortgang der Geschichte ...
Apropos: Mit Unmengen von Waffen, Schilden, Rüstungen, Runen, Bauplänen und anderem High-Tech-Nippes dreht "Too Human" in gewohnter Genre-Manier gnadenlos an der Motivations- und Belohnungsschraube. Allerdings ist das Wettrüsten auch dringend nötig, um der Gegnermassen Herr zu werden. Segnet man dennoch mal das Zeitliche, taucht eine Walküre auf, um Baldur nach Wallhalla und offenbar postwendend wieder zurückzubringen. Meist landet man wieder mitten im Geschehen, selten einen Tagesmarsch davon entfernt. Schlimme Folgen hat der Bildschirmtod nicht. Nur die Ausrüstung leidet ein wenig in ihrer Wertigkeit, lässt sich aber gegen Bares wieder problemlos reparieren.
Ungewöhnlich: die Steuerung. Gekämpft wird hauptsächlich mit dem rechten Analogstick, mit dessen Hilfe Baldur nach kurzer Eingewöhnungszeit in alle Richtungen kräftig austeilt. Mit seinem Combo-System, Trefferzähler und der Möglichkeit, stets zwischen Nah- und Fernkampfwaffen zu wechseln, ähnelt "Too Human" sogar Capcoms Action-Kracher "Devil May Cry 4". Sich mitten im Getümmel allerdings auf einen Gegner zu konzentrieren, wird dank der etwas willkürlichen Zielerfassung zum Glücksspiel.
Schweigen die Waffen, ist Baldur mit großer Wahrscheinlichkeit in der fantastisch-futuristischen Enklave Midgard oder im idyllischen Cyberspace unterwegs, um versperrte Türen zu öffnen, Geheimgänge freizulegen oder mit den mysteriösen Nornen ein erhellendes Gespräch zu führen.
Too Human
Hersteller/Vertrieb | Silicon Knights/Microsoft |
Genre | Rollenspiel |
Plattform | Xbox 360 |
Preis | ca. 60 Euro |
Altersfreigabe | ab 16 Jahren |
So sehr "Too Human" von seiner außergewöhnlichen Inszenierung lebt, so krankt der Titel mitunter aber am monotonen Gameplay und einigen Patzern: Obwohl die riesigen Level, von Ruinen im Eis bis hin zu düsteren Nekropolen, im Einbahnstraßen-Stil designt wurden, vermisst man schmerzlich eine Übersichtskarte. Die Zahl der Gegner hätte trotz unterschiedlicher Ausführungen etwas abwechslungsreicher ausfallen dürfen. Und auch technisch fehlt hier und da der Feinschliff, wenn Texturen erst spät nachladen oder die Bildwiederholungsrate in die Knie geht. Verwunderlich ist das angesichts des gebotenen Effektfeuerwerks und pausenlosen Action nicht, dennoch hat Silicon Knights bei den geplanten Fortsetzungen noch genügend Spielraum für Verbesserungen ...