Popstar zu werden, das war eigentlich in meinem Lebensplan nicht vorgesehen. Aber nun leuchtet mich in diesem grellen Orange eine Software-Packung an. "PopVoice" steht drauf, darüber "Singen wie die Stars". Die linke obere Ecke des Kartons ruft mir zu: "Erkenne Dein Potenzial!", "Entdecke Deine Stimme!", "Stelle Dich der Herausforderung!". Und dann steht da noch: "So erreichst Du Dein Ziel!".
Bohlen zum Trotz
Okay, überredet. Auf diese Weise gehirngewaschen überwinde ich meine natürliche Abscheu vor dem Mann, dessen Konterfei mir, umrahmt von den bereits zitierten Durchhalteparolen, von der PopVoice-Schachtel entgegen grinst: "Von Bohlen empfohlen" slogant es dazu, und dennoch werde ich meine Karriere als Nichtsänger aufs Spiel setzen. Seit es in der vierten Klasse zu einem unschönen Zusammentreffen von mir, einem Kassettenrekorder und der deutschen Nationalhymne kam, hat nie wieder ein menschliches Ohr einen gesungenen Laut von mir gehört, und streng fordere ich auch von anderen die Einhaltung der von mir aufgestellten Regel: "Man kann singen, oder man lässt es."
Ja hallo, Du...
Also: Türen zu, Fenster zu, Software installiert und das der Packung beiliegende Sony-Mikrofon angeschlossen. Nach Programmstart eine Flut von Orange auf dem Bildschirm, dazu ein Comicmädchen, Sina, das mich durch das Programm führen wird. Die krachbunte Optik und die penetrant jugendliche Ansprache sind nicht mein Fall, doch die Bedienung ist vorbildlich einfach. Nach ein paar Mausklicks treffe ich meinen Gesangslehrer, pardon: meinen "Vocal Coach", einen netten Jüngling in einem unfassbar gelben T-Shirt. Und er meint es ernst: Bevor ich die ersten Töne ausspucke, hat der Unterrichtsplan zweimal zehn verschiedene Einheiten Atemtechnik gesetzt. Der Gelbling erklärt (jeweils in einem kurzen Videofilm), warum diese Übungen wichtig sind, macht sie vor und fordert mich auf, es ihm gleich zu tun. Dass er auch nach der zehnten Wiederholung seine Freundlichkeit nicht verliert, ist zweifellos die Stärke eines virtuellen Gesangslehrers. Seine Schwäche wird ebenfalls offenbar: Er kann mich nicht daran hindern, die Atemübungen zu überspringen und direkt zum Gesangspart überzugehen. Denn was mich am meisten interessiert: Kann PopVoice tatsächlich analysieren, ob ich korrekt singe, wie es die Werbung verspricht?
Na, na, na, naaaaaaa
Erste Übung: Einen angespielten Ton auf "Na" nachsingen. Und dann treffe ich ihn endlich, den "Analyzer". Dieser Teil des PopVoice-Programms überprüft die ins Mikro gesungenen Töne und gibt grafisch ein Feedback darüber, wie weit die eigene Stimme vom angespielten Ton entfernt ist und ob - in späteren Lektionen - der Rhythmus stimmt. Dabei repräsentiert ein grauer Balken die Vorgabe, ein Punkt schwirrt um ihn herum, je nachdem, ob man zu hoch oder zu tief singt. Trifft man den Ton ganz ordentlich, ist der Punkt grün, je mehr man daneben liegt, desto mehr färbt er sich rot. Um unterschiedlichen Stimmlagen gerecht zu werden, lässt sich die Höhe des nachzusingenden Tons einstellen.
Es wird ernst
"Räusper". Ich bin ein wenig aufgeregt, obwohl außer meinem PC niemand zuhören wird. Ich greife das Mikro, starte den Analyzer, höre den Ton und singe ein beherztes "Naaaaaa". Und dabei passiert etwas sehr Überraschendes.
Der Punkt ist grün.
Auf Anhieb. Das nachträgliche Abspielen der Aufnahme zerstreut meine Zweifel. Ich habe wirklich den Ton getroffen.
