Editorial "Schröder hat keine andere Wahl"

Gerhard Schröder hat die linken Reformkritiker in seiner Partei am Wochenende gewarnt: "Guckt mal genau hin, wie das 1982 gelaufen ist, als sich die sozial-liberale Koalition in einem Erosionsprozess auflöste."

Liebe Stern-Leser!
Gerhard Schröder hat die linken Reformkritiker in seiner Partei am Wochenende gewarnt: "Guckt mal genau hin, wie das 1982 gelaufen ist, als sich die sozial-liberale Koalition in einem Erosionsprozess auflöste." Schauen wir also mal hin: Vor genau 21 Jahren stürzte Helmut Schmidt über ein konstruktives Misstrauensvotum von Union und FDP. Der Bundestag wählte an seiner Stelle am 1. Oktober 1982 Helmut Kohl zum Bundeskanzler - und der blieb es dann 16 lange Jahre.
Es gibt durchaus Parallelen zu damals: Auch Schmidt war mit den Linken in seiner Partei über Kreuz. Zum einen ging es um den Nato-Doppelbeschluss, der besagte: Wenn die Sowjets ihre Mittelstreckenraketen in der DDR nicht abziehen, stationieren die USA Pershing -II- Atomraketen und Marschflugkörper in Europa. Vorübergehend brachte Schmidt seine Partei zur Räson, indem er mit Rücktritt drohte oder im Bundestag die Vertrauensfrage stellte - so wie Schröder es im November 2001 tat, als es um den Kampfeinsatz der Bundeswehr im Anti-Terror-Krieg ging. Doch ein halbes Jahr später war Schmidt am Ende.
Knackpunkt war die Wirtschaftspolitik. Auch damals lahmte die Weltkonjunktur, die Zahl der Arbeitslosen stieg kräftig. Die SPD forderte ein Beschäftigungsprogramm und höhere Steuern. Schmidt wollte lieber sparen - oder einen "tiefen Schnitt in die Sozialleistungen".
SPD und Gewerkschaften heulten laut auf und verweigerten die Gefolgschaft. Helmut Schmidts liberaler Koalitionspartner Hans-Dietrich Genscher, der schon länger mit Kohl gekungelt hatte, nutzte die Chance und vollzog die Wende.
Geschichte wiederholt sich nicht. Doch Gerhard Schröder weiß genau, dass er seine Partei mit Vertrauensfragen und Rücktrittsdrohungen nicht dauerhaft auf Reformkurs halten kann. Die Mitglieder laufen in Scharen davon, die Wähler wenden sich enttäuscht ab, nach der Europawahl im nächsten Juni folgen 13 Kommunal- und Landtagswahlen. Bayern war ein Menetekel.
Andererseits: Der grüne Koalitionspartner wackelt nicht. Die Union hat - anders als 1982 unter Helmut Kohl - keine Chance auf eine eigene Mehrheit.
Schröder kann und muss also seine Agenda 2010 weiter durchziehen und hoffen, dass sie rasch Erfolg zeigt. Es gibt kein Zurück mehr. Entweder er geht als Reformkanzler in die Geschichtsbücher ein - oder als Mann, der die SPD für lange Zeit ruinierte.

Herzlichst Ihr

Thomas Osterkorn

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