Liebe Frau Dr. Peirano,
vor drei Jahren habe ich über Bekannte einen Mann (Sebastian) kennen gelernt, mit dem ich mich auf Anhieb sehr gut verstanden haben. Er war damals dabei, sich von seiner Frau zu trennen, ich hatte noch einen Freund. Nach einigen sehr intensiven Treffen wurde mir klar, dass die Beziehung zu meinem Freund (er war suchtkrank) keine Chance hatte und ich habe mich von ihm getrennt. Allerdings wollten Sebastian und ich nicht gleich von einer Beziehung und die nächste gehen, und so haben wir uns nur mit sehr großen Zeitabständen getroffen. Mal waren es vier Wochen, mal drei Monate. Der Kontakt riss aber nie ab, und wir haben uns auch gegenseitig gesagt, dass wir gerne zusammen wären, wenn wir die Trennungen von unseren jeweiligen Partnern verarbeitet und uns neu sortiert haben. So lief es die ersten zwei Jahre, und ich muss sagen, dass es für mich so in Ordnung war- auch wenn ich ihn sehr vermisst habe, wenn wir uns nicht gesehen haben. Vor einem Jahr hat er sich schleichend nicht mehr von sich aus gemeldet, sondern nur noch nach Wochen (!) auf meine Emails reagiert, die ich nach langem Zögern geschickt habe, da ich mich nicht aufdrängen wollte. Er sagte immer das gleiche: "Mir geht es schlecht, ich kann dich gerade nicht treffen. " Dennoch haben wir uns einige Male getroffen, und das war zärtlich und intensiv. Am Ende hat er sich überhaupt nicht mehr gemeldet, auch als ich ihn per Email gefragt habe, ob alles noch beim Alten ist. Ich war sehr wütend und verletzt und habe versucht, über ihn hinweg zu kommen. Aber es fällt mir sowieso schwer, jemandem zu vertrauen, und sein Verhalten macht die Sache nicht besser! Außerdem habe ich von meiner Bekannten gehört, dass Sebastian mittlerweile eine neue Freundin hat. Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich das verarbeiten soll.
Haben Sie eine Einschätzung/ einen Rat?
Liebe Grüße
Katja B.
Liebe Katja B.,
zuerst einmal möchte ich Ihnen sagen, dass ich sehr beeindruckt davon bin, dass Sie und Sebastian sich trotz aller Anziehung nicht gleich von einer Beziehung in die nächste stürzen wollten. Es wäre nur zu verständlich (und dennoch riskant) gewesen, das Bedürfnis nach einer Beziehungspause zu ignorieren und etwas neues zu beginnen (wo es doch schon einmal da war), ohne sich vorher zu sortieren. Sie haben besonnen gehandelt und sich Zeit für sich selbst genommen und die Sache mit Sebastian langsam angehen lassen. Leider ist es so, dass viele Liebesbeziehungen am falschen Timing scheitern, und es klingt so, als wenn das auch bei Ihrer Liebe zu Sebastian eine beachtliche Rolle gespielt hat. Sie waren beide sehr mit sich selbst und dem Rückblick auf Ihre alten Beziehungen beschäftigt. Ich habe den Eindruck, dass Sebastian sich zu diesem Zeitpunkt immer tiefer in seine Krise begeben hat, so dass er den Blick für Sie verloren hat.
Das Problem ist, dass Sie nicht mitbekommen haben, dass er sich langsam von Ihnen gelöst hat, ohne dass Sie es wollten. Und Sie wissen auch nicht, warum es so gekommen ist und wie er heute zu Ihnen steht. Sie standen hilflos daneben und haben mitbekommen, wie er immer weiter von Ihnen abgetrieben ist, ohne dass Sie ihn noch erreichen konnten. Das ist bestimmt eine sehr schmerzhafte Erfahrung! Ich glaube, dass Sie nicht oder nur mit seelischen Narben über diese Geschichte hinweg kommen werden, wenn Sie nicht noch einmal mit Sebastian sprechen und seine Geschichte hören: Warum hat er den Glauben an Sie beide verloren, wie ging es ihm in der Zeit- was haben Sie ihm bedeutet. Erst das Gespräch mit ihm kann Ihnen helfen, das Scheitern Ihrer Beziehung zu verstehen und allmählich zu verarbeiten. Nun ist die Frage: Wie kommen Sie an ein solches Gespräch- wenn Sebastian sich nicht zurück meldet? Am Besten wäre es, wenn Sie ihm ganz offen schreiben, dass Sie starke Gefühle für ihn hatten (immerhin haben Sie drei Jahre auf ihn gewartet)- und dass Sie ein Gespräch mit ihm brauchen, um das für sich abzuschließen.
Ich drücke Ihnen die Daumen, dass es dazu kommt.
Mit freundlichen Grüßen
Julia Peirano