Die Nummer-eins-Währung im Internet ist tot. Lange Zeit sorgten die Traffic-Zahlen ganz allein für multiple Orgasmen bei den Portalbetreibern, jetzt breitet sich tumbe Ratlosigkeit aus: Bitte link mich nicht mehr, denn viele Besucher kosten viel Geld. Schon schließen die ersten Homepages, werden die früher so begehrten Counter in den Müll geworfen.
Schreiben fürs Renommee
Ich habe da so einen Anrufer, der meldet sich regelmäßig und schwärmt mir von seinen neuen Projekten vor. Jetzt soll es eine neue Kioskzeitung in Sachen PC sein. Mit 180.000 Auflage, garantiert und mindestens. Wenn ich denn unbedingt wollte, dürfte ich ja mitschreiben und ein paar Seiten gestalten. Er würde dann meinen Namen runtersetzen, weil, das würde ja schon eine Menge Renommee einbringen, bei einem solchen Magazin mitmachen zu dürfen. Außerdem könnte er ja meine Homepage-Adresse mit angeben, damit alle Leser bei meinem Online-Auftritt vorbeischauen.
Noch vor zehn Jahren hätte mein Herz jetzt vor lauter Aufregung im Hals geschlagen. Vor zehn Jahren hätte ich mich auch nicht gewundert, dass noch kein Sterbenswörtchen über die finanzielle Entlohnung gesagt wurde. Heute weiß ich: Da hat einer keine Ahnung. Da ist jemand, der 180.000 Auflage sagt, 100.000 meint, am Ende nur 30.000 druckt, davon 5.000 verkauft und anschließend pleite ist. Dieser Jemand besitzt aber eine gewisse Bauernschläue: Er packt mich am Ego und versucht insgeheim, von mir Content ohne Geld abzusahnen. Obwohl: Fast hätte ich ihm die Seiten gegeben. Wenn er nur meine Homepage-Adresse NICHT abdruckt.
Rien ne va plus
Klar: Früher in den goldenen Internet-Werbezeiten (also letztes Jahr) sah das alles noch ganz anders aus. Online zu sein, das war für alle eine Herzensangelegenheit und ein Image-Muss. Solange nur der Counter durchdrehte und die halbe Nation im Gänsemarsch durch ein neues »In«-Portal geschleust wurde, war alles andere völlig nebensächlich. Die Inhalte und die Provider-Kosten finanzierten sich schließlich über die Werbung. Und wenn sie das nicht taten, dann ging man eben an die Börse und holte sich dort das nötige Geld. Heute lohnt sich die Werbung im Netz nicht mehr. Schlimmer noch: Der Geldselbstbedienungstopf Börse ist leer – rien ne vas plus. Wofür braucht man das Internet jetzt eigentlich noch? Die aktuelle Devise liegt auf der Hand: Jeder versucht zum ersten Mal in seinem Online-Leben, kosteneffizient zu handeln. Das bedeutet, dass Inhalte und Traffic deutlich reduziert werden. Das gelingt natürlich nicht immer. Die Spieledemo-Download-Stätte 3Dfiles.com hat es bereits gerissen, weil sich mehrere Terabyte Downloads am Tag einfach nicht mehr finanziert haben. Eben war ich auch beim amerikanischen Werbespiel-Hersteller NStorm auf der Homepage – die ganze Division steht zum Verkauf. Wer will jetzt noch ein Online-Werbespiel haben, das Klicks generiert?
Ich selbst verstehe meine Homepage inzwischen als reine Online-Visitenkarte. Potenzielle Geschäftspartner kann ich gezielt auf die Seite lotsen, damit sie sich hier mit meiner Adresse eindecken und weitere Informationen abfragen können. Die fixe Idee, dass meine Homepage die hochgelobte Startadresse für Millionen Anwender sein könnte, habe ich aber inzwischen weinend aufgegeben. Spätestens, seitdem mir mein Provider eröffnete, dass er meine monatlichen Fixkosten verdoppeln müsse, wenn es beim aktuellen Transfervolumen bleibt. Uh-oh. Vielleicht sollte ich ein Schild auf der Homepage aufbauen: »Die Seiten der Konkurrenz sind viel schöner. Warum surfen Sie nicht dort einmal vorbei?«
Vielleicht Spenden..?
Hände ringend wird derweil nach neuen Finanzierungsmodellen gesucht, um zum alten Modell zurückkehren zu können. Nachdem meine Ein-Pfennig-pro-Seitenaufruf-Idee noch immer nicht im Netz umgesetzt wird, favorisiere ich eine neue Idee, die bereits im Fernsehen des Öfteren verwendet wurde: Der Spendenaufruf. Dazu veröffentliche ich eine spezielle Telefonnummer auf meiner Homepage, die jeder Besucher einmal im Monat anrufen sollte. Sobald es zu einer Verbindung kommt, werden sofort und ohne langes Gesabbel fünf Mark Spende über die Telefonrechnung abgebucht. Vielen Dank, lieber Leser. Aber würden Sie zum Hörer greifen? Seien Sie ehrlich! Bis dahin veröffentliche ich meine Texte wohl lieber weiter bei stern.de. Da muss ich wenigstens keine Providergebühren bezahlen. Und das Renommee! :-)
Carsten Scheibe