Editorial Deutschland vor der Wahl

Liebe stern-Leser!

Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. So haben Kanzler Schröder und SPD-Chef Müntefering wohl gedacht, als sie am Sonntag Neuwahlen vorschlugen. Die sind ein Segen für unser Land. Endlich kommt wieder Bewegung in die Politik. Die Wähler können eine selten klare Entscheidung treffen. Die Wahl in NRW hat gezeigt: Die Menschen fühlen sich grottenschlecht regiert. Mag an den Reformzielen der Agenda 2010 vieles richtig sein - wie die Regierung sie zu erreichen versucht, ist eine Katastrophe. Nun ist das Projekt Rot-Grün wohl am Ende, und dem Aufstieg von Angela Merkel zur ersten deutschen Kanzlerin steht nicht mehr viel im Wege.

Wer ist die Frau, die Schröder im Herbst die Macht entreißen will? Sechs Wochen lang recherchierte Franziska Reich, stern-Redakteurin im Berliner Hauptstadt-Büro, an einem Porträt der CDU-Kandidatin, über deren DDR-Vergangenheit und Privatleben nur wenig bekannt ist. Sie fuhr kreuz und quer durch Ost- und Westdeutschland und sprach mit drei Dutzend alten Nachbarn, Mitschülern und Lehrern, Studenten und Arbeitskollegen. Unsere Kollegin erfuhr von überraschenden Wesenszügen, erhielt Einblick in Stasi-Protokolle - und auch viele Privatfotos. Das Porträt der "Frau, die aus der Kälte kam", beginnt auf Seite 42.

"Man ist nach diesem Abend mal wieder richtig stolz, Journalist zu sein." Das war eines der schönsten Komplimente, das wir nach der erstmaligen Verleihung des Henri-Nannen-Preises von Kollegen hörten. Denn bei diesem Fest zu Ehren der besten journalistischen Beiträge, die 2004 erschienen waren, standen nicht Glanz und Glamour im Vordergrund, so ndern Qualität in Wort und Bild, Seriosität und Unabhängigkeit - also das, was wirklich zählt und die Würde unseres Berufsstandes ausmacht. Ausgezeichnet wurden Peter Scholl-Latour für sein publizistisches Lebenswerk und Irina Chalip aus Weißrussland für ihr mutiges Eintreten für die Pressefreiheit. Den Preis für die beste Reportage erhielt Stefan Willeke von der "Zeit". Er hatte beschrieben, wie Chinesen eine stillgelegte Kokerei in Dortmund ab- und in China wieder aufbauten, um dort Koks zu produzieren und für viel Geld womöglich auch nach Deutschland zu verkaufen. Ein bizarres Stück über Globalisierung - "Welttheater als Kammerspiel", wie es die Jury formulierte. Den Preis für die beste investigative Leistung überreichte der legendäre "Watergate"-Enthüller Carl Bernstein: an Freddie Röckenhaus ("Süddeutsche Zeitung") und Thomas Hennecke ("Kicker"), die über ein Jahr lang den Finanzskandal um Borussia Dortmund Stück für Stück aufdeckten.

Ein Team von sechs "Spiegel"-Kollegen bekam den Preis für die beste Dokumentation. Uwe Buse, Ullrich Fichtner, Mario Kaiser, Uwe Klussmann, Walter Mayr und Christian Neef hatten den Überfall islamischer Terroristen auf die Schule von Beslan rekonstruiert. Das Streiflicht der "Süddeutschen Zeitung" wurde als herausragendes Beispiel humorvoller Berichterstattung ausgezeichnet. Der chinesische Fotograf Yang Yankang erhielt für seine berührenden Bilder über katholische Gemeinden in seinem Heimatland, die in "Geo" erschienen, den Henri-Nannen-Preis für herausragende fotografische Autorenleistung. Einen ausführlichen Bericht über das Fest können Sie ab Seite 192 lesen.

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