So geht es weiter: Die nächsten Übungen - zwei Töne im Wechsel, dann einfache Tonfolgen - bestehe ich mit Bravour. Das visuelle Feedback des Analyzers ist dabei eine ausgezeichnete Hilfe. Ich bin verblüfft, hinter dieser maximal unseriösen Aufmachung ein gut funktionierendes Stück Software zu finden.
PopVoice
System | ab Windows ME |
Hersteller | Sony Music Entertainment |
Besonderheit | Sony-Mikrofon liegt bei |
Preis | ca. 55 Euro |
How to kill "Killing Me Softly"
Aufgrund dieser Erfolge nach Höherem strebend, überspringe ich die Unterrichtseinheit "Rhythmus" und gehe sofort in den Programmteil "Studio". Dort stehen zehn Songs zur Auswahl, die man einstudieren kann. Ich entscheide mich für "Killing Me Softly", das Lied kenne ich nämlich schon. Einmal den Text überfliegen, dann munter drauflos. Zum Üben ist der Song in einige kurze Abschnitte geteilt worden. Die jeweilige Strophe wird eingeblendet, und ich schmachte so gut ich kann ins Mikro.
Der Analyzer ist wenig beeindruckt, geschweige denn gerührt. Bei fast jedem Abschnitt sieht das Ergebnis aus wie eine geplatzte Packung Smarties: rote Punkte, grüne und gelbe - bunt gemischt. Mein Gesang war wohl so präzise wie ein Schuss mit der Schrotflinte.
Der erste Auftritt...
Dennoch wage ich mich auf die Bühne, guckt ja keiner, hört ja keiner - denke ich. Die "Stage" von "PopVoice" ist der Bereich, in dem komplette Songs zum Playback eingesungen werden, ohne grafische oder andere Hilfsmittel. Doch ich habe Zuhörer: Und unten rechts sitzen Sina, die Comictussi, und Dieter, der Bohlen. Sie spielen die Jury.
Ich "performe" um mein Leben. Aber ich habe kein gutes Gefühl. Eigentlich bietet die "Stage" auch die Möglichkeit, die eingesungenen Songs auf CD brennen zu lassen (entsprechende Hard- und Software vorausgesetzt). Dieses Feature werde ich wohl auslassen.
...ist auch der letzte
Endlich ist der Analyzer fertig mit der Gesamtauswertung meines "Gigs". Sein Urteil ist vernichtend: sechs Prozent. Um noch mehr Salz in die Wunde zu streuen, erfrage ich das Urteil der Jury. Ich klicke auf Sina - und erhalte eine Fehlermeldung. Ich klicke auf Dieter - und erhalte eine Fehlermeldung. Meine kurze Karriere als Popstar endet mit einem Windows-Fenster "Fehler im Director Player"...
Fazit
Außen pfui, innen hui: Die zahlreichen guten Atem-, Gesangs- und Rhythmus-Übungseinheiten und vor allem die sehr solide arbeitende Analyseeinheit sind für blutige Anfänger, aber auch interessierte Amateure ein gutes Hilfsmittel, um sich zu Hause mit der eigenen Stimme und den Anfängen des Singens zu befassen. Die quietschige Aufmachung verdeckt die Leistungsfähigkeit der Software ein wenig, offensichtlich sollen vor allem Jugendliche angesprochen werden. Wenn diese PopVoice benutzen, um sich spielerisch dem Singen und Musizieren zu nähern oder "Popstars" nachzuspielen - wunderbar. Einfach nur ärgerlich ist es aber, dass einige Aspekte des Programm suggerieren, es könne wirklich zu einer Karriere verhelfen. So gibt es einen Menüpunkt "Background", in dem allen Ernstes Tipps gegeben werden wie "Wenn Du Deinen ersten Plattenvertrag unterschreiben sollst, zeig ihn erst einem Anwalt". Fehlte nur noch, dass der Kontrakt der "PopVoice"-Packung gleich beigelegen hätte. Doch nur weil er für 55 Euro eine Software gekauft hat, wird niemand Popstar.
Hoffentlich.